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Poesie => Dies und Das


Meine Freundin - von Pedro, 21.09.2010
Meine Freundin

Dunkel war es. Es regnete. Maria fuhr langsam die Steigung hoch. Die Straße schien immer enger zu werden. Die Bäume an beiden Seiten rückten näher. Bedrohlich sah das Ganze aus.
Sie hatte eine CD eingelegt, „Blaue Stunden“, und hörte das Lied „Meine Freundin“.
Heike hatte sie ihr geschenkt.

Kürzlich in einer sternklaren Nacht,
Hat sie meinem Mann das Bett gemacht – meine Freundin.

Morgen würden sie nach Nizza fahren, da lag das neue Boot von Jürgen. Endlich hatte er die Segelyacht gekauft. Sie würden zusammen mit seiner Frau in See stechen. Zunächst an der Küste entlang, dann nach Korsika. Die Insel wollten sie umsegeln. Hoffentlich waren nicht so viele Touristen unterwegs.

Am Morgen stand er zerfetzt vor der Tür,
ich fragte ihn herzlich, wie geht es dir – und meiner Freundin.

Hatte Heike etwas gemerkt? Jürgen und sie waren sehr vorsichtig gewesen. Der Regen wurde stärker, sie fuhr jetzt langsamer.

Wir teilen den Mann und wir teilen das Kind
Am Himmel jeden Stern, weil wir Freundinnen sind – gute Freundinnen.

Hatte sich Heike dabei was gedacht, als sie ihr diese CD schenkte?
Jetzt war sie auf dem Kamm angekommen, beschleunigte etwas, sah im letzten Moment, dass eine Frau auf der Straße lag und versuchte eine Vollbremsung. Der Wagen fing an zu schleudern. Sie riss das Steuer herum, um an der Frau vorbei zu kommen und merkte, dass sie die Kontrolle verloren hatte. Das Auto schlingerte, drehte sich und dann spürte sie nur noch einen Schlag gegen ihren Kopf.

Der Wagen war von der Straße gerutscht, gegen einen Baum geprallt. Ein Scheinwerfer funktionierte noch. Mühsam quälte sie sich aus dem Auto. Die Airbags waren aus unerfindlichen Gründen nicht ausgelöst worden. Sie war in den Gurt gefallen, konnte kaum noch atmen, merkte, dass Blut über ihr Gesicht lief. Gegen die Frontscheibe war sie geprallt.
Sie dachte noch, dass sie morgen nicht nach Nizza fahren könnte. Dann wurde ihr schwarz vor Augen.
Die CD konnte sie hören.

Ich pflücke ihr einen Rosenstrauß,
Solange der Himmel noch hell.
Ich wollte, ich wär’ eines Bluts
Und einer einzigen Seel’ – mit meiner Freundin.

Als Maria wieder zu sich kam, regnete es noch immer. Ihr Kopf schmerzte und das Atmen fiel ihr schwer. Irgendwie gelang es ihr, aus dem Auto zu kommen.
Sie hielt sich an der Tür fest und sah im Scheinwerferlicht die Frau auf der Straße. Sie lag mitten auf dem Weg, auf dem Rücken. Maria merkte, dass sie sich nicht länger auf den Beinen halten konnte und setzte sich auf den Boden. Dann kroch sie zu dieser Frau und schaute sie an:
Ihre Augen waren geschlossen. Regen lief über ihr Gesicht, wusch das Blut ab, das aus einer Wunde am Kopf tropfte.
Vierzig Jahre war sie etwa alt, so alt wie sie. Ihr helles Kleid war mit Schlamm befleckt, ihre Bluse zerrissen. Einen Schuh hatte sie nur noch an. Schöne Beine hatte sie, attraktiv sah sie aus.

Die CD lief immer noch im Auto.

Sie jammert, sie sei tags nicht schön.
Man müsse nur ihre Schenkel ansehen – arme Freundin.
Doch ich kenne keinen Mann, der nicht sehnsuchtsvoll
In ihren schwellenden Wellen ertrank und versank – in meiner Freundin.

Schlamm hatte Marias hellen Rock verschmiert, ihre Bluse war zerrissen, ihr fehlte auch ein Schuh.
Die Frau sah aus wie sie und war tot.
Sie kroch zum Auto zurück. Ihr Handy musste hier irgendwo sein. Sie fand es, wählte die Notrufnummer und verlor das Bewusstsein.

Als sie wieder zu sich kam, blinkten überall blaue Lichter, es regnete immer noch. Männer hoben sie auf eine Tragbahre. Ihren Schuh hatten sie ihr auch wieder angezogen.
Die Frau lag nicht mehr auf der Straße.
Sie luden sie in den Krankenwagen ein. Wo die andere sei, fragte sie. Sie schauten erstaunt:: „Welche andere?“ – „Na die tote Frau, die da auf der Straße lag“, sagte sie. Sie hatten keine andere Frau gesehen, keine Tote, glaubten wohl, dass sie fantasierte.
Bevor sie die Tür schlossen, konnte Maria noch einen Schuh sehen, der da auf der Straße lag. Die hatte die gleichen Schuhe wie ich, dachte sie.

Maria lag in einem Bett, Flüssigkeit lief durch einen Schlauch in ihren Arm. Sie spürte den Verband an ihrem Kopf. Ein Bein war in Gips.
Neben ihr war noch ein Bett. Eine Frau schaute sie an.
Sie hatte eine Infusion an ihrem Arm, einen Verband um ihren Kopf und ein Bein in Gips.
Schmerzen hatte sie keine mehr. Sie konnte die Augen nicht mehr offen halten, fühlte sich unendlich müde. Sie dachte, die andere sieht aus wie ich. Und wunderte sich, dass sie sich darüber nicht wunderte.


Später Nachmittag. Maria lag in der Schiffskoje.
Lange geschlafen hatte sie, fühlte sich völlig kaputt. Irgendetwas hatte sie geträumt. Sie konnte sich aber nicht erinnern.
Das Schiff war jetzt auf hoher See. Zusammen hatten sie Mittag gegessen, viel Wein getrunken. Heike war fast am Tisch eingeschlafen. Jürgen schenkte ihr immer wieder nach und brachte sie dann ins Bett.
Danach war er zu ihr gekommen.

Heike und sie kannten sich schon aus dem Kindergarten, hatten viel zusammen unternommen und erlebt, gemeinsame Pläne gehabt.
Sie hörte Musik über die Bordanlage „Blaue Stunden“, eine Lieblingsplatte von Heike.

Ich spielte im schönsten Kinderglück
An Nachbars Franz seinem äußersten Stück – mit meiner Freundin..
Ich wollte mit ihr nach Australien zieh’n,
im Känguruh – Beutel Verstecken spiel’n – mit meiner Freundin.

Durst hatte sie, Heike brachte ihr ein Glas Wasser. Müde wurde sie jetzt, unendlich müde. Und wieder hörte sie die Musik.

Unser Haus ist so rot von der Rosenpracht
Und ich träumte sie hätte mich einsam gemacht – meine Freundin.

Heike stand vor ihr, band ihre Füße und ihre Hände mit Schnur zusammen. Sagte kein Wort, schaute sie nur an. Sie versuchte sich zu wehren, schlug um sich.
Sie merkte, dass sie die Treppe hoch geschleift wurde, wollte schreien, konnte aber nicht. Jetzt waren sie auf Deck, Heike band ihr irgendetwas Schweres an ihre Füße und zog sie über den Boden. Sie versuchte aus dem Alptraum aufzuwachen, wollte die Augen öffnen.

Erst als sie ins Wasser fiel, merkte sie, dass sie wach war, dass sie nicht träumte.
Den letzten Vers des Liedes hörte sie nicht mehr.

Und gestern in einer sternklaren Nacht
Hab’ ich meine Freundin umgebracht – tote Freundin.
Ich senkte den Blick und vergaß meinen Traum
Und ihre Lippen lächelten kaum – schöne Freundin.

Lied: CD
Susanne Weinköppel
Blaue Stunden


























>Die Kritiker nehmen eine Kartoffel, schneiden sie zurecht, bis sie die Form einer Birne haben, dann beißen sie hinein und sagen: „Schmeckt gar nicht wie Birne.“< (Max Frisch)



©2010 by Pedro. Jegliche Wiedergabe, Vervielfaeltigung oder sonstige Nutzung, ganz oder teilweise, ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Autors unzulaessig und rechtswidrig.

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