Genervt zwischen Saturn und Alpha Centauri
Privileg des Captain
1.
Noch 1064 Tage bis zum Ende der Mission.
Captain Robert P. Snoot war für einen Augenblick seinen Pflichten als Kommandant eines interstellaren Langstrecken-Kreuzers entkommen und hatte sich in die Privatsphäre des Raumes zurückgezogen, der unter der Crew als Thronsaal des Captain bekannt war: seine private Toilette auf der Steuerbord-Seite der Brücke; dorthin, wo er unter keinen Umständen gestört zu werden wünschte - es sei denn, es handelte sich um einen Notfall höchsten Ausmaßes, der seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.
Nicht, dass solche Notfälle jemals eintraten. Oder überhaupt irgendwelche Vorfälle. Auch waren seine Pflichten als Kommandant eines quasi vollautomatischen Raumschiffs ohnehin kaum der Rede wert. Um die meisten Funktionen an Bord kümmerte sich der Schiffscomputer, und das wenige, was von Hand bedient werden musste, erledigte die zehn Mann starke Crew der USS Seventy Roses meist selbständig, ohne vorher Snoots Anweisungen abzuwarten.
Was für den Captain ein Quell ständigen Ärgernisses war. Wozu war er denn Kommandant eines Raumschiffes, wenn man ihm keine Gelegenheit zum Kommandieren gab? Der Weltraum war so verdammt groß und leer, so verdammt langweilig. Auf faszinierende oder gefährliche Weltraum-Phänomene, die man untersuchen konnte oder die das Schiff in Gefahr brachten, traf man so gut wie nie, genau genommen bisher überhaupt noch nie. Fast genauso selten begegnete man einem anderen Raumschiff, mit dessen Kommandant man ein Schwätzchen halten oder gegen das man sich verteidigen konnte, oder das man, falls beides nicht erforderlich oder erwünscht war, angreifen konnte.
Auch trafen so gut nie Notrufe ein, die es erforderlich machten, das Schiff von seinem vorbestimmten Kurs abzubringen und mit Höchstgeschwindigkeit einem in Bedrängnis geratenen Volk auf einem entlegenen Planeten zu Hilfe zu eilen. Was auch, ehrlich gesagt, nicht viel genützt hätte. Bei den irrsinnig weiten Strecken, die man im All zurücklegen musste, um von einem Planeten zum nächsten zu gelangen, ganz zu schweigen um zu einem entlegenen Planeten zu kommen, wäre die USS Seventy Roses wohl auch bei Höchstgeschwindigkeit in jedem Fall zu spät gekommen, und zwar um etliche Jahre zu spät. Überlichtgeschwindigkeitsflüge waren zwar schon seit über hundert Jahren interstellarer Standart, aber auch wenn man die Lichtgeschwindigkeit mittlerweile um ein fast dreifaches überschreiten konnte, änderte das im Hinblick auf die enormen Entfernungen nur sehr wenig. Man brauchte immer noch unwahrscheinlich lange, um irgendwo anzukommen.
Nein, als Captain eines interstellaren Raukreuzers hatte man definitiv kein besonders aufregendes Leben! Und dafür hatte Snoot sich nun gegen eine Berufslaufbahn als Kapitalanlageberater entschieden!
2.
Die erste Schicht auf der Brücke hatte gerade begonnen, als sich Commander Miroslav Meeks, der erste Offizier der Seventy Roses, über das Okular seines Photonenmikroskop beugte, um die Entwicklung der neuen Kultur, die er vor zehn Stunden selbst angelegt hatte, noch einmal selbst in Augenschein zu nehmen. In dem Moment hörte er hinter sich das Zischen des sich öffnenden Schottes und die blecherne Stimme des Schiffcomputers verkündete “Captain auf der Brücke.”
“Status-Bericht, Mr. Meeks!” dröhnte Captain Snoot.
Meeks, den den Ton kannte, drehte sich in seinem Sessel um und antwortete ruhig und sachlich “Keine Besonderen Vorkommnisse, Captain“, konnte es sich allerdings nicht verkneifen, “Der Kefir ist in etwa neun bis zehn Stunden soweit” hinzuzufügen.
“Aha, sehr gut, der, äh... der was?!”
“Der Kefir. Ich züchte mir gerade einen Kefir-Pilz. Wenn er genug gewachsen ist, nimmt man die Hälfte davon weg und gießt ihn mit Milch auf. Den Rest lässt man weiter wachsen. Ist sehr lecker und außerdem gut für die Verdauung. Solltest du auch mal probieren, Bob.”
Besagter Bob hingegen, also der Captain, dessen Laune schon beim Betreten der Brücke ziemlich gereizt gewesen war, war kurz vorm Explodieren. “Ich verbiete mir diese Insubordination! Während der Dienstzeiten bin ich für Sie immer noch Captain Snoot, ist das klar, Commander Meeks? Und überhaupt, wer hat Ihnen eigentlich erlaubt, sich auf der Brücke einen... einen was?! ...einen Kefir-Pilz zu züchten? Ist Ihnen klar, dass Sie sich im Dienst befinden, Mr. Meeks?”
“Wir befinden uns doch immer im Dienst, Captain”, stieß Meeks durch zusammen gepresste Zähne hervor. “Wenn du dich langweilst, warum suchst du dir nicht einfach ein Hobby?”
“Ein Hobby? Ein Hobby?! Ich bin der Captain dieses beschissenen Schiffes, ich brauch mir doch wohl kein Hobby suchen, nur um irgendwie beschäftigt zu sein!”
“Zumindest würdest du uns dann nicht ständig bei der Arbeit stören.” Meeks hatte den Satz ziemlich leise gemurmelt, aber absichtlich nicht leise genug, dass man ihn nicht hätte hören können. Im nächsten Moment bekam er Gelegenheit, das zu bereuen.
“Ooh, stör’ ich den Herrn also bei der Arbeit, wie? Und worin besteht deine so wichtige Arbeit? Kefir-Pilzen beim Wachsen zuzuschauen? Oder machst du sonst noch irgendwas bedeutendes, von dem ich wissen sollte? Nicht dass ich dich dabei stören will, gottbewahre!”
“Was kann ich denn dafür, dass es auf diesem vollautomatischen Kasten nichts zu tun gibt?”, brauste Meeks auf, nun selbst sichtlich gereizt, “Die letzte manuelle Arbeit, die hier erforderlich war, war eine simple Druckregulierung an einem der Schotts auf dem Frachtdeck, und das war vor zehn Tagen!”
“Das weiß ich auch!” kam es genervt zurück.
“Oh, ja! Richtig!”, erwiderte Meeks gedehnt. “Und ich hatte doch glatt unverschämterweise das Schott einfach neu eingestellt, ohne vorher deinen Befehl abzuwarten! Wie hätte ich das vergessen können! Du hast es mir seitdem auch nur mindestens zwölfmal vorgeworfen!”
“Hey! Nicht in dem Ton! Was denkst du dir eigentlich, mit wem du...”
“Mal ruhig, ihr zwei“, kam es aus der entgegengesetzten Ecke der Brücke, “Macht doch nicht so’n Lärm hier, kann sich ja keiner konzentrieren.”
Meeks und Snoot drehten sich in Richtung Navigations-Konsole um. Lieutenant Labrador, der Funktions- und Überwachungs-Offizier des Schiffes, fläzte sich gemütlich in seinem Sessel, die Füße auf der Konsole und tat das, was er meistens tat, er las in einem seiner Pornos. “Was wollt Ihr eigentlich? Ich hab auch nicht viel mehr zu tun als ihr und beschwer ich mich?.”
“Na, das kann ich sehen, dass du nichts zu tun hast!”, erwiderte Snoot mit essigsauerer Miene. “Wenn du einen Vorschlag hören willst, wie du dich betätigen sollst: Du könntest hier beispielsweise mal aufräumen!” Er deutete auf die leeren Schokoriegelverpackungen und weggeworfenen Trinkbecher, die sich schon seit Tagen in den Ecken der Kommandozentrale unbemerkt angehäuft hatten. “Die Brücke sieht aus wie ein einziger Saustall! Überhaupt, das ganze Schiff könnte ruhig auch mal wieder auf Vordermann gebracht werden! Los, kümmer’ dich darum! Das ist ein Befehl!” blaffte er, setzte noch “Ich will die nächste halbe Stunde unter keinen Umständen gestört werden, es sei denn es handelt sich um einen Notfall höchsten Ausmaßes!” hinzu und schritt energisch in Richtung der kleinen Tür auf der Steuerbordseite der Brücke.
“Aye, aye, Sir”, entgegnete Labrador, kratzte sich mit seinem rechten Fuß hinterm Ohr und betätigte mit einem kurzen Handgriff den “Auto-Reinigungsbefehl” an den Schiffscomputer. “Und wieder ein anstrengender Arbeitstag in den abenteuerlichen Weiten des Weltalls” gähnte er in dem Moment, als sich das Schott der Captains-Toilette hinter Snoot schloss und die kleine rote Lampe darüber aufleuchtete.
Miroslav Meeks sah noch einen Moment missmutig zum Thronsaal des Captain hinüber. Dann drehte er sich wieder zu seinem Mikroskop um und murmelte “Du solltest es wirklich mal mit Kefir versuchen” in seinen schwarzen Bart.
Als der Captain eine halbe Stunde später wieder auf der Brücke erschien, sichtlich gelöst und besserer Laune, glänzte alles. Die Putz-Droiden-Kolonne hatte innerhalb weniger Minuten ganze Arbeit geleistet und das ganze Schiff von Bug bis Heck aufgeräumt, gereinigt, desinfiziert und mit Raumerfrischer eingesprüht, ohne dabei den Arbeitablauf der Crew, bzw. deren Untätigkeit auch nur im mindesten zu beeinträchtigen. Warum die Reinigung des Schiffs eine der wenigen Funktionen an Bord war, die nicht vollautomatisch funktionierten, sondern erst auf Befehl eines Besatzungsmitgliedes, war ein Geheimnis, das wohl nur die Konstrukteure der Raumflotte kannten. Wahrscheinlich wollte man der Crew die Illusion eines letzten Restes von Autonomie lassen.
3.
Als sich Captain Snoot später am Abend (oder was man in der ewigen Nacht des Alls halt “Abend” nennt, also ca. 19 Uhr Bordzeit, gemessen an einem nach Erdstandart eingerichteten 24-Stunden-Zyklus) mit einigen der andern Besatzungsmitgliedern zu einer Runde Kegeln auf Deck 11 traf, war die Stimmung schon wieder etwas gelöster. Zwar bot der Freizeitraum auf Deck 7 ebenfalls eine Reihe Unterhaltungsmöglichkeiten, aber zum Kegeln zweckentfremdeten sie lieber einen der langen Flure auf dem Schiff, weil sich dort am meisten Platz bot. Zudem hatte dieser spezielle Flur den Vorteil, dass er eine Sackgasse bildete, an deren Ende das Schott zur sogenannten SozGraphStaz lag, der soziographischen Station, ein Ort, an den sich wohl kaum jemand freiwillig begeben würde, so dass sie in diesem Flur wohl kaum Gefahr liefen, jemanden versehentlich mit den Kugeln zu treffen, wie das bei ihrer ersten Partie, eine Woche nach dem Start geschehen war. Sergeant Smickers, der junge, übereifrige Sicherheits-Offizier des Schiffes war auf einer seiner Patrouillen im Oberdeck in die Bahn von Captain Snoots Kugel geraten und musste anschließend einige Zeit mit gebrochenen Knöchel in der Krankenstation verbringen. Smickers hätte die Kegelpartien gerne im Namen der Sicherheit komplett untersagt, da diese aber mit Billigung des Captain stattfanden, musste er sie wohl zähneknirschend dulden. Immerhin hatte ihm Captain Snoot persönlich versprochen, sich mit dem Sicherheitsrisiko “Kegelbahn” in einen abgelegeneren Teil des Schiffes zu verziehen.
Um zu verhindern, dass sich ein solcher Vorfall wiederholte, und auch um Schäden an der Einrichtung zu vermeiden, errichtete Commander Meeks vor jedem Spiel ein Kraftfeld am Ende der Bahn, zwischen Kegeln und Schott, das nicht nur die Kugeln abfangen sollte, sondern auch jeden vermeintlichen Zuschauer, der sich unerwarteterweise in die SozGraphStaz verirrt hatte. An diesem Abend wartete Commander Meeks erst den ausdrücklichen Befehl des Captain ab, bevor er mit einem breiten Grinsen und einem vorbildlichen “Aye, aye, Sir!“ die Sensorfläche antippte, die das Kraftfeld aktivierte. Dann holte er, diesmal ohne den Befehl des Captain abzuwarten, sechs Gläser mit Bier aus dem Lebensmittel-Synthesizer.
Die beiden Gruppen waren schnell gebildet: Captain Snoot bildete zusammen mit Meeks und Lieutenant Mira Saline, dem taktischen Offizier der Seventy Roses, ein Team gegen Lieutenant Labrador, Dr. Molto, den Schiffsarzt, und Fähnrich Colleen Mitsoushi, die so lausig spielte, dass Labrador sie beim Kegeln immer gleich als erste in sein Team wählte, um zu verhindern, dass sie am Ende im Team des Captain landete. Labrador hoffte so, meist vergebens, Snoots unweigerlichen cholerischen Ausbruch zu verhindern, oder ihn doch wenigstens etwas hinauszuzögern.
Sehr zum Leidwesen von Fähnrich Mitsoushi, die es vorgezogen hätte, näher beim Captain zu spielen, so nahe wie möglich, und wahrscheinlich auch sehr viel besser gekegelt hätte, wäre sie nicht ständig damit beschäftigt gewesen, gleichzeitig Captain Snoot anzuhimmeln, beim Kegeln eine gute Figur zu machen (zumindest das gelang ihr) und dabei die Kugel zumindest in die ungefähre Richtung zu werfen, in der die Kegel standen (das misslang ihr meistens gründlich!)
“Weißt du, Miro, ich glaube, du hast recht,” meinte Snoot nach dem dritten Bier, gerade als Labrador mit einem eher mäßigen Wurf vier von acht Kegeln umlegte.
“Ja? Hab’ ich das? Wie ist das denn passiert?” grinste Meeks. Er zeigte auf das Glas in Snoots Hand. “Willst du es also doch mal mit Kefir versuchen?”
“Ach, jetzt sei nicht albern. Ich meine, du hast recht mit dem Hobby.”
“Sag ich dir schon seit Jahren.”
“Ja, aber diese Mission dauert länger als alle, auf denen wir vorher waren. Wir sind jetzt wie lange unterwegs, elf Monate? Und wir haben noch mindestens zwei Jahre vor uns, bevor wir auch nur Kontakt mit irgendeiner Art Zivilisation kriegen, geschweige denn, bis wir an unseren Zielkoordinaten im Alpha-Centauri-System ankommen. Das dauert dann noch mal fast ein Jahr.” Er trank einen Schluck Bier, während Lieutenant Saline zum dritten mal in Reihe alle Kegel abräumte. “Und übrigens,” fügte er mit einem leicht boshaften Unterton hinzu, “scheinst du ja heute Abend auch was weniger gesundes zu bevorzugen.”
“Der Kefir ist noch nicht fertig”, brummte Meeks “ich hab dir doch gesagt, das braucht noch ein paar Stunden. Prost.“ Sie stießen mit ihren Biergläsern an.
Fähnrich Mitsoushi schaffte es, ihre Kugel so zielgenau auf einen der Putz-Droiden, die vorläufig zu Kugelholern und Kegelaufstellern umfunktioniert worden waren, zu werfen, dass dieser unter der Wucht des Aufpralls regelrecht pulverisierte. Captain Snoot verkniff sich mit einiger Mühe einen entsprechenden Kommentar, während Mitsoushi, deren Kopf ebenso hochrot anlief wie der des Captain, wenn auch aus anderem Grund, nervös stotternd hin und her stolperte, und sich nicht entscheiden konnte, ob sie sich beim Captain entschuldigen oder ob sie den angerichteten Schaden beseitigen sollte.
Wie schon einmal entschärfte Lieutenant Labrador die Situation, indem er die automatische Putz-Kolonne verständigte. Sofort stürmte eine Horde von Reparatur-, Putz- und Wartungs-Droiden aus den Wartungsschächten aus den Wartungsschächten um den Schaden zu beheben, aufzuräumen und das Gebiet um die Unfallstelle von möglichen Gefahrenquellen zu befreien, so dass in den nächsten Minuten an Kegeln erst mal nicht zu denken war. Als die Droiden endlich wieder verschwunden waren, stellte sich heraus, das sie als mögliche Gefahrenquellen nicht nur die herumliegenden Droidenkleinteile entfernt hatten, sondern auch die Kugeln, die Kegel, sowie die Biergläser samt Inhalt. Der Captain lief knallrot an und war schon wieder kurz vorm Explodieren. Bevor er sich auf die untröstliche Colleen Mitsoushi stürzen konnte, um sie zu erwürgen, packte ihn Meeks am Arm und führte ich weg von den anderen, während Dr. Molto, Labrador und Lieutenant Saline die mühsame Aufgabe zufiel, Fähnrich Mitsoushi, die den Tränen nahe war, zu trösten und sie daran zu hindern, Meeks und dem Captain hinterherzulaufen, um so alles nur noch schlimmer zu machen.
Snoot tobte, während sie durch die Gänge in Richtung von Meeks Quartier spazierten. “Warum mussten sie mir diese Göre aufs Schiff packen, warum?! Von allen Kadetten aus diesem bescheuerten Jahrgang, ausgerechnet diese Rotznase? Hab ich nicht schon genug am Hacken mit dir und den anderen Idioten auf diesem Schiff? Krieg ich eigentlich immer nur die hoffnungslosen Fälle!? Ähem, nichts für ungut.”
“Schon gut. Kotz dich ruhig aus.”
“Ist doch wahr! Sie ist wie die Pest! Jedes mal, wenn sie mich ansieht... Ach, ich weiß auch nicht. Warum ausgerechnet ich? Hätte sie sich nicht in jemand anderes vergucken können? In Labrador zum Beispiel? Viele Frauen stehen doch auf den kuscheligen Typ, oder? Oder der Doktor! Distinguiert, graue Schläfen, das wär’ doch was! Meinst du nicht? Hm, nein, zu alt. Aber da müsste man doch was arrangieren. Smickers vielleicht, der ist doch in etwa in ihrem Alter, das könnte hinhauen...” Snoot murmelt weiter vor sich hin.
Sie betraten das Quartier. Meeks, der sich hütete, den Captain daran zu erinnern, dass Dr. Molto auch nur knapp 2 Jahre älter war Snoot selbst, ging auf den Lebensmittel-Synthesizer zu und entnahm ihm zwei Bierflaschen. Eine davon reichte er Snoot, der es sich schon in einem der komfortabeln Sessel bequem gemacht hatte.
“Danke. Hey, Miro, wie wär’s mit dir? Du hast doch sonst in jedem Raumhafen eine andere! Na? Du könntest sie doch bestimmt auf andere Gedanken bringen!”
“Oha! Nein, Alterchen, vergiss es! Die Kleine hast du am Hals!” Er kicherte. “Privileg des Captain” fügte er mit einer angedeuteten Verbeugung hinzu.
“Sehr witzig. Ha Ha! Feiner Freund bist du. Könntest mir ja wirklich mal so‘n kleinen Gefallen tun...”
“Trink lieber dein Bier. Das Denken solltest heute Abend lieber anderen überlassen. Delegieren und so, du weißt schon, wie’s sich für einen anständigen Captain gehört.”
“Hatt’ ich doch vor, aber du wolltest ja nicht”, verkündete der Captain mit theatralischer Geste. Dann musste er kichern und bekam einen Schluckauf.
“So, das hast du jetzt davon. Um zurück zu deinem Hobby kommen...”
“Sie ist nicht - hhps - mein Hobby!” empörte sich Snoot.
“Kannst du nicht ein mal aufhören, an Fähnrich Mitsoushi zu denken?” Bevor Snoot antworten konnte, wehrte Meeks ab. “Tief durchatmen!”
“Hhhrks!”
“An was für eine Art Hobby hattest du denn gedacht?” Meeks stand auf, um den Synthesizer ein Anti-Schluckauf-Mittel ausspucken zu lassen, und reichte es dem Captain.
“Dank-hhkh!”
Während Snoot wartete, dass das Mittel wirkte, schaute er sich im Quartier seines Stellvertreters um. Die Regale, Tische und sämtliche Abstellflächen quollen fast über an Miniaturen, Modelraumschiffen, klassischen und modernen Skulpturen, und an den Wänden hingen mehrere selbstgemalte Gemälde, Stilleben, Landschaften und Portraits unbekannter und bekannter Köpfe, in verschiedenen Stilrichtungen. Snoot musste mit einiger Belustigung feststellen, dass sogar ein Portrait von ihm selbst dabei war. Es war nicht sehr groß und hing direkt neben der Sitzgruppe, wo es ihm eigentlich bisher schon mal hätte auffallen müssen, und aus Gründen, die Snoot lieber nicht so genau kennen wollte, war es fast ausschließlich in Grüntönen gemalt.
All die Produkte Meek’scher Freizeitbetätigung hatten eines gemeinsam: sie zeugten eher von Begeisterung als von echtem Talent. Aber zumindest brauchte sich der Erste Offizier der Seventy Roses nicht über Mangel an Beschäftigung beschweren.
“Puh! Tja, ich weiß nicht so recht. Da fällt einem die Auswahl recht schwer. Das sieht alles ziemlich... äh...” - scheußlich wollte er jetzt nicht sagen - “schwierig aus! “
Meeks, der mittlerweile schon bei seinem nächsten Bier angekommen war und in Gedanken wider Willen ganz woanders, nämlich bei Fähnrich Mitsoushi, brauchte einen Moment, bis er wieder Anschluss fand. “Hä? Ach, was, wenn du erst mal angefangen hast, geht’s ganz von alleine, wirst schon seh’n. Ist total einfach.”
Der Captain trank sein Bier aus und stellte die leere Flasche auf den niedrigen Tisch neben eine ganz besonders hässliche gelbe Denker-Skulptur. Meeks reichte ihm eine neue Flasche.
“Außerdem, weißt’u, glaube ich nicht, dass ich besonderes künstlerisches Talent habe” gab Snoot zu bedenken, nachdem er einen tiefen Schluck genommen hatte. “Ich meine, ich glaube, ich würde wohl niemals so etwas auch nur annähernd so... so gelbes hinkriegen!” meinte er mit angestrengt ernstem Gesichtsausdruck und wedelte zur Bekräftigung seiner Behauptung mit der Flasche in Richtung des gelben Denkers. Er verfehlte ihn um Haaresbreite, schaffte es aber, die leere Bierflasche vom Tisch zu fegen.
“Talent wird überschätzt!” verkündete Meeks selbstzufrieden.
“Da sagste was.” Snoot rülpste. “Tschuldigung.”
“Wohlsein.” Meeks nahm noch einen Schluck und dachte an Colleen Mitsoushis Hintern. “Weißt’u, Capt’n, ich hab’ nachgedacht.”
“Wann?”
“Nee, echt. Ich meine, ich hab mir was überlegt.”
“Ach. Is’ noch’n Bier da?”
“Äh, nee. Musst’u dir selbst eins hol’n. Also, ich hab überlegt... He, wo bist’u hin?”
“Ich könnte dir auch einfach befehl’n, mir’n Bier zu hol’n, weißt’u” rief Snoot vom Synthesizer herüber, “immerhin bin ich dein Capt’n, verdamm’nochmal. Willst’u auch noch eins?”
“Nee, ich hab’noch. Na, gut, aber nur eins. Dankeschön.”
“Bitteschön.” Snoot ließ sich wieder in seinen Sessel fallen. “Das ist wirklich das hässlichste un’ äh... irgen’wie gelbeste Ding, das ich je geseh’n habe!”
“Wer?”
“Hä?”
Meeks kniff konzentriert die Augen zusammen. “Also, ich hab’mir überlegt”, fing er noch einmal an, zum wievielten mal konnte er mittlerweile nicht mehr sagen. Sicherheitshalber begann er lieber noch ein mal mehr, man konnte ja nie wissen. “Ich hab’ mir überlegt, Bob, hörst’u mir überhaupt zu?!”
“Ja, klar! Mach weiter! Schtatusberichd, Mr. Meeks!” dröhnte Snoot und versank in düstere, wenn auch leicht verschwommene Betrachtungen des gelben Denkers. Das war wirklich die hässlichste Skulptur, die er je gesehen hatte. An irgendwen erinnerte ihn der unförmige, gelbe Klotz, aber Snoot kam beim besten Willen nicht darauf, an wen. Alles was ihm einfiel, war rätselhafterweise das Wort ‘grün’.
Meeks schien mittlerweile bei einem Punkt seiner Überlegungen angekommen zu sein, der ihn sehr erheiterte. Zumindest hatte er schon seit einer geraumen Weile nicht mehr aufgehört zu kichern. Snoot kicherte mit, und diesmal blieb der Schluckauf aus, was ihn sehr erfreute.
“Also, ich hab’mir überlegt”, meinte Meeks endlich, als er mit Kichern fertig war, “un’zwar folgendes hab’ich mir überlegt: jetz’ passauf, Bob. Bob, passt’u auf?”
“Ja jaa, ich pass‘ja schon auf! Alles grün! Ich meine gelb ich meine klar!”
“Passauf! Weißt’u, wir machen dasso: wir tausch’n. Un’zwar geb’ich Dir eins von mein’ Hobbys ab, un’du, du gibs’mir Dein Hobby ab! Na, was meinst’u?”
“Sie is’ nich’ mein Hobby!!”
4.
Wie Captain Robert P. Snoot später am Abend noch in sein eigenes Quartier zurückgekommen war, wusste er nicht mehr so genau, aber als er am nächsten Tag mit drückenden Kopfschmerzen erwachte, fiel sein Blick als erstes auf die hässliche, gelbe Denker-Skulptur direkt neben seinem Bett auf der Kommode.
Die nächste Stunde verbrachte der Captain in der Privatsphäre seiner Toilette, diesmal in der Toilette an der Backbord-Seite seines Privatquartiers.
Zu erwähnen wäre noch, dass es Commander Miroslav Meeks, der Erste Offizier der USS Seventy Roses, nachdem er seinen Captain erfolgreich ins Bett verfrachtet hatte, noch entschlossen und voller Tatendrang bis vor die Tür von Fähnrich Mitsoushis Quartier geschafft hatte, wo er dann singend einschlief und später von einem verdächtig gut gelaunten Lieutenant Labrador entdeckt wurde, der das Quartier gerade verlassen wollte. Labrador informierte die Droiden der Automatischen Putzkolonne, die umgehend erschienen, Meeks auflasen und in sein eigenes Quartier transportierten, was für alle Beteiligten auch wirklich besser war, nicht zuletzt für Fähnrich Mitsoushi - die von all dem glücklicherweise nichts mitbekommen hatte, weil sie zu sehr damit beschäftigt gewesen war, sich von Lieutenant Labrador trösten zu lassen und anschließend tief und fest schlief, womit auch möglicherweise der Captain eine Sorge weniger hatte.
Noch 1063 Tage bis zum Ende der Mission.
Im Weltall hört dich keiner explodieren...
und der Wind in Deinem Rücken ist immer der eigene!