III/IV
Tom stöhnte, „Mist, das schaffe ich nie bis nach Hause“. Er hatte den Ortseingang erreicht. Die Straße wurde breiter. Auf der linken Seite konnte er das Haupttor des Möbelwerkes sehen, etwas weiter unten lag die BP Tankstelle, sonst gab es hier nur Wohnhäuser die er nicht kannte. Diese Gegend hatte er noch nicht ausgekundschaftet.
Eine Sirene fing an zu heulen und markierte den Schichtwechsel im Felke-Möbelwerk. Er lief, noch immer fluchend, weiter. Der Straßenverkehr nahm zu. Viele der Arbeiter machten sich auf den Nachhauseweg. Tom schaute ihnen neiderfüllt nach. „Irgendjemand könnte mich ja wirklich mitnehmen“ Noch 200 Meter lag der Bahnübergang entfernt. Danach führte die Straße bergab und würde sein vorwärtskommen erleichtern.
Er war noch etwa 20 Meter vom Bahnübergang entfernt als die roten Warnsignale an den beiden Andreaskreuzen zu blinken begannen und er beeilte sich nun, denn er wollte die V60 Lokomotive unbedingt aus der Nähe sehen.
Ein lauter Pfiff ließ Tom zusammen zucken und er schaute nach links. Da kam sie, knallrot mit schwarzen Rädern. Soweit es Tom von seinem Standort aus erkennen konnte, zog die V60, circa 10 bis 12 offene Güterwagen, die mit großen Baumstämmen für das Möbelwerk beladen waren. Auf beiden Seiten des Bahnübergangs standen bereits viele Autos die darauf warteten, dass der Übergang wieder frei werden würde. Die meisten Fahrer hatten die Motoren abgestellt. Die Lokomotive war nur noch wenige Meter entfernt und Tom ahnte, dass der hubraumstarke Dieselmotor auf hoher Drehzahl lief denn aus dem Auspuffrohr, oben an der Kanzel des Lokführers, jagte schwarzer Dieselqualm. Plötzlich mischte sich ein anderes, viel helleres Geräusch in das dumpfe Dröhnen der Lokomotive. Irritiert wandte Tom seinen Kopf in Richtung des neuen Geräusches und traute seinen Augen nicht. Ein Mann in einen dunklen Anzug überholte mit seinem Moped die wartenden Autos und dachte überhaupt nicht daran, auf die roten Signale, die ihn förmlich anschrien endlich anzuhalten, zu achten. So nahm das Schicksal seinen Lauf.
Der Mopedfahrer war wohl so geschockt von der Erkenntnis, gleich mit Lichtgeschwindigkeit in die Hölle zu fahren, dass er nicht einmal mehr bremste.
Die Lok erreichte langsam den Bahnübergang und Tom konnte die Bewegung der Pleuelstangen, mit der die Räder verbunden waren, gut erkennen. Hoch, runter, hoch, runter, Auf und ab, stetig und gleichmäßig, leichtfüßig aber unaufhaltsam. Der Lokführer gab mehr Gas, welches die Turbolader des Diesels mit einem hellen Singen quittierten. Toms Blick wanderte zurück zu dem Mopedfahrer und er konnte den seltsamen Ausdruck in seinen Augen sehen. Die Einsicht, in eine Situation geraten zu sein, die er unmöglich rückgängig machen konnte, traf ihn noch einen Wimpernschlag vor dem Aufprall. Das Moped knallte der Lokomotive exakt in dem Moment in die Seite als die riesige Pleuelstange den höchsten Punkt Ihrer Bewegung erreicht hatte. Pfsch..., merkwürdig leise war der Aufprall. Tom begriff nicht was er da sah. „Das gibt’s doch nicht...“ Der Mopedfahrer schoss über den Lenker, der sich allerdings in seinem Gürtel verfing und so das Moped mitzog. Nach oben, kommt unten, jedenfalls bei der Pleuelstange einer fahrenden Lokomotive. Der Mopedfahrer griff, mehr Reflex als gewollt, in die Streben des schweren Stahlrades um den Aufprall zu mildern, während sich die Pleuelstange wieder auf den Weg zum unteren Punkt der Bewegung machte.
Ein sinnloses Unterfangen. Seine Hände suchten irgendwo in der Maschinerie von sich bewegenden und rotierendem Stahl einen festen Halt, als die Pleuelstange seine Hände brach. Tom hörte nichts außer dem ruhigen, sonoren brummen des Diesels und das hohe Singen der Turbolader. Nun schaute Tom genau in das Gesicht des zum Tode verurteilten. „Verdammt, wann bremst der Lokführer endlich.“ sagte Tom laut.
Der Mopedfahrer glotzte ziemlich dämlich und begriff gar nicht was mit ihm geschah. Er hing wie ein Affe im Käfig und wurde von der Pleuelstange nun zügig angehoben. Jetzt suchten seine Beine nach einem festen Halt auf diesem Monster, doch es gab keinen. Er versuchte sich mit den Füßen auf den Stahlstreben des mächtigen Stahlrades abzustützen um nach hinten abzuspringen. Das wäre ihm möglicherweise auch gelungen, wenn das Rad nicht rotiert wäre, und sich die Pleuelstange nicht wieder auf den Weg zum unteren Totpunkt gemacht hätte.
Ein gellender Schrei leitete die Endphase dieses bizarren Schauspiels ein. Tom war davon überzeugt dass der arme Kerl so schrie, aber ein Blick in die blutigen Reste des Gesichts des sterbenden belehrte ihn eines Besseren. Zwei weit aufgerissene Augen schauten Tom Hilfe suchend an, aber es gab nichts, was Tom hätte tun können.
Erneut ertönte der gellende Schrei und Tom begriff, die V60 schrie wie ein waidwundes Tier. Der Lokführer hatte endlich gemerkt, dass etwas nicht stimmte und zog die Notbremse. Druckluft fuhr zischend und fauchend in die Bremszylinder und zwang die Bremsbacken sich fest an die Räder zu klammern. Die Bremsen der Lokomotive zogen so hart an, das Funken auf die Gleise stoben. Die Lokomotive schrie und kreischte nun so laut, dass Tom wirklich erschrak, so etwas hatte er noch nie gehört. Eine Kraft von mehreren tausend Pferden versuchte nun das todbringende Unheil zu stoppen. Ein Ruck ging durch das Ungetüm und der Lokführer wurde hart an die Frontscheibe seiner Fahrerkanzel geworfen. Die Bremsen entwickelten jetzt Ihre maximale Kraft, aber natürlich waren die Räder und die Pleuelstange nicht so schnell zu bremsen. Der Mopedfahrer verhedderte sich nun zusehends zwischen den stählernen Speichen eines Rades, und die Pleuelstange senkte sich erneut unerbittlich auf ihn nieder.
Zuerst dachte Tom dass es den armen Kerl in zwei Hälften reißen würde, aber das Schicksal entschied sich anders. In dem Moment als er zwischen Rad und Pleuelstange hindurch gezogen wurde, löste sich auch das Moped von ihm und fiel auf die Straße.
Die Lokomotive fauchte nun laut wie ein Dinosaurier, und der Boden fing leicht zu beben an. Immer mehr Funken stoben jetzt nach allen Seiten auf die Gleise, aber noch immer hörte die todbringende Bewegung nicht auf. Unerbittlich schoben die schweren Waggons die Lokomotive, die jetzt tobte wie ein Derwisch, vor sich her. Hoch und runter, Rad und Pleuel, oberer Totpunkt unterer Totpunkt, erbarmungslos und tödlich.
Tom verlor die Lokomotive aus den Augen, als sie durch den höher liegenden Bahndamm verdeckt wurde, Der erste Güterwagen überquerte den Bahnübergang, als es plötzlich ganz still wurde. Der Zug war zum Stillstand gekommen und kein Laut war mehr zu hören. Tom lief den Bahndamm hoch, um sehen zu können was als nächstes geschehen würde. Dort stand die V60, aber noch konnte er zu wenig erkennen. Also glitt er an dem Waggon vorbei und ging langsam nach vorne zur Lokomotive. Die todbringende Bewegung war zum Stillstand gekommen. Es war unnatürlich still, nur einige Hunde kläfften sich in der Nähe an.
Plötzlich durchbrachen mehrere schrille Pfiffe die Stille. Der Lokführer hatte wohl einen Schock, denn immer wieder gab er unsinnige Signale mit dem Horn der Lokomotive. Tom pirschte sich weiter nach vorne und stützte sich dabei an der Lokomotive ab. Das kalte Metall vibrierte leicht, der Dieselmotor lief noch. Ja, jetzt konnte Tom das ruhige und leise hämmern der Maschine hören. Er machte einen weiteren Schritt vorwärts und dann sah er den armen Kerl, hoffnungslos verkeilt, zwischen der Pleuelstange und dem Rad der Lokomotive. Der Lokführer lief Amok. Nachdem er neben Tom auf den Boden gesprungen war rannte er zu dem Toten hin, und begann diesen fürchterlich zu beschimpfen.
Jetzt erwachte auch die Umgebung aus diesem Trance ähnlichem Zustand. Tom hatte ganz vergessen, dass noch viele andere Menschen Zeuge dieses makaberen Unfalls waren. Er wurde unsanft zur Seite gestoßen und wäre fast hingefallen, aber er konnte sich gerade noch irgendwo an der Lokomotive festhalten, und so den Sturz abfangen.
Das Metall fühlte sich schmierig an, und er dachte bereits darüber nach, wie er das Schmierfett wieder von seinen Händen bekommen könnte, als er sich seine Hände anschaute; die Hände waren rot! Tom fing an zu schreien und raste, wie von tausend Hummeln verfolgt, los. Er kam nicht weit, nach einigen Metern raste er voll in den Lokführer. Der machte ein Gesicht als hätte er einen Geist gesehen und hörte endlich auf, den Toten zu beschimpfen. Gemeinsam schauten Sie sich die Leiche an. Dort hing er. Der linke Arm ragte hoch in die Luft, die Kleidung zerrissen. Der Kopf befand sich auf gleicher Höhe mit seinem Becken, die Reste der Beine befanden sich dort wo eigentlich der Kopf sein sollte. Er bot keinen besonders schönen Anblick. Aber das Blut an seinen Händen störte Tom viel mehr. Tom hatte genug gesehen. Er verzog sich auf die Böschung, wo er sich im Gras die Hände abwischte.
Kurze Zeit später machten sich einige Männer daran, den Toten zu bergen. Irgendjemand hatte die Polizei informiert. Damals gab es noch eine kleine Polizeistation in Sohren. Die Männer standen jedoch ratlos vor der Lokomotive, und es wurde heftig darüber diskutiert, auf welche Weise der Tote am pietätvollsten geborgen werden könnte. Zwei Männer wollten versuchen, den Toten aus dem Metall heraus zu ziehen. Die Leiche aber hing fest, und ließ sich nicht bewegen.
Die beiden gaben schließlich auf und sprangen, kalkweiß im Gesicht, wieder von der Lok herunter.
So ging es noch einige Zeit weiter, aber der Tote konnte nicht aus seiner Lage befreit werden. Jemand hatte die Idee die Pleuelstange, die den Toten festhielt, abzuschrauben. Aber das dafür notwendige Werkzeug war nicht verfügbar. „Nun gut“, sagte schließlich einer der Polizisten zum Lokführer. „Setze etwas zurück, vielleicht bekommen wir die Leiche dann frei“ Der Lokführer war von dieser Idee überhaupt nicht begeistert. „Das kann ich nicht...“, stotterte er. „Mach schon“, schnauzte der Polizist ihn daraufhin an. „Der hängt schon viel zu lange hier und er spürt auch nichts mehr.“ Außerdem müssen wir den Bahnübergang wieder frei machen, sieh dir mal den Stau an“. Der Lokführer besah sich unsicher seine V60 mit dem Toten in der Seite, setzte sich dann aber in Bewegung und machte sich daran das Führerhaus zu besteigen.
Wenige Sekunden später dröhnte der schwere Dieselmotor wieder auf Höchstdrehzahl, und mit leisem Zischen lösten sich die Bremsbacken von den Rädern. Der Polizist gab dem Lokführer ein Zeichen und die Turbolader der Lokomotive pressten erneut Sauerstoff in den Bauch der Maschine.
Ganz langsam setzte sich der Güterzug, nun rückwärts, in Bewegung. Einige mutige Männer, gaben dem Toten Hilfestellung. Wie in Zeitlupe, glitt die Pleuelstange nach unten, und gab den Rücken des Toten, der sich nun anschickte hintenüber zu kippen, frei. Erneut gab der Polizist dem Lokführer ein Zeichen und die Lok stoppte. Der Oberkörper des Toten wurde von den Männern gehalten, aber noch waren seine Beine total verklemmt. Der Polizist hatte genug. Er zog und zerrte so heftig an den Beinen der Leiche dass sie unerwartet frei kam, und der Polizist durch den plötzlichen Ruck, nach hinten umfiel.
Der tote Körper wurde nun von sechs Männern in der horizontalen gehalten und auf eine nahe Wiese getragen, wo er von Ihnen ins niedrige Gras gelegt wurde. In der Zwischenzeit stieg der Lokführer von seiner Maschine herunter und besah sich das Räderwerk seiner Lokomotive. Etwas Blut und ein paar Stofffetzen waren die einzigen Spuren die an diesen Unfall erinnerten.
Als der Tote von zwei Bestattungsunternehmern in einen Zinksarg gehoben wurde, riss ein Ärmel seiner Anzugjacke mit mitsamt einem Arm ab. Es stellte sich heraus, dass der Körper des Toten nur noch von dessen Kleidung zusammen gehalten wurde. Erneut mussten sechs Männer die Leiche anheben, um Sie in den Zinksarg zu legen der daraufhin sofort verschlossen wurde.
Nun ging alles sehr schnell. Der Güterzug fuhr zurück in das Möbelwerk, er hatte nur rangieren wollen um auf ein anderes Gleis zu kommen. Und, als der Bahnübergang wieder frei war, löste sich auch der Verkehrsstau schnell auf.
Der Zinksarg wurde in ein schwarzes Fahrzeug geschoben. Die Polizisten befragten noch einige Unfallzeugen, und Tom machte sich auf den Weg zu seinem Fahrrad. Dort lag noch das Moped „NSU Quickly“ konnte er lesen. „Nur ein Pedal verbogen, das fährt bestimmt noch“, Tom wurde die eigentliche Tragik dieses Unfalles erst jetzt richtig bewusst.
Da waren wieder die Hunde. Sie kläfften und knurrten sich noch immer böse an und schienen sich um einen Gegenstand, der im Gras lag zu streiten. Tom entschied nachzusehen und ging die wenigen Meter zu den Hunden hin. Die sahen ihn kommen und fletschten bösartig Ihre Zähne. Da Tom bereits nahe genug heran gekommen war um zu sehen, was dort im Gras lag, blieb er lieber stehen. Auf Reißzähne im Hintern hatte er wirklich keine Lust. Der Gegenstand schimmerte bläulich im Sonnenlicht. „Nur ein Knochen“ Tom war etwas endtäuscht. Er hatte gehofft etwas Interessanteres zu finden. Tom erfuhr erst viel später, dass es sich bei diesem Knochen um den rechten Oberschenkelhals des Verunglückten gehandelt hatte. Tom hatte nun von all dem genug und lief zurück zu seinem Fahrrad. Jetzt war es wirklich spät geworden „Oh nein!“ Tom hatte sein defektes Hinterrad total vergessen. „Na ja, noch zwanzig Minuten und ich bin zu Hause.“ Er marschierte wieder los, und dachte über das soeben Erlebte noch einmal nach. Der arme Mann tat ihm ehrlich leid. „Aber was hätte ich tun können? Ich bin doch erst zehn Jahre alt.“ Tom machte sich Vorwürfe. Er überlegte was er hätte tun können um das Unglück zu verhindern, aber es fiel ihm nichts ein. Also beschloss er sich keine Gedanken mehr darüber zu machen. Er erreichte die Untere Bergstraße. Sie führte steil bergab, und so setzte er das Hinterrad seines Fahrrades wieder auf die Straße, das nun, einen schwarzen Gummistrich auf der Straße hinterlassend, fast von alleine die Straße runter rutschte. „Tut, Tuut“, ein Auto näherte sich von hinten. Tom, der mitten auf der Straße lief, machte dass er auf die Seite an den Straßenrand kam. Er wollte nicht auch noch unter irgendwelche Räder kommen. Das Auto wurde langsamer „Fahr schon vorbei“ dachte Tom, denn sein Fahrrad fing bedrohlich zu schlingern an. „Hey, Tom was ist denn mit Dir los?“ Tom drehte sich zu der Stimme um und lachte glücklich. Klaus-Dieter, der Sohn seiner Ziehmutter, wollte ebenfalls den Weg nach Hause über die Kirchberger Straße abkürzen. Tom hatte eigentlich zwei Mütter. Einmal die, die ihn zur Welt brachte, und dann Mutti, bei der er den größten Teil seines bisherigen Lebens verbracht hatte. Klaus-Dieter war fast wie ein großer Bruder zu ihm. „Der Hinterreifen ist kaputt, geplatzt als ich in der Schule war“, rief er laut. „Tom, du darfst die Reifen auch nicht immer so hart aufpumpen“. Klaus-Dieter lachte laut während er bereits aus seinem quietsch gelben Ford Taunus ausgestiegen war, und den Kofferraum öffnete. „Der Mantel ist noch in Ordnung, aber Du brauchst einen neuen Schlauch“, stellte er fachmännisch fest. Gemeinsam verstauten sie Toms Fahrrad im Kofferraum des Autos. Sie fuhren nach Hause und Tom war froh, dass er nicht mehr laufen musste.
„Hast Du etwas von dem Unfall mitbekommen der vorhin am Bahnübergang passiert ist“, wollte Klaus-Dieter von Tom wissen. „Ich hab ihn gesehen!“, flüsterte Tom ernst. Klaus- Dieters Stirn legte sich in Falten. „Erzähl!“. Er wollte alles ganz genau wissen, und Tom tat ihm den Gefallen. Es tat es gut mit ihm darüber sprechen zu können, denn er war, ohne dass er es bewusst fühlte, noch sehr geschockt. Und Klaus-Dieter hörte Tom aufmerksam zu.
Fünf Minuten später waren die beiden zu Hause angekommen und Dieter hob das Fahrrad aus dem Kofferraum. „Danke, Dieter“, bedankte sich Tom höflich. „Schon gut, Tom. Ich habe Dir gerne geholfen“ Dieter war ein echter Freund. „Wo warst Du solange?“ Die Stimme seiner Mutter klang streng. Und Tom erzählte seine Erlebnisse noch einmal. Toms Mutter, erschrocken über das was Ihr Sohn erlebt hatte, wechselte sofort das Thema. „Hast Du heute noch etwas vor“, fragte sie ihn nun fürsorglich. „Kannst du mir Geld geben? Ich brauche einen neuen Fahrradschlauch, der alte ist mir in der Schule geplatzt“. Tom hatte gar keine Lust darauf am nächsten Tag zu Fuß in die Schule gehen zu müssen. „Wenn du gegessen hast, kannst du dir einen kaufen gehen, aber zuerst wird gegessen. Ist alles schon fast kalt.“ „Was gibt es denn?“, wollte Tom wissen.
„Spaghetti mit Tomatensoße“, und Toms Mutter fing an zu grinsen. „Super! Mein Lieblingsessen.“ Tom war echt begeistert. Sie begaben sich nach oben in die Küche. „Zieh dir bitte dein Hemd aus“, ermahnte Toms Mutter wohl wissend Ihren Sohn. Tom hatte einen riesigen Appetit und haute kräftig rein.
„Tom, du darfst heute übrigens länger aufbleiben, die Amerikaner wollen heute zum ersten Mal auf dem Mond landen. Wenn du willst, können wir uns die Landung heute Abend gemeinsam im Fernsehen anschauen.“
Das hatte Sie Ihm gestern schon gesagt. „Wird langsam vergesslich“ „Ja prima. Wann geht’s denn los?“ „So gegen viertel vor neun heute Abend“, erwiderte sie.
„Bis dahin hab ich mein Fahrrad wieder repariert“. Tom war nun äußerst zufrieden, denn er hatte noch genügend Zeit, es war erst 16.30 Uhr. „Und Hausaufgaben, haben wir auch keine auf!“ Jetzt war Tom richtig gut gelaunt, der Rest des Tages versprach perfekt zu werden.
Kurze Zeit später rannte Tom ins Dorf und kaufte sich den benötigten Fahrradschlauch. Die Reparatur wurde ein voller Erfolg, wenn man einmal davon absieht, dass er sich einen Finger kräftig quetschte. „Und jetzt: Probefahrt“ Tom schwang sich auf den Sattel und raste den alten Feldweg hinunter. „Erster Gang, zweiter Gang, dritter Gang, und jetzt..., Vollbremsung!“ Tom verschwand mit seinem Fahrrad in einer Staubwolke. „Geht ab wie Schmidts Katze“, und nicht mal eine Schraube übrig!“ Tom, sehr zufrieden mit seiner Handwerkskunst, machte sich auf den Rückweg.
Tom reparierte alles und jedes, meistens jedoch hatte er irgendwelche Schrauben oder andere Teile übrig. Das störte ihn aber weiter nicht, Hauptsache alles funktionierte wieder.
Nur einmal hätte eine solche „Reparatur“ beinahe in einer Katastrophe geendet. Er fand einmal, beim durchstöbern eines Schuppens, ein altes Radio das er mit nach Hause nahm um auszuprobieren, ob es noch funktionierte. „So, Stecker rein und sehen was passiert!“ Nichts passierte. „Einschalten wäre nicht schlecht!“ Tom drückte den entsprechenden Schalter. „Und?“ Wieder nichts. „Also gut, Schraubenzieher her und Rückwand abschrauben!“ Gesagt, getan. Er warf die Rückwand des Radios achtlos zur Seite und besah sich neugierig die vielen Kabel und Röhren im inneren des Radios. Einige der Röhren glühten rot, also hatten Sie Strom. „Gut“ dachte er, „Aber was ist das?“ Die größte der Röhren blieb dunkel. „AH..., Fehler gefunden!“
Davon überzeugt das richtige zu tun, begann er nun an diversen Kabeln herumzuziehen. Auf den Gedanken, den Stecker aus der Steckdose zu ziehen, kam er jedoch nicht. Er zog hier und er zog dort, doch die große Röhre wollte sich nicht aufheizen. Tom aber gab sich so leicht nicht geschlagen. Mit Hilfe eines großen Schraubenziehers versuchte er nun, tief im Inneren des Gerätes, an andere Kabel zu kommen. Dabei berührte er irgendein ungeschütztes, offenes Kabel. Der Stromschlag den er dadurch bekam, jagte ihn durch die halbe Wohnung. „Autsch“ jammerte er. Aber aufgeben, niemals! Toms Augen funkelten das Radio böse an.
Er machte sich, jetzt vorsichtiger, wieder ans Werk. „Hä...?“ wunderte er sich. Die große Röhre hatte ihre Arbeit aufgenommen und glühte nun ebenfalls in sattem rot. Der Lautsprecher aber blieb stumm. Tom überprüfte nun die Kabelverbindungen zum Lautsprecher, „Okay, alle dran!“ Konnte er noch denken, als sich plötzlich die Ereignisse überschlugen. Genau in dem Moment, als aus dem Lautsprecher gequältes Krächzen kam, implodierte, mit einem hohlem „Plopp“, die große Röhre und einige Kabel begannen zu schmoren.
Das dickste der Kabel ging in Flammen auf, und schickte sich an, das Radio einzuäschern. Tom erschrak und ging in Deckung, als aus dem Radio richtige Flammen und Rauchschwaden schlugen. Geistesgegenwärtig zog Tom den Stecker aus der Steckdose und hoffte inbrünstig, dass sich damit alles weitere von selbst erledigen würde. Aber so einfach war die Sache jetzt nicht mehr unter Kontrolle zu bekommen. Das Radio brannte fröhlich weiter. Tom, nun in leichter Panik, griff sich eine Flasche Zitronenlimonade und versuchte, das Feuer damit zu löschen. Der einzige Erfolg den er damit hatte war, dass der beißende Qualm nun ein leichtes Zitronenaroma bekam. Glücklicherweise war Mutti gerade damit beschäftigt das Abendessen zu kochen, als plötzlich der Herd ausging, und das Licht in ihrer Küche erlosch. „Tom! Was hast Du denn jetzt schon wieder angestellt!?“ Sie beeilte sich in die obere Wohnung zu kommen, riss die Wohnungstüre auf, und sah Tom, Zitronenlimonade auf ein brennendes Radio schütten. Mutti zog das Fenster auf, griff sich das Radio und warf es auf die Wiese vor dem Haus. Nachdem Tom von Mutti fürchterlich eins hinter die Ohren bekommen hatte, wurde er mit der Löschung des Radios, das nun lichterloh brannte, beauftragt. „Hier, nimm den Eimer mit Wasser und sieh zu, dass du das Feuer auskriegst!!!“ Mutti war echt sauer geworden. Tom trottete, den Eimer mit Wasser in der Hand, nach unten auf die Wiese und löschte das Feuer. 5 Liter Wasser genügten. Es dauerte allerdings noch einige Wochen bis sich der süßsaure Brandgeruch aus der Wohnung verzogen hatte.
Die Probefahrt jedenfalls, war ein voller Erfolg, Toms Fahrrad funktionierte wieder einwandfrei. Die Sonne stand mittlerweile tief am Horizont und glühte rot. Noch eine Stunde, und es würde Nacht werden. Tom stellte sein Fahrrad in den Schuppen am Haus, und setzte sich dann auf die kleine hölzerne Bank die vor dem Haus stand, um etwas auszuruhen. „Es ist so schön hier.“ Tom liebte die Natur und zog die Gerüche dieses Abends in sich ein. Die Wiesen und Bäume, die wilden Rosen, alles hatte seinen eigenen betörenden Duft.