Zu Hause angekommen streiten sich meine Eltern mal wieder, wie fast jeden Tag. Ich höre sie schon vor der Haustüre, als ich aufschließe verstummen sie. „Hallo Schatz, na wie war die Arbeit?“, „Wie soll ihre Arbeit schon gewesen sein, sie hat wieder ein paar Menschen ungesunde chemische Medizin aufgeschwatzt!“ „Jetzt sei doch nicht so, die Medizin macht immerhin Fortschritte und die Menschen werden immer älter!“ „Aber bestimmt nicht wegen dieser chemischen Scheiße!“. Die beiden sind mal wieder voll in ihrem Element, zum Glück ist mein Vater nicht ganz so gegen meinen Job wie meine Mutter. „Wenn ihr wirklich wissen wollt wie mein Arbeitstag war, dann sagt Bescheid!“, rufe ich ihnen zu und verschwinde in der Küche. „Das hast du mal wieder super hinbekommen!“, höre ich meinen Vater, als ich gerade die Tür hinter mir schließe. Definitiv muss ich hier raus! Ich halbiere meine Wassermelone, schneide sie in Stückchen und verschwinde damit in meinem Zimmer. Mittlerweile ist es im Haus still geworden. Ich schrecke von meinen Recherchen über das WG-Leben hoch, als es an meiner Zimmertür klopft. Schnell schließe ich das Fenster wieder. „Ja?“ Meine Mutter kommt rein und setzt sich auf mein Bett. „Becchen ich hab dich doch lieb, das weißt du, aber ich kann mich für deinen Job einfach nicht begeistern.“, ich ignorieren diesen Spitznamen den meine Mutter schon als Kind für mich ausgesucht hatte. „Das musst du auch nicht, aber es wäre schon nett, wenn du es akzeptieren würdest und nicht die ganze Zeit so negativ darüber reden würdest!“ „Du hast Recht es ist nicht fair von mir, ich werde mich bemühen, ich verspreche es!“, sie schließt mich in ihre Arme und kurz fühle ich mich so geborgen wie schon lange nicht mehr. „Mama, ich will ausziehen!“, „Wie bitte was?“, sie lässt ihr Arme abrupt sinken. „Ja, ich glaube ich möchte in eine WG ziehen.“ „Was für eine WG?“ „Weiß ich noch nicht aber ich möchte eine Veränderung in meinem Leben, nach dem mit Philipp und so.“ „Aber Becchen, das kommt so plötzlich! Wir haben dich gerne hier, aber wenn das wirklich dein Wunsch ist, dann werden wir dich natürlich dabei unterstützen!“ „Danke Mama“ „Das muss ich jetzt erstmal verdauen“ Sichtlich bekümmert verlässt sie mein Zimmer und schließt die Tür hinter sich. Es tut mir schon irgendwie weh sie so zu sehen aber ich will das wirklich. Ich öffne wieder meine Recherche und schaue mir WG’s in der Nähe an, es ist teurer als ich dachte aber immer noch im Rahmen. Ich finde eine WG in Kreuzberg ganz in der Nähe von meinem Arbeitsplatz, doch bei genauerem hinsehen stelle ich fest, dass die nur Studenten wollen. Die nächste in Friedrichshain ist eine gemischte WG, ich weiß auch nicht aber das sagt mir irgendwie nicht zu. Berlin Mitte ist eine interessante aber leider zu teuer. Dann stoße ich auf eine WG in Schöneberg, eine 23-jährige Studentin und eine 22-jährige Einzelhandelskauffrau. Geräumiges Bad, separates WC, schlichte aber schöne Küche, das freie Zimmer enthält einen Schreibtisch, einen kleinen Kleiderschrank, ein kleines Bett. Es kann möbliert übernommen werden. Das hört sich gut an, auch wenn es mir kalt den Rücken runterläuft bei dem Gedanken in einem Bett zu schlafen, das mal jemand fremdes gehört hat. Ich schaue mir gerade die Kontaktmöglichkeiten an als plötzlich mein Vater hinter mir steht. „Du meinst das ernst? Du willst wirklich in eine WG? Rebecca das kannst du doch nicht ernst meinen!“ Er läuft nervös auf und ab. „Papa es ist mein Wunsch, ich glaube dann wird sich vielleicht auch das Verhältnis zwischen uns allen bessern. Wir könnten uns mehr freuen, wenn wir uns sehen, weniger streiten. Das wäre doch schön! Und so eine WG stell ich mir lustig vor, neue Leute, mehr Abenteuer. Papa ich will das, ich hab euch lieb und so aber ich glaube ich bin jetzt alt genug!“ „Du bist erst 21!“ „Das ist doch das perfekte Alter!“ „Ach Mäuschen ich hatte gehofft, dass dieser Tag erst später kommen würde. Aber ich werde dich immer unterstützen, ich hoffe das weißt du. Auch wenn es in letzter Zeit vielleicht nicht danach aussah.“ „Papa ich werde das machen und wenn ihr mich dabei unterstützen würdet, würde ich mich freuen, ansonsten mache ich es alleine!“ „Jetzt schlaf erstmal eine Nacht darüber und dann reden wir morgen in Ruhe nochmal darüber, okay?“ „Okay Papa“ Das ich schon eine Nacht darüber geschlafen habe verschweige ich ihm. „Gute Nacht Schatz“ „Gute Nacht Paps“ Ich widme mich wieder der Kontaktseite und beschließe dann morgen gleich nach Feierabend mal anzurufen.
Am nächsten Morgen bin ich wie erwartet immer noch zufrieden mit meiner Entscheidung und hoffe, dass meine Mutter mir nicht gleich am Morgen damit auf die Nerven geht. Ich schleiche mich also in die Küche in der Hoffnung meine Mutter befindet sich in einem anderen Teil des Hauses. Da sie natürlich weiß, wann ich frühstücke erwartet sie mich stattdessen in der Küche. „Guten Morgen Becchen“ „Guten Morgen Mama“ „Was möchtest du frühstücken“ „Ach wenn du so frägst wäre ein Rührei ganz nett“ „Klar mache ich dir“ Während ich mir was von dem übrigen Kaffee nehme und mir einen Toast in den Toaster stecke fängt sie tatsächlich an mir ein Rührei zu machen, irgendwas hat sie vor, zumindest ist das nicht normal. „Hast du dir das gut überlegt? Das mit der WG meine ich“ War ja klar „Ja Mama, meine Entscheidung steht fest!“ „Okay, okay“ Sie widmet sich wieder dem Rührei. Ich nehme meinen fertigen Toast und setze mich an den Tisch. Meine Mutter stellt die Pfanne mit dem Rührei vor mir auf den Tisch und setzt sich gegenüber von mir hin. „Ich kann dich verstehen wirklich, aber ich finde es schade, dass du ausziehen willst. Hier wird es nicht mehr das Selbe sein ohne dich“ „Mama ist gut jetzt, lass mich bitte essen, ich muss zur Arbeit!“ Resigniert steht sie auf und geht raus. Es tut mir weh sie so traurig zu sehen, aber ich kann nicht machen was sie will, wenn das nicht das ist, was ich will. Ich habe mir fest vorgenommen jetzt nur noch das zu tun was ich will. Das soll Teil meines Neustartes sein. Bevor ich das Haus verlasse suche ich dennoch nochmal nach ihr. „Mama, ich werde ausziehen, aber ich werde euch besuchen und ihr dürft mich besuchen. Ihr werdet mich nicht aus den Augen verlieren“ „Ich weiß doch, ich wünschte trotzdem ich könnte dich irgendwie umstimmen“ „Kannst du nicht, es ist Zeit für ein neues Kapitel in meinem Leben“ „Sag uns bitte Bescheid, wenn du Hilfe brauchst“ „Mach ich“ Ich trete auf sie zu und nehme sie in den Arm. Es ist seltsam, dass wir und nicht anzicken aber ausnahmsweise geht es auch nicht um meinen Job. „Ich muss jetzt wirklich los, heute Abend kontaktiere ich ein paar mögliche WG’s“ „In Ordnung, vielleicht dürfen wir uns die WG’s mal anschauen?“ „Natürlich, also bis heute Abend“ „Bis heute Abend“
Auf der Arbeit angekommen fühle ich mich gleich wohler, meine Kolleginnen sind für mich zu so was wie einer 2. Familie geworden. Sie scheinen mich besser zu verstehen als meine Eltern und mit ihnen kann ich über alles reden. Gut die meisten könnten alterstechnisch meine Mutter sein und haben auch Kinder in meinem Alter, vielleicht können sie mich deshalb irgendwie besser verstehen. Meine Kollegin will, dass ihre Töchter langsam ausziehen, warum müssen meine Eltern nur so klammern. Nachdem ich alle begrüßt habe mache ich mich besser gelaunt an meine tägliche Arbeit. Heute sind mal wieder die Ersatzdrogen dran für die Leute vom Substitutionsprogramm. Eine einfache aber zeitaufwändige Arbeit, vor allem wenn vorne viel los ist. Da meine Kollegin mit der BTM-Eintragung hinterher ist gehe ich als Erste vor. Nach ein paar Abholungen, unproblematischen Kunden mit Rezepten und üblichen Beratungsgesprächen kommt ein großer Mann rein. Ich gehe vor und schaue mir seine Privatrezepte an. Als ich ihn frage, ob seine Medikamente von bestimmten Herstellern sein sollen meint er gereizt „So wie immer!“ „Haben Sie ein Kundenkonto bei uns?“ „Nein ich möchte einfach nur meine üblichen Medikamente, kann ja wohl nicht so schwer sein!“ „Ja, wissen Sie denn welche Hersteller sie immer haben?“ „Nein“ „Und hatten Sie bei anderen Herstellern schonmal Probleme mit der Verträglichkeit?“ „Ja“ „Okay, also auf Ihren Rezepten stehen Medikamente von bestimmten Herstellern, aber ich kann nicht sicher sagen, ob das wirklich die Hersteller sind, die Sie immer haben. Ich kann Ihnen die zeigen, die wir dahaben.“ „Na dann machen Sie schon“ Ich sammle schnell alle Medikamente von den Rezepten vorne. „Die Packung passt nicht!“ „Okay, ich kann Ihnen alle Hersteller zeigen, die wir da haben“ Ich laufe also nach hinten und schnappe das Medikament von jedem Hersteller, den wir dahaben. „Nein davon ist es keines“ „Haben Sie die Packung noch zu Hause?“ „Ja“ „Sie könnten zu Hause nachschauen und es uns dann telefonisch durchgeben. Dann können wir es für Sie bestellen“ „Und dann muss ich wieder reinfahren oder wie?“ „Wir könnten es Ihnen auch nach Hause bringen“ „Dann machen wir das so“ „Möchten Sie die anderen Sachen gleich mitnehmen?“ „Natürlich, was denken Sie denn“ „Brauchen Sie Kopien von den Rezepten?“ „Ja“ Ich mache alles fertig und hoffe, dass der Kunde zufriedener ist als es scheint. Solche Kunden verunsichern immer, man scheint einfach nichts richtig machen zu können. „Was ist mit dem anderen Rezept?“ „Da ich noch nicht weiß welcher Hersteller es sein soll, kann ich es noch nicht bedrucken und auch noch nicht verrechnen, aber wir machen alles fertig und liefern Original wie Kopie mit und verrechnen es dann an der Haustür.“ „Meinetwegen, wars das dann?“ „Ja, das war alles, es sei denn Sie haben noch einen Wunsch“ „Nein“ „Okay dann noch einen schönen Tag, auf Wiedersehen“ „Ja, tschüss“
Das wäre geschafft und es ist Zeit für die Mittagspause. „Frau Ebinger, könnten Sie heute eine halbe Stunde später in die Mittagspause gehen?“ „Ja, klar“ Also arbeite ich noch weiter bevor ich eine halbe Stunde später in die Mittagspause gehe. Der restliche Arbeitstag verläuft ohne weitere Vorfälle und als ich Feierabend mache, habe ich eigentlich gar keine Lust nach Hause zu gehen.