Die Frau des Bauern riecht nach Knoblauchwurst und Schweiß. Ständig ist ihr warm. Ständig schwitzt sie. Dabei ist sie dürr wie ein Schilfrohr. Keine Rundung, keine noch so zarte Wölbung ist unter ihrer Kleidung zu erahnen. Was sie auch trägt, es passt ihr nicht, ist immer zu groß, hängt immer an ihr herunter wie ein Vorhang. Ihr dunkelbraunes von ersten grauen Fäden durchwobenes Haar endet in Höhe ihrer knochigen Schultern. Kein Scheitel, kein Schnitt, keine Fasson. Nur Haar. Schlicht. Praktisch. Zu kurz, um Weiblichkeit anzudeuten, zu lang, um burschikos zu wirken. Es ist einfach nur da, so wie ihr ganzer Körper einfach nur da zu sein scheint. Ohne höheren Zweck. Einzig, um zu arbeiten, zu schwitzen und nach Knoblauchwurst zu riechen.
Obgleich klein von Wuchs, feingliedrig und blass, hat die Frau des Bauern nichts Zierliches an sich. Ihr Gang ist der eines Knechtes, ihre Bewegungen sind eckig, fast schon grobschlächtig. Sie spricht nicht viel, und wenn sie es tut, kommen ihr die spärlichen Worte nur als verhaltenes Raunen über die Lippen. Eintönig, einsilbig, ohne Leben. Das Lebendigste an ihr sind ihre Hände. Nicht ihre braunen Augen, nicht ihr Blick, der oft so ungetrübt und reglos auf mir geruht hat wie der Himmel im Spätsommer. Es sind die kleinen Hände. Gerötet, trocken, rissig. Ihre Hände sind fast immer in Bewegung. Auch jetzt, da die Frau des Bauern mit hängenden Schultern vor mir steht, nesteln ihre ruhelosen Hände fahrig an ihrer verschwitzten Leinenbluse. Ich habe diese Hände geküsst. Behutsam. Zärtlich. Voll Liebe. Im vergangenen Herbst. Am letzten Tag der Ernte.
Sie hatte geweint, geradezu geschluchzt. Auf ihre stille dunkle Art. Über ihren bleichen Wangen, die kein Sommertag zu tönen vermag, waren Ströme von Tränen niedergegangen. Ungewollt vielleicht. Nicht unverhofft. Ich habe ihre Hände geküsst, geschworen, ihr all das zu schreiben, was ich in den wenigen gestohlenen Momenten der Zweisamkeit nie hatte sagen können, ihr versprochen, im nächsten Jahr wiederzukommen. Ich habe Wort gehalten. Ich habe ihr geschrieben. Und ich bin hier. Stehe ihr wieder gegenüber. Im staubigen Zwielicht der leeren Scheune. Ohne den Drang, etwas zu sagen. Einfach so.
Die Frau des Bauern duftet nach Knoblauchwurst, nach Sauerkraut, Nelken, Speck und all den Aromen des erst vor kurzem abgeräumten Mittagsmahls. Die Erntehelfer zu verköstigen gehört ebenso zu ihren Aufgaben wie die Aufsicht auf den Feldern und sämtliche Arbeiten, die in Haus und Hof anfallen. Ich fasse nicht, dass der Bauer, ein stinkfauler Sack, der ohne ihre unermüdliche Schufterei längst untergegangen wäre, das zulässt. Kaum vorstellbar, dass er seine Frau jemals geliebt hat. Ich jedenfalls tue es. Mehr als ich bei unserem Abschied auch nur geahnt habe.
Ihr stiller Blick macht mich verlegen. Sie sagt nichts, fragt nichts, sieht mich nur an mit ihren unergründlichen braunen Augen. Lautlos saugt sie die Unterlippe zwischen die Zähne, während sich aus dem zarten Flaum auf ihrer Oberlippe eine funkelnde Schweißperle löst. So vertraut sind mir diese kleinen Eigenheiten, so gefehlt haben sie mir, dass es schmerzt, ihrem Blick standzuhalten. Ich schlucke trocken, sehe mich in der Scheune um. Die verwaisten Tische und Bänke, wo die Arbeiter eben noch ihr Essen zu sich genommen haben, die Anrichte, die Spinde, auch das ist mir vertraut. Es hat sich so gut wie nichts verändert. Nur an der großen Korktafel, auf der wie eh und je ein buntes Chaos herrscht, entdecke ich Neues: Fotografien zumeist, Schnappschüsse von der letztjährigen Ernte, Bahnfahrpläne, Notizen, Adressen, das Übliche.
Vom linken unteren Rand der Tafel allerdings schiebt sich etwas in mein Sichtfeld, das meinen schweifenden Blick gefrieren lässt. Ganz außen, halb über den Rahmen hinausragend, zwischen Sinnsprüchen und Ansichtskarten, sind drei eng beschriebene Briefbogen befestigt. Drängende kursive Zeilen, geschrieben mit schwarzer Tinte, die bereits grau wird. Die Handschrift eines Menschen, der schon sehr lange keinen Brief mehr geschrieben hat und dessen übervolles Herz die Gedanken schneller ausblutet als sie seine Hand in Sätze fassen kann. Ich kenne diese Handschrift. Es ist meine. Es ist meine ganze Sehnsucht, die dort festgehalten ist, meine Trauer und meine Hoffnung. Allein die darüber gekritzelten zotigen Kommentare stammen nicht von mir. Die nicht und auch nicht die schlampig hingesudelten Herzchen und Pimmel.
Ihr Blick ist dem meinen gefolgt. Sie sieht, was ich sehe. Lächelt. Raunt, sie habe meinen Brief gelesen. Dann schweigt sie. Ich nicke ihr zu. Langsam erst und zaghaft, schließlich hohl und mechanisch. Ich kann nicht aufhören zu nicken, sehe ihre kleinen roten Hände immer ungeduldiger am Leinen zupfen. Der Abwasch wartet. Dann das Feld. Dann die Kinder. Dann ihr Mann. Noch immer nicke ich monoton vor mich hin. Was kann man von der Frau eines Bauern schon erwarten.