u s E l e s S
von Michael Raith
(inspiriert von Dave Gahan’s „A Litte Lie“)
Zusammengekauert und sich selbst verzerrt im kupfernen Toilettenpapierhalter betrachtend, hockt der Junge auf der heimeligen Toilette. Seine Spiegelung, der einer Missgeburt ähnelnd. Er starrt die Bestie an, Fingernägel kauend, verzerrt sein Gesicht in Bedauern, Angst und Trauer, zerrupft sein Haar aus Hilflosigkeit. Zwar mit Zuhause aber ohne richtiger Zugehörigkeit. Ungeliebt. Junge zwanzig Jahre, doch ohne etwas erreicht zu haben, denkt er. Er will mehr. Er braucht mehr, doch weiß nicht wie.
Die Augen mit Tränen füllend, fragt er sich selbst, was das Ganze wohl für einen Sinn habe, welches Ziel dahinter stecke, welcher Masterplan. Ob es überhaupt der ganzen Mühe wert sei, die man hinein steckt.
Jämmerlich und nackt sitzt er da. Starrend. Schluchzend. Heulend. Schaukelnd. Kauernd. Zitternd. Sich selbst schlagend. Der Rotz aus den Nasenhöhlen. Ein Häufchen von Nichts mit weniger Bedeutung als Dreck. Wilde Unruhe beherrscht ihn. Er wird seiner Selbst nicht Herr, kotzt durch seine Beine in die Höhle unter sich, benetzt Schenkel und Scham. Er spuckt gelblich auf die Fliesen, räuspert sich unter Schmerz, sabbert. Der Schmodder von der Penisspitze tropfend. Der Gestank ist beissend. Er versteckt sein Gesicht unter den Armen, die sich um den Kopf schlingen, linst zur Bestie, die ihn lautstark auslacht, schlägt dagegen. Schlägt immer wieder dagegen. Die Knöchel allmählich wund. Ohne Erfolg.
Sein Körper bebt, er zündet sich eine Zigarette an. Ein Zug, zwei, drei Züge, die Hälfte ist aufgeraucht. Ihm wird übel. Ihm wird schwarz vor Augen, er knickt zusammen, fällt. Die Glut der Zigarette brennt ihm ein Loch in den Brustkorb. Aufwachen unter Schmerz, nach kurzer Zeit, in einer Pfütze der eigenen Pisse und Spucke und Blut auf dem kalten Boden. Mit Mühe stemmt er sich auf, denkt, dass er tiefer nicht mehr sinken könne. Sauber machen, duschen und masturbieren, die nächste Party steht an.
Die Wassertropfen prasseln auf seinen Körper, perlen in seine bereits verkrustete Wunde. Minuten verrinnen. Die Dusche ist sein Zufluchtsort, er vergisst alles um sich rum, Zeit und Raum. Alles Dunkle um ihn gerät in Vergessenheit. Nichtigkeiten werden mit dem Dreck abgewaschen, er berührt sich. Der Schwanz wird steif. Er denkt an Playmates, Pornos, Verflossene. Der Puls rast, er macht es sich schneller, härter, das Herz hämmert. Es kommt ihm. Endorphine werden freigesetzt, rasen durch die Blutbahn. Er lässt sich nieder. Auf allen Vieren kniend, das Wasser regnet unermüdlich, mit dem Gesicht gegen das Glas gelehnt. Ein fettiger Abdruck hinterbleibt. Schnaufend, sich über die Nadelstiche am Arm, über die ausgetrockneten Venen und verhärteten Sehnen streichelnd, denkt er nach. Suizid. Stellt sich die Frage, womit er sein Leben heute verkürzt. Nikotin und Alkohol außer Frage. Kokain, Heroin, X-tasy, verschreibungspflichtige Medikamente. Alles etwas überdosiert, eine Selbstverständlichkeit für ihn. Es verjagt seine chronische Unzufriedenheit für einige, viel zu wenige Stunden, die ihn seit Jahren quält.
Er steigt aus der Dusche, betrachtet sich im Spiegel, bohrt mit dem Ringfinger in sein Loch. Schmerz, Blut sickert wieder heraus. Seine Augen von schwarzen Löchern im Schädel nicht mehr unterscheidbar, die Lippen spröde. Am Waschbecken mit einer Hand abstützend, versucht er sich die Zähne zu putzen und den Kotzegeschmack von vor drei Tagen loszuwerden. Wieder in den Spiegel blickend, schreckt der Junge zurück, als er sieht, dass sein Spiegelbild ihn breit und teuflisch anlächelt. Die Zähne gefletscht, Schneidezähne gespitzt, die Iris schwarz, rot gesprenkelt. Der Junge setzt seine Handfläche auf die spiegelnde Fläche, verspürt Kälte. Der Spiegel zerberstet an der Berührung, Blut fließt entlang, die Teufelsfratze immer noch grinsend. Das Blut verschmierend, gibt sich der Junge ganz und gar hin, hypnotisiert von des Teufels Augen, der das Blut von der Scheibe zwischen ihnen leckt. Der Blutdurst ist groß. Eine Bratze tritt aus dem Spiegel, reckt eine Klaue aus, sticht sie dem Jungen in das Brandloch. Wuchtet die ganze Bratze hinein, Blut strömt in Flüssen, dem Opfer bleibt die Luft im Hals stecken, der linke Lungenflügel kollabiert. Blut spuckend zerschlägt er den Spiegel, den Teufel grausam erschüttert schreien hörend. Maden quellen aus der Bruchstelle, verschwinden im Abfluss des Beckens.
Der Junge kneift seine schwarzen Löcher zusammen, öffnet sie, kommt zu sich. Er blickt sich um, alles beim Alten. Blut rieselt aus seiner Nase, er wischt es ab, zieht sich an. Jeans, Hemd, Hoodie und die Semigutfreudemaske aufsetzen, was eigentlich ohne Belang ist. Im Zimmer schluckt er eine Koffeintablette, spült sie mit abgestandenen Wein, würgt sie wieder aus. Gleiche Prozedur noch einmal, er behält sie bei sich, packt zehn 600 Ibuprofen ein, steigt ins Auto, fährt zur Party. Eine Hütte im Wald. Sehr abgeschieden, die Musik ist laut, der Bass dröhnt. „Deeper And Deeper“ von David Gahan. Die Beleuchtung ist romantisch, die Atmosphäre alles andere. Auf dem Tisch vor den Sofagarnituren ein Spiegel mit Koksresten, auf dem Sessel ein wild knutschendes, fettes Lesbenpärchen, die sich winden und sich ablecken und fingern. Die Luft genau so stickig wie die Leute. Der Junge sieht sich um, begrüßt viele, schnappt sich eine offen stehende Wodkaflasche, kippt damit eine Pille und einen paar Schluck hinterher. Dazu noch einen Zug aus der Schnüfflertüte. Sein Gemüht benebelt sich. Er lässt sich auf eines der Garnituren fallen, ein Mädchen hockt sich mit gespreizten Beinen auf seinen Schoß, fragt, ob er der und der sei. Sie duftet nach Früchten. Er sagt nichts, sie packt seinen Schwanz aus, schiebt ihn sich unter den Rock in ihre Fotze, fickt ihn. Ihre Möse ist sanft. Und eng, wie der einer Jungfrau. Ihn fickend nimmt sie eine Priese Koks zwischen Zeigefinger und Daumen, schnupft sie, reibt den Rest unters Zahnfleisch, bereitet eine Prise für ihn vor. Schneller reitend kommt sie, er spritz ab. Steigt von ihm ab, packt den Schwanz wieder zurück, richtet ihren Rock, das Höschen, geht. Teilnahmslos sitzt er immer noch da, zündet sich eine Zigarette an. Die Menschen um ihn herum beeindrucken ihn kaum, alles Wracks, wie er selbst.
Sein Freund winkt ihn zu sich, macht ihn mit seiner Freundin bekannt, dem Fick von gerade eben. Er fragt sich erst gar nicht, ob sein Freund es denn mitbekommen habe, dem Anschein nach aber nicht. Das Mädchen an der Unterlippe kauend, fickt ihn in Gedanken ein weiteres Mal. Sie geht auf die Toilette, besorgt es sich noch einmal selbst, die anderen beiden reden über Belangloses, teilen sich eine Ibuprofen. Irgendwann trennen sie sich und der Junge geht seine Runden, trinkt, schnupft. Er braucht kurz Abstand, geht nach draußen, zündet sich eine Zigarette an. In die Dunkelheit starrend, steht er da. Der Wind umklammert ihn, seine Härchen stellen sich auf. Ein Typ prescht nach draußen, übergibt sich in den Waldboden, bleibt liegen, fängt an zu schnarchen. Der Junge starrt weiter. Ein Mädchen, ein anderes, kommt heraus, mit einem Kaugummi schmatzend, stellt sich neben ihn, neigt den Kopf. Er beachtet sie nicht, er ist vollkommen in Trance. Diese wird gebrochen, in dem sie ihm sagt, sie würde ihn lieben, einfach so. Sie kennt ihn nicht. Sie hat nur Angst vor dem Tod und will nicht alleine sterben. Sie will jemanden an ihrer Seite haben, wenn sie bald an ihren Gehirnparasiten verrecken wird. Ihn lässt es kalt. Er schnippt die Zigarettenkippe weg, dreht sich um, geht wieder in die versiffte Hütte, bedient sich am Koksbuffet.
Auf dem Weg auf die Toilette wird er gerempelt, ein Fleck bildet sich am Hemd. Er tritt ein, das Neonlicht flackert immer wieder grell auf, blendet ihn. Die improvisierte Lichtabdeckung gibt der Atmosphäre das Letzte einer Bahnhofsabsteige. So riecht es auch. Das Waschbecken voll mit einem Schwall Blut, das jemand ausgekotzt haben muss, darunter kleine Bröckchen aus Lunge oder Magen, je nach dem. Pissepfützen, verschmierte Kacke an den Wänden. Die Kloschüsseln voll mit Pisse und Kotze, Sperma und Fotzenschleim. In jeder der drei Kabinen ein Schwanzloch, zwei Schwuchteln sind gerade zu Gange, der Eine, saugend und mit heruntergelassener Hose wichsend, genießt es mehr, als der Andere. Mit einem trüben Schulterzucken hakt der Junge die Sache ab, geht pissen, zurück zur Party, wo er auf den Fleck auf dem Hemd aufmerksam gemacht wird, der noch größer geworden ist, als er vor einigen Minuten noch war. Spielerisch drückt er den Hemdstoff ein wenig hinein, lachend, die Drogen und das Ibuprofen hemmen den Schmerz. Er erkundigt sich nach einer Speed, findet jemanden. Zeitraffer. Alles wird vorgespult. Unwichtige Gespräche, der Alkohol, die Zigaretten, das Ibuprofen, das Koks, auf der Toilette durch das Loch einen geblasen bekommen, die Dämmerung, das Meskalin, die Erkenntnis, dass der Typ, der sich außerhalb der Hütte erbrach und zu schnarchen begann, seine Zunge verschluckte und starb, ein paar Joints, Kameramann bei einem Fick sein, die Entsorgung des Toten, der Sonnenaufgang, Schnupfen von Koks, gestreckt mit zerriebenen Ibuprofen- und Koffeintabletten, eine fremde Zunge im Hals.
Nach dem Rausch verschwimmt bereits alles. Alles wird unwirklich und gerät weit weg. Als wenn das Bild einer Filmrolle zu lange belichtet wird und verschmort. Was bleibt ist ein schlechter Traum und das Unwohlgefühl im Magen, Ganzkörperzittern, Entzug und die Hoffnung sich nichts eingefangen zu haben.
Der Junge wankt der Sonne entgegen, Richtung Auto. Fährt nach Hause, zieht seine Kleidung aus, hockt sich auf die Toilette, duscht sich, masturbiert und macht sich für die nächste Party klar.