Es geschah in jener Zeit, als Geburten von Babys erst bei den Menschen und später auch bei den Tieren auf der Erde immer seltener wurden. Alles drohte aus zu sterben. Das bemerkten zuerst natürlich nur die grünen Wald- und Wiesenmännchen und sie machten sich tüchtig Sorgen. Sie forschten in viele Richtungen, aber sie bekamen keine zufriedenstellenden Antworten. Da beschlossen sie den Kindern der Jägersfamilie erneut eine Aufgabe zu stellen.
Unter den sieben Kinder der Jägersfamilie befinden sich, wie ja jeder auf dem Bild der Siebenkindermutter sehen kann, Zwillinge.
Diese beiden Jungen zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie sich unheimlich ähnlich sehen.
Am gleichen Tag und in der gleichen Stunde auf die Welt und in den Märchenwald gekommen, als Baby stets die gleich aussehenden Strampelanzüge und Windeln angezogen und später als sie größer und größer wurden, die gleich aussehenden Anziehsachen, waren sie für jeden nicht zur Familie gehörenden Menschen nicht voneinander zu unterscheiden. Ja auch die Tiere des Waldes, zu denen sie öfter Kontakte hatten, hatten Schwierigkeiten die beiden zu unterscheiden.
Eigentlich war es aber auch gar nicht nötig sie genau zu unterscheiden, denn wann immer sie etwas taten, sie taten es gemeinsam und meistens auch noch gleichzeitig.
Eine Gewohnheit, die aus der Babyzeit stammte, in der sie immer nebeneinander an den Mutterbrüsten liegend, gleichzeitig tranken, gleichzeitig satt wurden, gleichzeitig laut vernehmlich einen Rülpser ertönen ließen und gleichzeitig einschliefen.
Gleichzeitig mussten ihre Windeln gewechselt werden und gleichzeitig bekamen sie auch ihre Kinderkrankheiten.
Später, als junge Knaben liefen sie nebeneinander und auch wieder gleichzeitig über Wiesen- und Waldboden, neckten gemeinsam Hasen, Rehe und auch den Fuchs.
In der Schule dann, ja sie steht noch immer neben dem Jasminbusch und Direktor Specht ist auch noch da, also in der Schule trieben sie oft gleichzeitig die gleichen Streiche, aber sie waren nicht anders, diese Streiche, als die der anderen Kinder.
Ungewöhnlich waren vielleicht ihre Namen?
Die Siebenkindermutter und der Jäger hatten nie so richtig überlegen müssen, wenn es um die Namen ihrer Kinder ging. Stets waren, zu der Zeit als die Siebenkindermutter mit einem ihrer Kinder schwanger wurde,
Künstler auf dem Marktplatz der Kleinstadt aufgetreten.
Berühmte Künstler mit berühmten Namen.
Auf dem Marktplatz erledigte die Siebenkindermutter, auch wenn sie schwanger war, ihre Wocheneinkäufe. Neben den vielen Verkaufsständen, an denen sie Stoff für die Bekleidung der ganzen Familie einkaufte, kaufte sie auch das Brot vom großen Stadt- Backofen. Aufmerksam verfolgte sie dabei die Aufführungen der Zauberer, Redner und Sänger auf dem Platz vor dem Brunnen. Und die besonders guten Künstlerinnen und Künstler hatten ja berühmte Namen.
Wenn ihr dann ein Vortrag, eine Darstellung, ein Gesang oder ein Gedicht besonders gut gefiel oder ein Held besonders heldenhaft war, dann merkte sie sich den Namen besonders gut und nannte das nächstfolgende Kind nach diesem.
Sogar der Ziegenbock bekam einen solch berühmten Namen, da war wohl der Anton aus Tirol mal auf dem Platz vor dem Brunnen aufgetreten?
Als nun die Zwillinge auf die Welt kamen, hatte sie nur für das erste Kind den Namen, denn sie wusste ja nicht, dass es Zwillinge sein würden. Sie nannte den ersten, der auf die Welt kam also Nanu, denn Tage zuvor war ein Eskimo mit gleichem Namen als Nasenkuss- Künstler aufgetreten und der hieß Nanu oder so ähnlich und seine Darbietung und Erzählung über das Leben der Eskimos hatte der Mutter so sehr gefallen, daher also dieser Name.
Kaum aber lag Nanu in einem weichen Tuch eingewickelt und laut krähend bei seiner Mutter, die dachte, dass sie auch diese Geburt schon überstanden hätte, da rief die Hebamme laut: „Achtung! Da kommt ja noch einer heraus!“ Dann dauerte es nicht mehr lange und es lag noch ein zweiter Junge da und brüllte mit dem zuerst geborenen im Duett. Verblüfft darüber, dass es nicht nur ein Baby sondern zwei auf einem Schlag geworden sind, rief die Siebenkindermutter : „Ach so!?“
Und so wurde dann der zweite Knabe Achso genannt. Wie schon am Anfang erwähnt, verbrachten die beiden mit ihren anderen Geschwistern beim Jäger und seiner Frau eine gute Kindheit. Als sie alt genug waren, gingen sie natürlich auch zur Schule. Sicher erinnert ihr euch noch.
Es war die kleine Waldschule mit Direktor Specht.
An jenem Morgen sind die Zwillinge mit leichten Kopfschmerzen zur Schule gegangen. Die letzte Nacht hatte ihnen beiden einen seltsamen Traum beschert. Babys und Störche spielten wohl eine wichtige Rolle. Aber wie das so mit den Träumen ist, am Morgen ist der größte Teil davon wieder verschwunden. Und im Laufe des Vormittags sind wieder so viele Dinge geschehen und Erlebnisse erlebt worden, da war der Traum wieder aus ihren Köpfen verschwunden.
Gerade ist der Unterricht beendet und die beiden gehen wieder nach Hause. An jenem Sommertag lag auf dem Rückweg von der Waldschule die Frische des eben vorbeigezogenen Gewitters. Der Gewitterregen hatte alle Grashalme sorgfältig gewaschen und auch die Blätter der kleinen Büsche am Rande der Wiese glänzend grün gemacht. Ein bisschen sehr geschwollen floss der Bach am Rande der Wiese daher, denn er hatte durch den Gewitterregen zusätzlich Wasser bekommen. Die letzten schwarzen Wolken am Himmel zogen schnell weiter und machten der Sonne Platz. Die Sonne muss ja immer nach den Gewittern die Trocknungsaufgaben erfüllen. Gerade eben blickten die ersten Strahlen auf die nasse Erde herab. Und sie konnten es deutlich sehen. Nanu und Achso liefen barfuss durch das noch nasse Gras am Wegesrand und ihre Füße strahlten vor rosiger Sauberkeit, ganz im Gegensatz zum staubigen Schmutzbelag an trockenen Sommertagen. Der Unterricht war beendet, die Streiche für diesen Schultag gespielt, der Tadel vom Schuldirektor Specht bei den Zwillingen zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus geflitzt und somit versprach der Rest des Tages nur noch Freude und Spiel.
Dachten die beiden.
Es kam aber anders. Gerade als sie die Wiese hinter sich lassen und in den Wald eintauchen wollen, zuckte ein ferner, letzter Blitz aus dem Restzipfel der einen schwarzen Gewitterwolke. Hin und her zuckte der grellgelbe Blitz, erst hoch oben am Himmel, dann aber immer tiefer zuckend geradewegs auf Nanu und Achso zu. Die beiden sahen ihn nicht kommen, denn sie hielten unten am Boden Ausschau nach Tieren, mit denen sie auf dem Heimweg noch spielen konnten. Augenblicke später hatte sie der Blitz bereits erreicht.
„Lllauter bbblaue und gggelbe Zacken sind nach allen Seiten weg gespritzt und dann hat es nur noch gggekracht. Danach waren sie wwwweg!“, bibberte und stotterte das kleine Eichhörnchen. Der Jäger und seine Frau haben es Stunden später bei ihrer Suche am Waldrand sitzend getroffen und nach den Zwillingen gefragt.
Es zitterte noch immer vom lauten Donner nach diesem Entführungsblitz, war noch benommen und konnte nicht einmal richtig sprechen.
Rat- und rastlos liefen die Eltern weiter, bis hin zur Schule und riefen dabei in alle Richtungen die Namen ihrer Zwillinge.
Nanu und Achso aber hatten diesen Donner nicht gehört und auch nicht die späteren Rufe ihrer Eltern. Sie fühlten nur, wie sie schnell und ohne die Möglichkeit es aufzuhalten in die Höhe gehoben wurden. Der Wind zerzauste ihre braunen Haare, die die Mutter gerade erst wieder kurz geschoren hatte. Es war ja Sommer und da waren kurze Haare besser für die Kopfbelüftung als lange, dichte Haare. Höher und höher wurden die Jungen getragen und weiter und weiter konnten sie über ihren Wald schauen. Bald schon entdeckten sie auch Menschen, die klein wie Ameisen auf der Erde herum liefen. Ein Dorf und eine Stadt sahen sie Minuten später und es fiel ihnen überhaupt nicht ein, Angst zu empfinden. Die Beiden waren ja ausgesprochen neugierig und es gab ja so viel zu sehen. Darum spürten sie zu Beginn nicht, dass sie inzwischen schon über den Wolken schwebten. Irgendetwas oder Irgendjemand hielt sie fest und trug sie weiter und weiter in die Höhe. Schon funkelten erste Sterne am immer tiefer blau werdenden Himmel. Nun erst zogen Nanu und Achso ihre Füße näher an sich heran, denn langsam wurde ihnen kälter. Auch kam es ihnen inzwischen doch merkwürdig vor, dass sie auf Irgendwas sitzend immer weiter hinauf getragen wurden. Weit unter ihnen flog ein großer Vogel auf einer unsichtbaren Linie von links nach rechts.
„Da sitzen auch Leute drauf!“,
rief Nanu Achso zu und der nickte. „
Das ist ja der 16,00- Uhr- Flieger, den haben wir sonst immer nur von unten sehen können. Bestimmt landet er bald auf der Erde und dann sind die Leute, die jetzt noch auf ihm sitzen, an ihrem Ziel angekommen. Aber ich hätte nun schon mal gerne gewusst, wo unser Ziel eigentlich ist!“
und dieses Mal nickt Nanu. Ja, auch er hätte es gerne gewusst.
Da hören sie auf ein quietschendes, kratzendes Geräusch. Beide schauen sich an. Quietschen und Kratzen? Das hatten sie doch gerade erst in der Schule gehört, als Direktor Specht mit der Kreide an der Tafel. Schnell greifen die Zwillinge in ihre Schultasche. Tatsächlich! Da ist doch dieser Griffel aus seiner Holzschachtel herausgekrochen und schreibt im Dunkel der Schultasche etwas auf die kleine Tafel, die es damals anstatt der Schulhefte für jeden Schüler gab. Da steht nun ein Wort.
„Ziel“
Es sieht ein bisschen krakelig aus, dieses Wort, weil jeder Buchstabe krumm und schief stand. Aber man muss es verstehen, denn der Griffel schrieb ja in der Dunkelheit der Schultasche.
„Los schreib weiter!“,
laut rufen die Zwillinge es dem Griffel zu, denn sie glauben, der Griffel würde ihnen nun das Ziel ihrer Reise aufschreiben.
„Dreht euch doch mal um.“,
so schreibt der Griffel. Erstaunt drehen sich Nanu und Achso um und spüren gleichzeitig, dass der Aufstieg beendet ist.
Vor ihnen liegt eine breite Treppe aus Wolkenwatte. Die Stufen waren die helle, fast weiße Wolkenwatte und die dunklen Gewitterwolken bildeten das Treppengeländer. Schnell packt Achso den Griffel wieder in seine Schultasche und Nanu macht das Gleiche mit seiner Schultafel. Schnell sind auch wieder die Schulranzen auf den Rücken geschnallt. Tief dringt ein Fuß in die Wolkenwatte ein. Es ist Nanu, der den ersten Schritt wagt und nun ruft:
„Los komm Achso, die Treppe hält!“
Dann steigen beiden mit wackligen Füssen, denn die Treppe aus Wolken ist nicht gerade eine trittsichere Geschichte, noch ein bisschen höher hinauf. Schwerer und schwerer fällt ihnen nun das Luftholen. Auf jeder Stufe bleiben sie einen Augenblick stehen. Einerseits, damit sie sich verschnaufen können und andererseits, weil sie vor Ungeduld gar nicht mehr schneller voran kommen wollen. Ihre gespannte Erwartung ist nämlich mit einer Menge Angst verbunden. Schließlich wissen sie nicht, was sie am Ende der Treppe erwartet. Aber herausbekommen wollen sie es schon! Wird es ein böses Monster sein, das sie sogleich verschlingen will, wenn sie den letzten Absatz der Treppe erreicht haben? Ist es gar eine zauberhafte Fee, die ihnen sogleich drei Wünsche erfüllen würde? Oder ist es der Mond oder die Sonne, die sie soweit nach oben gebracht haben?
„Uff!“,
schnauft nun Achso und:
„Nanu, warte doch mal. Wir sollten beide gleichzeitig den letzten Schritt auf der Treppe da oben tun. Vielleicht hat es ja etwas mit uns als Zwillinge zu tun, dass wir bis hier oben gekommen sind!?“
Schon nähern sie sich der letzten Treppenstufe. Noch ist nicht zu erkennen, was sie da oben erwartet. Laut pusten sie und greifen sich für das Betreten der letzten, obersten Treppenstufe an die Hände.
Mit Schwung, sozusagen wild entschlossen, springen sie gemeinsam auf die höchste Stufe. Wieder blitzt ein hellgelber Blitz an der Stelle auf, an sie beide stehen und ein kraftvoller Donner mit nach hallendem Grollen klingt in den Ohren. Dann ist die Treppe verschwunden und Nanu und Achso staunen über eine ihnen völlig unbekannte Welt.
Rote und blaue Farben beherrschen das Blickfeld. Auch Weißes ist deutlich zu erkennen. Riesige Pilze stehen an einer breiten Straße. Ja, die Pilze sind die Häuser. Sie haben Fenster und Türen. Manche dieser Pilzhäuser sind sehr hoch, und die Zwillinge erkennen, dass die Bewohner dort mehrfach übereinander gestapelt wohnen. Auch auf der Strasse ist auch etwas los. Da sehen sie riesige Ameisen, die wohl eigentlich im schnellen Lauf über die breite Strasse flitzen. Hinter sich ziehen sie Schneckenhäuser auf Rädern. Die Schneckenhäuser haben an den Seiten ausgeschnittene Fenster und vorne sind die Zügel zu erkennen, mit denen irgendein Lenker in dem Schneckenwagen den Lauf der Ameise lenkt. Aber an schnelles Laufen ist nicht zu denken. Ameise neben Ameise und Schneckenwagen neben Schneckenwagen ziehen auf der Straße dahin. Dichtester Verkehr scheint zu herrschen. In der Luft liegt ein vielstimmiges Greinen und Jammern. So jedenfalls erscheint es den Beiden und das Jammern, Wimmern und Greinen klingt auch aus den Fenstern der Wohnpilze. Vorsichtig nähern sich die Zwillinge der Straße, die sich zwischen den Pilzhäusern, ausgebreitet von links nach rechts erstreckt. Weder den Beginn noch das Ende dieser Straße können sie erkennen.
Da hält plötzlich eine Ameise mit Schneckenwagen direkt auf sie zu. Quer durch das Schneckenwagengewimmel. Die Zwillinge sind sofort bereit schnell zur Seite zu springen, falls die Ameise keine Bremse findet, um anzuhalten. Aber sie findet die Bremse, indem sie die vorderen zwei Beinpaare tief in den Staub der Strasse stemmt und mit dem dicken Hinterteil auch den Schneckenwagen aufhält. Puhh, nun steht alles still. Und während alle anderen Schneckenwagen mit ihren Zugameisen nun einen Bogen um den stehenden Wagen fahren müssen schauen die Zwillinge auf den Schneckenwagen vor ihnen.
In den Fensterausschnitten ist nichts zu erkennen. Vorne, da wo die Zügel für die Ameisenlenkung herauskommen, raschelt es und ganz aufmerksame Gucker können auch schnelle Schatten oder Bewegungen sehen,
Dann schwingt eine Tür am Schneckenwagen weit auf. Eine kleine Treppe schiebt sich, wie von unsichtbarer Hand bewegt, aus dem Schneckenwagen. Nun ist ein Fuß zu erkennen, an dem steckt ein roter Schuh. Dann kommt ein Bein aus dem Schneckenwagen, ein Körper in rote Tücher gehüllt und dann können die Zwillinge die ganze Gestalt erkennen.
„Baby´s ? Babys sind das, die mit einem Schneckenhaus und einer Ameise davor, durch die Gegend fahren?!“,
verblüfft und gleichzeitig trompeten die Zwillinge ihr Erstaunen heraus. Schnell und zappelig fragen sie weiter:
„He Baby, was machst du denn hier und wieso sind wir hier oben angekommen?“.
Da lacht ihnen ein fröhliches Baby- Gesicht zu:
„Hallo ihr beiden Brüder, meine künftigen Brüder. Ich habe euch gerufen, weil ihr uns hier oben im Storchenarsenal helfen müsst. Aber, habt ihr dieses Storchenarsenal denn nicht gleich erkannt? Hier habt ihr doch auch einmal gewohnt, gleich da unten, in der ersten Etage von dem Riesenpilz da drüben.“
und zeigt mit seiner kleinen Hand auf ein Pilzgebäude , gleich auf der anderen Seite der Straße. Achso und Nanu folgen erstaunt mit ihren Augen der Handrichtung und flüstern, schwatzen und sabbeln dabei:
„Nee, was, wir, hier gewohnt ? Das wissen wir nicht mehr!“
Darauf lacht das Baby sie an und sagt:
„Achso! Dann haben die anderen recht, die immer sagen, wenn wir hier einmal fort sind, dann vergessen wir gleich alles vom Storchenarsenal. Aber steigt doch erstemal ein, dann können wir uns über alles unterhalten.“
Erst war es ein bisschen eng in dem Schneckenhaus, aber schon nach wenigen Metern, das Baby hatte die Ameise und das Schneckenhaus wieder in den Strom der anderen Fahrzeuge eingereiht, fühlten sich die Sitze weich und bequem an. Da das Schneckenhaus im Fahrzeugstrom sozusagen mit schwamm, konnte sich das Baby mit seinen künftigen Brüdern unterhalten.
„Ihr habt es vielleicht schon bemerkt, hier im Storchenarsenal ist es sehr eng geworden. Viel zu viele Babys bleiben viel zu lange hier oben und werden nicht mehr zu ihren Eltern gebracht. Die Störche kreisen zwar noch herum, nehmen aber keinen einzigen von uns mehr mit. Früher ging es viel schneller. Jeden Tag kamen die Störche und holten die Babys ab. In langen Wickeltüchern, deren obere Enden sie in ihren Schnäbeln hielten lagen die Babys, gerüstet für den langen Flug nach unten auf die Erde. Eine kleine Babyflasche mit sahniger Milch war Reiseproviant für den Flug und pünktlich kamen die Babys dann bei ihren Eltern an. Da konnte es schon mal passieren, dass eine Ameise alleine auf der Straße ein wildes Rennen lief...“,
nachdenklich schaut das Baby aus dem Schneckenhausfenster.
„Seht nur heraus, wie sollte das auf dieser Straße wohl gehen? Wagen an Wagen, und nur noch in einem Tempo, das Schnecken glatt noch überholen könnten, wenn sie hier wohnen würden.“,
wie klagend schaute die Babyschwester ihre künftigen Brüder an und sagte weiter:
„Eigentlich sollte ich ja auch schon lange bei euch auf der Erde wohnen, aber kein Storch kommt mich holen.“.
Mit offenem Mund staunen Nanu und Achso ihre Kleine Schwester, die Sichtfenster vom Schneckenhauswagen an.
„Ist das ein Babystau?“
fragt Nanu ungläubig und Achso setzt noch einen drauf;
„Streiken hier die Störche?“
„Das sollt ihr ja beide herausbekommen und klären, deswegen habe ich euch ja gerufen. Wenn ihr es nicht könnt, dann allerdings werden wir uns niemals wieder treffen und ich werde auch nicht eure Schwester. Und das wäre doch traurig, oder?“.
Fast zieht das Baby vor den beiden Zwillingen einen Flunsch, besinnt sich dann und sagt weiter:
„Aber los, kommt erstemal mit. Wir können uns ja in meinem Zimmer hinsetzen, etwas Milchbrei futtern und alles Weitere bereden.“.
Gesagt und etwas langsamer getan. Nach ungefähr einer halben Stunde haben sie ihr Ziel erreicht. Das Baby hat die Ameise von der großen Straße auf eine etwas kleinere gelenkt. Etwas weniger eng ging es da zu und daher auch etwas schneller. Sie kamen vor einem der Pilzhäuser an.
„Wir müssen in die dritte Etage!“,
meinte das Baby, kurz nach dem es aus dem Fahrzeug geklettert war. Und während die Ameise mit einem kleinen Stück Zucker, das ihm das Baby gereicht hatte, hinter dem Pilzhaus verschwand, kletterten die drei im Inneren des Pilzhauses eine Treppe hinauf. Bald kamen sie bei der Wohnung der künftigen Schwester an. Wir wissen es ja schon, diese Wohnung befindet sich in einem Pilz. Die Außenwände sind alle bauchig und rund.
„Dadurch kann ich sehr bequem am Fenster stehen und nach draußen schauen. Zum Beispiel um nach den Störchen Ausschau zu halten.“,
erklärt ihnen Baby, während sie auf dem runden Sofa Platz nehmen.
„Wieso kommen die Störche denn nun nicht?“,
fragt Achso und bekommt als Antwort:
„Na das sollt ihr ja heraus bekommen!“.
Dabei schaut Baby an als wolle es sie fragen, warum sie das nicht wissen.
„Also, dann sag uns doch mal seit wann die Störche nicht mehr her kommen und Babys abholen.“.
versucht Nanu nun etwas systematischer an die Lösung zu kommen.
„Auf der Erde war wohl gerade Weihnachten vorbei, da hörten die Transportflüge auf.“,
laut überlegt die Babyschwester.
„Oder ... war es vielleicht noch früher?“,
überlegt sie weiter.
„Ja, ist denn da etwas Besonderes passiert?“,
fragt Nanu und Achso fügt hinzu:
„Gab es einen lauten Knall? Ist etwas eingestürzt oder kaputt gegangen?“
Aber nichts war geschehen, was das Baby bemerkt hätte, nicht was den anderen Babys im Storchenarsenal aufgefallen wäre. Nur, dass es im Storchenarsenal immer enger wurde. Achso und Nanu überlegten laut:
„Bei uns auf der Erde gab es auch keine längere Trockenzeit. Und Frösche und Schlangen als Storchennahrung gab es auch genug und in der Umgebung waren alle Storchennester in jedem Jahr besetzt worden. Also sollte es genügend Störche geben.“,
so ihr Fazit. Ratlos saßen sie mit Baby am Tisch und langsam zog der Abend heran.
„Was jetzt wohl die Eltern auf der Erde machen?“,
fragen sich laut die Zwillinge.
„Das können wir schnell heraus bekommen!“,
tönt es laut von der künftigen Schwester.
„Wir gehen einfach auf die Terrasse hinter der Wohnung und schauen durch das Schlüsselloch!“
„Das Schlüsselloch?“,
fragen erstaunt die Zwillinge und fahren fort;
„Dann muss es doch auch eine Tür geben!“
„Eine Tür?
Nein, die gibt es da nicht. Aber eine gepolsterte Luke. Durch die rutschen die Babys normaler Weise, wenn sie von den Störchen abgeholt werden. Und das Schlüsselloch befindet sich genau in der Lukenmitte, oben rechts, also in östlicher Richtung gesehen. Aber kommt lasst uns hinaus gehen!“,
sagt die künftige Schwester. Sie rutscht vom weichen Sofa, packt mit der einen Hand das dicke Paket von Windeln an ihrem Hintern und watschelt eilig in Richtung Teerasse. Die Zwillinge folgen neugierig, schließlich können sie sich einfach nicht vorstellen, dass so eine Luke hinter der Wohnung, auf einer Terrasse vorhanden sein soll, die in der Mitte ein Schlüsselloch hat.
Auf der Terrasse angekommen, erkennen die Zwillinge weitere Babys. Überall kriechen sie auf ihren kleinen Händchen und Beinen herum. Manche kriechen im Kreis herum, andere zielgerichtet in die linke Terrassenecke.
„Da wollen wir auch hin.“,
erklärt Baby laut,
„Da ist die Luke.“
Neugierig folgen die Zwillinge ihrer künftigen Schwester. Erst jetzt bemerken sie, dass der Terrassenboden mit weichen, weißen Tüchern ausgelegt ist und die krabbelnden Babys daher auch keine Schürfwunden an den Knien bekommen. An einer freien Stelle angekommen, verharrt Baby und bedeutet den Zwillingen mit einer Handbewegung sich an ihre Seite zu setzen.
„Und watt jetzt?“,
fragt Achso im Dialekt seiner Schulklasse.
„Schau doch einfach mal hinauf!“,
mit dem Zeigefinger der rechten Hand weißt die künftige Schwester auf eine Stelle nach oben, da wo auf der Erde stets der Himmel zu finden ist.
„Oohh!“,
nun staunen beide Brüder um die Wette.
Eine breite, quadratische Luke in zarten rosafarbenen Tönen schwebt direkt über ihren Köpfen. Nicht zu weit entfernt, sondern nahe genug, damit sie in der Mitte die Öffnung erkennen, die ihre künftige Schwester Schlüsselloch nannte.
„Was wohl Nanu und Achso jetzt machen?“,
eine traurig fragende Siebenkindermutter und der ganze Rest der Familie sitzen ebenso traurig am großen Familientisch und sehen sich an. Deutlich können es die Zwillinge und ihre künftige Schwester sehen und hören.
„Hier sind wir doch! Könnt ihr uns nicht sehen!“,
rufen die beiden aufgeregt in Richtung Luke und Schlüsselloch. Und
„Mama, Papi, Marie hier sind wir!“
„Sie können euch nicht hören, sie können euch nicht sehen.“
beteuert die künftige Schwester und sagt weiter:
„Wenn sie es könnten, dann hätte ich ja euch nicht hierher holen müssen, versteht ihr!?“
Na klar, verstehen die Zwillinge ihre Schwester, aber es war für sie so sehr überraschend, dass sie gar nicht anders konnten, als zu rufen.
„Habe es selber oft genug versucht, unsere Fragen zu euch zu senden, aber nie ist etwas bei euch angekommen, es geht nur umgekehrt.“,
erklärt die künftige Schwester. Da plötzlich stutzen die Zwillinge.
„Der Traum!!“
„Was für ein Traum?“
fragt nun die künftige Schwester.
„Na in der vergangenen Nacht! Mit Babys und Störchen. Wir hatten noch auf dem Weg zur Schule Kopfschmerzen davon!“
antworten erstaunt und aufgeregt die Zwillinge.
„Dann geht es doch!“
rufen nun alle drei,
„Wir können die Erde erreichen!“.
Nanu und Achso bemühen sich natürlich zuerst die Eltern und die auf der Erde um sie bangenden Geschwister zu erreichen. Beide hatten hochrote Köpfe, als sie dem Rat ihrer künftigen Schwester folgten und sehr intensiv an die auf der Erde dachten. Sehr intensiv denken ist gar nicht so einfach, stellten sie nach einer Weile fest. Erst am nächsten Morgen würden sie wohl sehen können, ob ihre Anstrengungen erfolgreich waren. Bestimmt würden Eltern und Geschwister sich am Frühstückstisch von einem gemeinsamen Traum erzählen. Und die Zwillinge und ihre künftige Schwester könnten, zu mindestens vom Storchenarsenal und seiner rosa Luke mit Schlüsselloch aus, dieses gemeinsame Frühstück begleiten.
„Guck mal, da sitzt ja Paule!“,
ruft plötzlich die künftige Schwester. Da, auf der linken Seite des Ausschnittes, den das Schlüsselloch auf die Erde frei gegeben hat, kann man Paule, den Storch von Radekow deutlich erkennen.
„Aber das ist nicht Radekow, das ist ja eine Tierversuchsstation!“,
erschrocken rufen es Nanu und Achso. Gerade erst hatten sie in der Waldschule darüber erfahren, dass es solche Stationen gibt.
„Direktor Specht hat erklärt, dass dort alles mögliche ausprobiert wird. Zum Beispiel wie ein neues Medikament wirkt, dass den Menschen helfen soll, zum Beispiel keinen Schnupfen mehr zu bekommen.“,
erklärt Nanu und Achso nickt sein „Ja“ hinterher.
„Meinst du, die Menschen haben nun ein Medikament für das Fliegen entwickelt und wollen es am Paule ausprobieren?“,
so wütend haben die beiden Brüder ihre künftige Schwester noch nicht erlebt. „Das siehst doch ein Blinder mit einem Krückstock, dass der Paule da unten bei den Menschen nicht glücklich ist. So ein kleiner Käfig. Paule ist daran gewöhnt hoch oben am Himmel umher zu schweben, von einem Windhauch zum anderen. Nein, das da unten macht keinem Tier Spaß! Da muss man doch etwas dagegen machen!“,
wütend blitzen die blauen Augen der künftigen Schwester. Dann greift sie zu einem kleinen Kästchen auf dem Tisch und drückt einen gelben Knopf tief in das Gehäuse hinein.
„Prrrrbbb“,
klingt ein merkwürdiges Geräusch aus dem merkwürdigen Gerät, dann klappert eine Storchenstimme los:
„Krrrlapperdiklapp, gibt es was neues? Klapp.“
Schnell sprudelt es aus der künftigen Schwester:
„He, wir haben Paule gefunden. Er ist auf der Erde. Gefangen. In einer Station. Für Versuche und so.“
Aus dem Kasten mit dem gelben Knopf tönt es:
„Klapperdiklapp. Dann bringt ihn wieder hier herauf, erst wenn Paule wieder im Arsenal ist, dann bringen wir die Babys wieder zu den Eltern auf der Erde. Klapp!“
Bereitwillig rufen die Zwillinge laut:
„Na klar, machen wir. Bringt uns nur irgendwie wieder hinunter, dann flitzen wir zum Paule und befreien ihn aus dem Käfig.“
Erwartungsvoll sehen die Zwillinge und ihre künftige Schwester auf das merkwürdige Kästchen auf dem Tisch. Nicht geschieht. Kein Ton klingt auf, kein Storchenklappern. Stille!
Wieder blitzt ein hellgelber Blitz an der Stelle auf, an sie beide stehen und ein kraftvoller Donner mit nach hallendem Grollen klingt in den Ohren.
Dann stehen die Zwillinge wieder auf der Wiese über die ihr Weg führt, wenn sie von der Schule nach Hause gehen.
„Nicht mal Tschüß haben wir unser kleinen Schwester sagen können“,
klagt Nanu.
„Wir werden sie sicherlich bald wieder sehen!“
antwortet Achso und beide laufen mit schnellen Schritten nach Hause.
„Na da sind sie ja wieder!“,
ruft ihnen das kleine Eichhörnchen ganz ohne Stottern hinterher.
Schon sind die beiden zu Hause angelangt, wo ein großes HALLO stattfindet und die Fragerei kein Ende nimmt.
Wo sie den gewesen wären und das das Eichhörnchen gestottert habe, vor Schreck, Angst und Aufregung. Und das die ganze Familie in der vergangenen Nacht den gleichen Traum hatte, nämlich den von der künftigen Schwester die Besuch von den Zwillinge hatte.
„Na dann wisst ihr ja Bescheid!“,
rufen die Zwillinge fröhlich aus.
„Los wir müssen Paule befreien! Dann kommen wieder Babys für alle auf die Erde.“
Die kleinen grünen Weisenmännchen sorgen gleich am nächsten Tag dafür, dass die Zwillinge schnell und ohne große Umwege zu der Versuchsstation kommen, wo Paule betrübt in seinem engen Käfig steht und sehnsüchtig an die Decke des Raumes schaut, über der er den Himmel vermutet, an dem er sonst immer mit weit ausgestreckten Flügel schwebt. Und während Nanu mit dem Wächter der Versuchsstation einen Streit entfacht, der dessen ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, schleicht sich Achso zu den Käfigen, in denen nicht nur Paule sondern auch viele andere Tiere traurig herum sitzen. Einen nach dem anderen klicken die Haken, die die Käfige verschlossen hatten. Einer nach dem anderen verlassen die Tiere ihre Käfiggefängnisse. Und auf
„Los!“
von Achso rasen alle Tiere gleichzeitig in Richtung Ausgang. Völlig überrascht vom Ansturm der vielen Tiere, viel zu spät da durch Nanu abgelenkt versucht der Wächter noch eine Schranke zu schließen oder eines der Tiere am Schwanz zu erwischen. Aber mit den Zwillingen verschwinden alle Tiere aus der Versuchsstation der Menschen und flitzen zurück. In ihre Nester, Höhlen oder sonstigen Behältnisse, die ihnen und ihren Familien als Wohnung dienen.
Paule flitzte mit den Zwillingen auf seinen langen roten Beinen um die Wette, bis alle völlig außer Atem am Waldhaus ankamen.
Vor dem Haus steht der Jäger und drückt die Zwillinge fest an seine Brust, so sehr freut er sich darüber, dass sie wieder zu Hause sind. Die Siebenkindermutter, die nun wahrscheinlich einen neuen Namen braucht, denn das achte Kind ist schon deutlich an dem dicken Bauch der Mutti erkennbar, freut sich genauso und küsst sie und herzt sie, dass es nur so eine Freude ist. Alle anderen Geschwister toben wie wild um die Zwillinge und um Paule herum, der sich schon etwas ängstlich an die Zwillinge drückt, die er ja nun als seine Befreier kennt. Dann wendet er sich entschlossen den Zwillingen zu:
„Ihr habt tapfer und mutig dafür gesorgt, dass ich frei geworden bin. Deswegen nehmen ab sofort die Störche aus dem Storchenarsenal wieder ihre Aufgabe wahr, die Babys der Menschen und Tiere zur Erde zu bringen. Tiere und Menschen danken euch von ganzem Herzen. Und als Anerkennung für euren Mut werdet ihr die ersten sein, die nach langer, langer Zeit wieder ein Schwesterchen bekommen.“,
sprach es sehr feierlich und hob dann von der Erde ab. Schon bald konnten ihn alle auf dem Weg zum Storchenarsenal am Himmel schweben sehen.
Freudig überrascht schaut die Mutter ihre Zwillinge an.
„Ein Mädchen wird es sein!?“
Nanu und Achso lachen ihrer Mutter ins Gesicht:
„Ja, es wird ein Mädchen!“