Onkel Fred
Sie öffnete die Haustür und sah einen Mann in einem etwas abgetragenen blauen Anzug mit ausgebeulten Knien. Seine Haare standen vom Kopf ab wie die Stacheln eines Igels, deren Farbe sie auch mehr oder weniger hatten.
Die Stirn des Mannes war zerfurcht, aber er hatte einen heiteren Ausdruck im Gesicht. Ein fast neuer brauner Lederkoffer stand neben ihm.
Das war also Onkel Fred, der Schweinezüchter, dachte sie. Etwas älter hatte sie ihn sich vorgestellt. Ihr Mann hatte viel von ihm gesprochen. Er war der Bruder seiner Mutter. Als Kind war Robert oft bei ihm gewesen und hatte ihm bei der Arbeit geholfen.
Sie umarmte ihn und gab ihm einen Kuss.
„Komm rein“, sagte sie.
Robert hatte ihr erzählt, dass Onkel Fred immer nach Schweinestall gerochen hatte, das hatte sich durch seine Arbeit ergeben. Sie nahm aber keinen Geruch wahr.
Sie bat Onkel Fred gleich ins Wohnzimmer, wollte ihm vorher seinen Koffer abnehmen, aber er wollte ihn nicht abgeben.
Seinen Mantel hing sie in die Garderobe.
Sie setzte sich zu ihm und fragte ihn, ob sie ihm etwas zu trinken bringen solle.
Onkel Fred schaute etwas verwundert drein, sagte dann aber: „Ja, gerne, vielleicht ein kleines Bier, ich habe immer Durst, das macht wohl der viele Staub, den ich schon in meinem Leben geschluckt habe.“
Sie brachte ihm das Bier, schenkte auch für sich ein halbes Glas ein, prostete ihm zu, und sagte, sie sollten am besten gleich auf „du“ trinken.
Onkel Fred war wohl etwas irritiert, stimmte aber dann freudig zu.
„Also denn, ich heiße Gerda“, sagte sie.
„Friedrich, angenehm,“ antwortete er.
Ob die Reise anstrengend gewesen sei, fragte sie ihn. Er schüttelte den Kopf, er sei ja nicht so lange unterwegs gewesen.
Die Zeit schien bei Landbewohnern auch keine Rolle zu spielen, vermutete sie. Er musste doch mindestens acht Stunden im Zug gewesen sein.
Onkel Fred hatte sein Bier ziemlich schell ausgetrunken, sie holte eine neue Flasche.
„Sag mal Gerda, hast du nicht vielleicht etwas Kräftigeres? Der Arzt hat nämlich gesagt, dass ich nicht so viel Flüssigkeit zu mir nehmen darf, das ist ungesund für meine Nieren.“
Aus dem Schrank brachte sie ihm eine Flasche Kirschwasser, er schenkte sich gleich ein, goss sein leer gewordenes Bierglas voll.
„ Der Robert kommt erst am späten Nachmittag von seiner Arbeit zurück. Vielleicht sollten wir jetzt nach oben ins Gästezimmer gehen. Da haben wir ein bequemes Bett, ein Doppelbett. Manchmal besuchen uns Ehepaare“, sagte sie. Onkel Fred war sicherlich von der anstrengenden Reise müde.
Fred verschluckte sich am Schnaps, schüttelte dann aber den Kopf.
„ Ich würde zuerst lieber noch ein Bier trinken, vielleicht auch noch einen Schluck von dem guten Kirschwasser und dann muss ich dir noch zeigen, was ich mitgebracht habe.
Meine Hände sind heute etwas zittrig, mein Magen flau, ich muss mich noch etwas entspannen. Hatte gestern einen anstrengenden Tag. Aber dann können wir gerne nach oben gehen.“
Gerda holte noch eine Flasche Bier, ein Glas Schnaps goss er sich alleine ein.
„Sag mal Gerda, hast du nicht einen kleinen Bissen zu essen“, fragte er sie.
Sie lief in die Küche und richtete schnell eine Wurstplatte an, stellte sie auf den Couchtisch. Er fing sofort an zu essen.
„Habt ihr auch etwas Käse?“
Als sie fast in der Küche war, rief er ihr noch hinterher, dass sie noch ein Schnapsglas mitbringen solle.
Aha, dachte sie, er will aus einem kleinen Glas weniger trinken.
Alles stellte sie auf den Tisch, er goss das kleine Schnapsglas voll, sich füllte er wieder ein Bierglas mit Schnaps, drückte ihr das kleinere Glas in die Hand.
Zusammen müssten sie etwas trinken, sagte er. Alleine mache es keinen Spaß, nicht nur beim Trinken fügte er hinzu und brach in lautes Gelächter aus.
Die Schnapsflasche war schon erheblich leerer geworden, er setzte sich dann näher zu ihr, füllte ihr noch ein Glas ein, drückte sie etwas an sich und lachte ihr zu.
Dann wandte sich Fred wieder dem Essen zu, aß alles auf und schenkte beiden kräftig ein.
Schnaps war sie nicht gewöhnt, schon gar nicht auf nüchternen Magen und am Vormittag. Sie spürte die Wirkung, ihr war schon etwas schwindlig und sie musste ununterbrochen lachen.
Die Schnapsflasche war jetzt leer. Onkel Fred rülpste, stand etwas schwankend auf und sagte, dass sie jetzt wohl am besten ins Gästezimmer gehen sollten.
Sein Jackett hatte er schon ausgezogen, es lag auf dem Fußboden neben seinen Schuhen.
Sie war froh, dass Onkel Fred kein Bier mehr verlangte, Schnaps hätte sie auch keinen mehr gehabt.
„Jetzt bin ich bereit“, sagte er. „Jetzt kann es dann richtig losgehen.“
Sie gingen zusammen zur Treppe, aber plötzlich blieb Fred stehen.
„Ja das Wichtigste hätte ich ja fast vergessen.“
Er ging zu seinem Koffer zurück, hatte Schwierigkeiten dabei.
Jetzt würde er die Geschenke auspacken, dachte sie.
Er schaute sie an und öffnete ihn dann. Sie sah einen Staubsauger. Der sah zwar nicht mehr ganz neu aus, aber sie könnten ihn gut gebrauchen, ihr alter war erst gestern kaputt gegangen.
Sie nahm ihm das Gerät ab, sagte, sie wolle es gleich in die Besenkammer stellen.
„Moment mal!“ rief er, „ich werde dir mal zeigen, wie das Gerät funktioniert. Eins kann ich dir aber gleich sagen, das ist einer der besten Staubsauger der Welt.“
Er suchte eine Steckdose und schaltete den Staubsauger ein. Er lief viel leiser als ihr alter, fand sie und sagte ihm das auch.
Onkel Fred strahlte. Er fegte mit der Hand alle Krümel vom Tisch, alles lag jetzt auf dem Teppich, den ihr Tante Irma zu Ostern geschenkt hatte.
Onkel Fred nickte ihr zu.
„Jetzt wirst du mal was sehen“, rief er fröhlich, setzte den Staubsauger ein, der allen Dreck sofort aufsaugte, der saugte so stark, dass sogar noch ein Stück Teppich rausgerissen wurde.
Onkel Fred schaute ein bisschen bekümmert drein, sagte, man müsse den Staubsauger dann eben schwächer bei Teppichen von minderer Qualität einstellen.
Dann rannte er in die Küche, brachte eine Tasse mit dreckigem Wasser mit, er hatte wohl Leitungswasser mit Müll vermischt, goss es auf den Teppich, der Sauger saugte wirklich alles auf.
„Dein Teppich sieht jetzt wieder wie neu aus, wenn man mal von dem rausgerissenen Stück absieht“, behauptete er. „Man kann wirklich genau sehen, wo ich gesaugt habe.“
Ja, das konnte man wirklich sehen, dachte sie.
Sie schaute auf die Uhr, es war fast zwölf, die Kinder würden aus der Schule kommen und sie hatte noch kein Mittagessen zubereitet. Auch den Kuchen für Onkel Fred hatte sie noch nicht gebacken und leicht benommen war sie auch.
Sie könnte jetzt mit ihm ins Gästezimmer gehen, sagte sie zu Onkel Alfred, hoffte ihn los zu werden.
„Ja gleich“, meinte Fred, als letztes muss ich dir noch etwas ganz Außergewöhnliches zeigen, der Staubsauger kann wirklich alles, er ist seinen hohen Preis wert.
Den kann man auch nicht im Laden kaufen, die Firma verkauft nur durch kompetente Vertreter.“
Er rannte in die Küche, kam mit dem Mülleimer wieder und schüttete den ganzen Müll auf den Teppich.
Es klingelte an der Haustür, die Kinder waren also schon da, dachte sie, öffnete, sah einen Mann mit einem Koffer, etwa sechzig, er roch nach Schweinestall.
„Hallo, ich bin der Onkel Fred!“