Die nachfolgende Storry stellt die Idee und den ungekürzten Text zu einem SF-Kurzkrimi dar.
Ein raffiniertes Verbrechen
Am Mittagstisch des Kommandanten der LUXLINE 1 saßen nur auserlesene Gäste. Es war ein Privileg besonderer Art, in dieser Runde speisen zu dürfen. Anica Wonderstone sah sich in der Runde um, es gab einige besonders interessante Gäste, welche sie während des Essens näher kennen lernen wollte. Die Familie Freiberg hatte die Plätze direkt neben dem Kapitän eingenommen. Christina, ihr Mann Michael, ihre immer zu Scherzen aufgelegte Tochter Anja-Kerstin – und der unverschämt gut aussehende Sohn der Familie, Alexander. Neben Alexander saß eine junge Frau die sich allerdings irgendwie nicht so richtig in dieser Gesellschaft wohlzufühlen schien. Anica Wonderstone besaß ein feines Gespür für solche Dinge.
Das Essen war aufgetragen und mit der Aufforderung: “Lasst uns anfangen bevor alles kalt wird!“ forderte der Kapitän dazu auf, kräftig zu zulangen. Ein verschmitztes Grinsen von Christina verriet, dass sie den Kommandanten so einschätzte, dass er sich öfter selbst auch an diese Order hielt. Obwohl er hochgewachsen und recht sportlich aussah, hatte er doch ein wenig Körperfülle angesetzt.
Es gab alles was das Herz begehrte – immerhin war die LUXLINE 1 eines der modernsten Luxusschiffe, die man in den letzten Jahren gebaut hatte. Der Flug sollte zu einem Sternensystem erfolgen, das man erst vor wenigen Jahren entdeckt hatte, und das nach seinem Entdecker, Professor Laurentis, benannt worden war. Gigantische Energiefelder, welche aber ungefährlich waren, durchzogen dieses System und lieferten ein Schauspiel bunter Farben wie man es sonst nirgends sehen konnte. Außerdem hielt sich eisern das Gerücht, dass sich durch einen Aufenthalt in diesen Energiefeldern sich bei allen biologischen Organismen eine „Verjüngung“ einstellen würde. Es war der erste Flug dieses Schiffes mit Gästen an Bord, nachdem man nach fast vier Jahren Bauzeit es auf den Namen LUXLINE 1 in einer spektakulären Einweihungsfeier getauft hatte. Dieser Prototyp stelle eine völlig neue Dimension von Reiseluxus dar. Praktisch waren die nächsten Flüge bereits jetzt schon im Voraus ausgebucht.
„Sind sie schon einmal in diesem Laurentissystem gewesen?“, fragte Anica Wonderstone die ihr gegenüber sitzende Christina Freiberg. „Nur kurze Zeit – mit einem Forschungsschiff der Tyronklasse“, kam die prompte Antwort zurück.
„Nur kurze Zeit?“, überlegte Anica Wonderstone fast laut. Wenn sie nicht genau wüsste, dass die ihr gegenüber sitzende Frau 52 Jahre alt wäre, sie würde sie höchstens auf 20 Jahre einschätzen.
Natürlich hatte sich Anica Wonderstone über die Gäste informiert, als sie den Auftrag vom Sicherheitsbeauftragten der Reederei bekam, inkognito den „Jungfernflug“ auf dem Schiff mitzumachen und dabei ein wenig auf die Gäste aufzupassen. Sie war als einer der jüngsten Sicherheitsoffiziere auf das Schiff kommandiert worden – mit dem Hintergrund, dass man sicher war, dass bei dieser Auswahl der Gäste nichts Aufregendes passieren würde. Anica Wonderstone hatte als Akademiebeste alle Lehrgänge abgeschlossen und sollte nun ein wenig praktische Erfahrungen sammeln. Der Einsatzleiter hatte lange überlegt, sie aufgrund ihrer hervorragenden Kombinationsgabe einer der Sondertruppen zuzuteilen, aber mit ihren 24 Jahren hatte sie absolut noch keine Erfahrung, wenn es zu einem Kampf zwischen den immer brutaler agierenden Schmugglerbanden kommen würde. Außerdem hatte sie immer noch den Schock zu verarbeiten, als sie die Nachricht bekam, dass ihr 6 Jahre älterer Freund bei einem dieser Grenzeinsätze gegen eine Schmugglerbande ums Leben gekommen war. Mit so einer emotionalen Vorbelastung konnte er keine seiner Mitarbeiterinnen in einen gefährlichen Einsatz schicken.
Bestimmt würde es auf dem großen Luxuslinerschiff nur kleine Streitigkeiten geben – da konnte Anica Wonderstone gute „Erfahrungen“ fürs Leben sammeln, wenn sie als Sicherheitsoffizier für Aufklärung und Schlichtung sorgen musste. Sie solle sich auch ein wenig erholen – hatte ihr der Einsatzleiter empfohlen. Nach ihrer Rückkehr wartete sehr viel Arbeit auf sie.
Diese Christina Freiberg war eine der erfolgreichsten Wissenschaftlerinnen der Erde und besaß inzwischen ein riesiges Imperium an Unternehmungen. Sie hatte mit ihren Forschungsflügen für viel Aufregung gesorgt und war die treibende Kraft gewesen, den interstellaren Flug in immer entferntere Galaxien zu wagen.
„Jeder braucht einmal ein wenig Erholung“, verriet Christina, wie wenn sie Gedanken lesen könnte. Michael hatte den beiden Frauen zugehört und anscheinend war er mit dieser Antwort nicht so ganz einverstanden. „Meine Frau und Urlaub machen – das passt gar nicht zusammen“, verriet er verschmitzt, „vermutlich wären wir bei dem Erstflug gar nicht mit dabei gewesen, wenn uns nicht der Reeder so inständig zur Teilnahme aufgefordert hätte und meine Frau nicht sowieso in dieses Laurentis-System hätte fliegen wollen“. Anica Wonderstone sah die beiden fragend an – schließlich waren sie auf einem Luxusschiff, das ausschließlich der Erholung dienen sollte – und für das manche ein kleines Vermögen bezahlen mussten um als Erste mit dabei sein zu dürfen.
„Na ja, zugegeben“, lenkte jetzt Christina ein, „genau genommen will ich in diesem Laurentissystem eine winzig kleine Forschungsarbeit durchführen, kaum dass es erwähnenswert wäre“. Jetzt war natürlich die Neugier von Anica Wonderstone geweckt. „Darf man erfahren, was es dort zu erforschen gibt?“, versuchte sie Christina ihr Geheimnis zu entlocken. Christina überlegte kurz, wie viel sie von ihrem Geheimnis verraten durfte: „Nur ein kleiner Test, wie diese Energiestrahlen auf einen künstlichen Organismus wirken – da könnte man künftig die Regeneration der biologischen Komponenten von Positronenrechnern schneller und effizienter durchführen“
Das war gar keine so schlechte Idee, kam Anica Wonderstone sofort in den Sinn. Anstatt eine teure Sonde in das Laurentissystem zu schicken, einfach Urlaub zu machen und sich dort hinfliegen zu lassen. Die natürliche Regenerationsfähigkeiten dieser Energienebel auszunutzen war ebenfalls kein schlechter Einfall. „Meine Frau verbindet immer das Vergnügen mit ein wenig Arbeit“, verriet Michael. Allerdings kam es Anica Wonderstone so vor, als ob die beiden noch irgend etwas zu verbergen hatten – ihre Erfahrung und Menschenkenntnis hatte sie noch nie betrogen.
„Und welcher Berufsgruppe gehören sie an?“, wurde Anica Wonderstone plötzlich vom Sohn der Freibergfamilie gefragt. Anica Wonderstone sah sich jetzt Alexander genauer an. „Sicherheitstechnik“, entgegnete Anica Wonderstone kurz angebunden während sie direkt in die strahlend blauen Augen von Alexander sah. Die junge Dame neben Alexander schien zu merken, dass Alexander den Blick ungewöhnlich lange erwiderte: „Jessica, Freiberg“, stellte sie sich einfach vor. „Dies ist praktisch unsere zweite Hochzeitsreise“, setzte sie schnell nach um sicherzustellen, dass diese ihr gegenübersitzende attraktive junge Dame nicht versuchte, mit Alexander anzubandeln.
„Das scheint ja eine große Familie zu sein?“, wollte Anica Wonderstone höflich wissen, obwohl sie eigentlich schon genau wusste, wer von den „Freibergs“ an Bord war. Am Nebentisch saß die Haushälterin von den Freibergs mit ihrer kleinen Tochter und noch fünf weitere ihrer Mitarbeiterinnen.
Das war schon etwas ungewöhnlich, aber die Freibergs hatten ausdrücklich auf den „Zimmerservice“ in ihren Privaträumen verzichtet und hierfür ihre eigenen „Bediensteten“ mitgebracht. Da die Reise vier Wochen dauern würde, war sich Anica Wonderstone sicher, herauszufinden, welches Geheimnis die Freibergs zu verbergen hatten.
„Den Nachtisch müssen sie unbedingt probieren“, wurde Anica Wonderstone von Alexander aus ihren Gedanken gerissen. Die gekühlte Creme mit den exotischen Früchten schmeckte wirklich vorzüglich. Das ganze war mit einem Morchpilz garniert. Anica Wonderstone kannte die ungemein „stimulierende“ Wirkung, wenn man diesen Pilz verspeiste – und sie wusste auch, dass jeder dieser Pilze ein kleines Vermögen kostete. Nur gut, dass ihre Reise inklusive aller Verpflegung bei der Reederei schon bezahlt war.
Nach dem Mittagessen war ein wenig Ausruhen angesagt. Die Gäste besaßen Zimmer im äußeren Bereich des Schiffes. Der Ausblick war traumhaft. Tausende funkelnder Sterne konnten durch die Glassitscheiben beobachtet werden und zeichneten sich so deutlich ab, als ob man sie mit der Hand greifen könnte.
Anica Wonderstone wollte nach einer kleinen Mittagsruhe den Wellnessbereich des Schiffes aufsuchen um sich dort ein wenig Bewegung zu verschaffen. Sie war sehr sportlich und durchtrainiert. Obwohl sie mit ihren 172 cm recht klein und zierlich wirkte, hatte sie bei den Trainingsrunden schon manchen muskelbepackten „Gegner“ einfach durch ihre Schnelligkeit und überlegten Körpereinsatz überraschend zu Fall gebracht.
Sie hatte viele Gäste in dem großen Speisesaal gesehen und war sich aber sicher, dass es da als „Sicherheitsoffizier“ nicht viel Arbeit geben würde. Die meisten besaßen ein beträchtliches Vermögen – die hatten es nicht nötig andere zu beklauen oder einen handgreiflichen Streit anzufangen. Nur eine kleinere Gruppe, welche die Reise bei einem Preisausschreiben gewonnen hatte, fiel durch etwas lautes Verhalten auf. Auf die musste man vielleicht aufpassen, die schienen ihr Glück in vollen Zügen genießen zu wollen. „Das scheinen im Grunde auch friedliebende Bürger zu sein – ein bisschen lebhaft vielleicht“, sinnierte sie laut, als sie noch einmal im Gedächtnis die Eindrücke dieser Personen Revue passieren ließ.
Der Anruf vom Schiffskommandanten kam völlig überraschend. Er klang aufgeregt: “Schnell, wir brauchen dringend ihre Hilfe – kommen sie in die Kabine D5G4Z287“
Anica Wonderstone hatte sich zum Ausruhen etwas hingelegt. Jetzt sprang sie auf und war sofort hellwach. Diese Kabinennummer gehörte doch dieser Christina Freiberg und ihrem Mann? So schnell sie konnte, eilte sie zu der besagten Kabine – die lag schließlich nicht weit von ihrer eigenen Kabine D5G4Z280 entfernt.
Schon von weitem konnte sie erkennen, dass vor der Kabine Aufregung herrschte. „Lasst mich durch!“, forderte sie von den im Gang stehenden Personen. Es waren die diensthabenden Stewards, die sich vor der Kabine eingefunden hatten. Im Zimmer lag ein junges Mädchen auf dem Boden, der Schiffsarzt mit besorgter Mine über sie gebeugt.
„Durchhalten, das Medikament wirkt gleich“, forderte er seine Patientin auf. Das Mädchen hatte offensichtlich immer mehr Mühe Atem zu holen und sah den Arzt mit weit aufgerissenen Augen an. Das Entsetzen eines grausigen Erlebnisses war in ihrem Gesicht geschrieben. „Das....Das Medikament wirkt nicht!“, stieß der Arzt verzweifelt hervor. „Wenn ich ihr noch eine Dosis gebe, dann wird ihr Kreislauf kollabieren“. Der Körper dieser jungen Frau wand sich im Todeskampf und schließlich schien ihn die Lebensenergie zu verlassen. „Sie ist tot“, stellte der Arzt nach einer weiteren Untersuchung fest und hatte dabei in seiner Stimme einen Unterton, als ob er seine Diagnose selbst nicht glauben könnte. „Das ist unmöglich – diese Verletzung hätte niemals zum Tod führen dürfen“
Anica Wonderstone sah sich die Wunden am Kopf des Mädchens an. Nur ein paar harmlose Schrammen. An einem Arm hatte sich ein Bluterguss gebildet – wie nach einem Sturz – oder wie wenn man kräftig am Arm gepackt wird. An solchen Verletzungen starb man normalerweise nicht.
Christina Freiberg war zusammen mit ihrer Familie gleich nach dem Mittagessen in den Wellnessbereich gegangen. Jetzt stand sie plötzlich im Zimmer und starrte ebenso fassungslos wie der Arzt auf das am Boden liegende Mädchen. „Das ist Nicole Müller, eine unserer Angestellten – was ist passiert?“ Auch Alexander war inzwischen in die Kabine gekommen. Vorsichtig berührte er mit der Hand den Körper des toten Mädchens. Wie wenn er glühende Kohlen angefasst hätte, zog er seine Hand sofort wieder zurück. „Drafftkristalle – sie wurde mit Drafftkristallen getötet“, stellte er entsetzt fest.
„Was um alles in der Welt sind Drafftkristalle?“, wollte Anica Wonderstone erklärt wissen. Als ihr Christina erzählte, welche unangenehmen Abenteuer sie schon selbst mit diesen gefährlichen Kristallen hatte bestreiten müssen, kam sofort in Anica Wonderstones Gedächtnis die Nachrichten zurück, in denen man vor ein paar Jahren von einigen mysteriösen Vorfällen berichtet hatte. Alexander war fast an den Folgen der Strahlung dieser Kristalle gestorben – seither reagierte sein ansonsten unverwüstlicher Metabolismus fast allergisch auf jede Art dieser Drafftkristallstrahlung. Bei dem Mädchen hatte er deutlich gefühlt, dass ihr Körper diese Art Strahlung aufgenommen haben musste, und sie vermutlich dadurch zu Tode gekommen war.
„Diese Kristalle haben wir doch aber alle auf dem Planet der Quaals vernichtet“, sinnierte Alexander laut.
Anica Wonderstone sah sich das Mädchen noch einmal ganz genau an. Bis jetzt hatte sie es noch nie mit einem Mord zu tun gehabt. Wie man allerdings einen Leichnam auf Spuren untersucht, das wusste sie in- und auswendig.
An den Schiffsarzt gewandt bat sie: „Sie müssen mir helfen, wir müssen das Mädchen noch einmal genau nach der wirklichen Todesursache untersuchen“.
Die äußeren Verletzung waren nicht durch einen Sturz entstanden. Immer deutlicher wurde Anica Wonderstones Eindruck, dass die Wunden von einem zuvor heftig geführten Kampf stammten. „Gegen wen hat sich das Mädchen so gewehrt?“, stellte sie sich selbst die Frage. „Da, sehen sie mal“, forderte der Arzt und deute gleichzeitig auf zwei winzige Einstiche im Nacken des Opfers.
Anica Wonderstone sah sich die Stelle mit einem der neuen „Vergrößerungsgläser“ aus dem Koffer des Arztes an. Eigentlich war nur der Name Vergrößerungsglas geblieben – in Wirklichkeit wurde ein Objekt mit einem dreidimensionalen Laserstrahl abgetastet und das so entstandenen Bild als vergrößerte Version in den Raum projiziert. „Das ist kein Nadeleinstich“, stellte sie sachlich fest. Der Schiffsarzt stand mit ratlosem Gesicht neben Anica Wonderstone. So etwas hatte er auch noch nie gesehen. Die Wundränder der beiden winzigen Einstiche waren länglich und gezackt und ausgefranst – wie früher auf der alten Erde, als man noch mit Eiskristallen die Impfungen durchgeführt hatte, indem man das Serum als Eiskugel unter die Haut schoss.
„Wir müssen die Leiche auf die Krankenstation bringen und dort eine Zellreflektierung vornehmen“, ordnete Anica Wonderstone an. Die anderen Mitarbeiter von der Familie Freiberg sahen mit blassen Gesichtern, wie man ihre Kollegin in den Titantransportbehälter legte um sie zu obduzieren. An Christina Freiberg gewandt kündigte Anica Wonderstone an, dass sich alle möglichst für eine Befragung bereithalten sollten. „Sicherheitstechnik ist ihr Beruf?“, zweifelte Christina ob dieser Aktionen von Anica Wonderstone. „Anica Wonderstone, derzeit Sicherheitsoffizier der LUXLINE 1. Das sollte aber möglichst unter uns bleiben“, stellte sich Anica Wonderstone jetzt offiziell vor. Natürlich war Christina bestrebt, dass dieses grausame und sinnlos erscheinende Verbrechen an ihrer Angestellten möglichst schnell aufgeklärt wurde.
Bei der Zellreflektierung wurden alle Zellen mit einem Hochernergiemagnetstrahl abgetastet und ein genaues Abbild des Körpers im Speicher einer Positronik abgelegt. Jetzt war es möglich, einen sogenannten gläsernen Körper zu projizieren. „Sehen sie sich das einmal an“, wandte sich Anica Wonderstone an den Arzt, als sie zwei tiefe Kanäle, ausgehend von den beiden seltsamen Einstichlöchern im Nacken des Opfers, sehen konnte. Am Ende dieser aufeinander treffenden Kanäle war ein richtiges Loch ausgebildet – das konnte unmöglich von einer Nadel entstanden sein. Das Gewebe schien richtiggehend verbrannt worden zu sein „Da liegt die Steuerung des Atemzentrums“, stellte der Arzt fachmännisch fest. Deshalb war seine Patientin vor seinen Augen qualvoll erstickt.
„Wer bringt jemand auf so grausame Weise um – und vor allem warum?“, stellte Anica Wonderstone als Frage in den Raum – ohne natürlich von dem Arzt eine Antwort zu erwarten.
Die Befragung des diensthabenden Schiffspersonals hatte recht wenig brauchbare Informationen geliefert. Die junge Frau war unter ihren Kollegen mehr als beliebt gewesen. Sie galt als äußerst zuverlässig und gewissenhaft – manchmal fast zu gewissenhaft. Feinde gab es auf dem Schiff bestimmt keine. Es gab praktisch kein Motiv. Christina und ihr Mann bestätigten, dass ihnen auch nichts gestohlen worden war. Der große Tresor in ihrem Privatraum war augenscheinlich nicht angerührt worden – geschweige denn, dass etwas vom Inhalt fehlte. Wer hätte auch den Zugangscode entschlüsseln können, den jeder Gast in das Zahlenschloss zu Beginn der Reise einprogrammiert? Christina hatte sich den Hexagonalcode gut eingeprägt – wer den Zugangsschlüssel für den Zimmertresor vergaß, hatte hernach echt ein Problem. Der Tresor konnte erst nach der Rückreise des Schiffes durch ein Spezialteam der Sicherheitsmannschaft geöffnet werden - und die Prozedur war außerdem nicht ganz billig.
Christina öffnet trotzdem den Tresor um nachzusehen, ob nicht doch ein raffinierter Einbrecher am Werk gewesen war. Alle zehn neuentwickelten Bioneuronenspeichereinheiten lagen noch fein säuberlich in ihren transparenten Aufbewahrungsbehältern.
Wer hatte das Mädchen auf so eine grausame Art und Weise umgebracht? Und vor allem: Warum? Ein Verrückter? Nein, Anica Wonderstone war sich sicher, dass der, oder die Mörder irgend einen anderen Grund gehabt hatten. Nur welchen?
„Wenn sich zwei zuvor getrennte Drafftkristalle berühren, dann explodieren sie in einer gewaltigen Detonation weil sich ihre Kräfte entladen“, erklärte Alexander. Anica Wonderstone verstand jetzt, wie das Loch am Kreuzungspunkt der Einstichkanäle entstanden war. Man hatte dem bedauernswerten Opfer zwei Drafftkristalle ins Genick geschossen. In den Einschusskanälen im Genick des Opfers fanden sie winzige Spuren einer wachsartigen Substanz, die vermutlich die Drafftkristalle zuvor eingeschlossen hatte. „Diese Substand muss wie eine Isolation gewirkt haben und hat sich bei Berührung mit der Körperflüssigkeit aufgelöst“, stellte Anica Wonderstone fest. „Das sind mit Sicherheit keine einfachen Diebe, so eine Technik ist sehr aufwändig und kostet viel Geld“, sinnierte sie laut.
Eine intensive Durchsuchung der Kabinen von der Freibergfamilie brachte keine weiteren Spuren von dem, oder den Mördern. Anica Wonderstone ging davon aus, dass es mindestens zwei gewesen sein mussten. So wehrhaft wie sich ihr 21-jähriges Opfer verhalten hatte, musste einer sie festgehalten, und der andere ihr die Kristalle in den Kopf geschossen haben.
Um die anderen Gäste nicht zu beunruhigen, hatte man beschlossen, vorerst über den Vorfall zu schweigen. Nur die Chefstewards waren eingeweiht und instruiert worden, sehr wachsam zu sein. Man konnte nicht ausschließen, dass doch irgend ein Verrückter sein Unwesen trieb.
„Wie konnte dieser Alexander nur durch berühren des Körpers dieser jungen Frau wissen, dass sie mit Drafftkristallen getötet worden war?“, sinnierte Anica Wonderstone laut, als sie sich in ihre Kabine zurückgezogen hatte, um alle Informationen über den Fall aufzuzeichnen. „Hat er es getan?“, war die nächste Überlegung. „Nein, so raffiniert wie der Mörder vorgegangen war – der hätte sich hernach nie auf diese Art verraten“
„Trotzdem – dieser Alexander hatte fast Panik bekommen – allein schon das Wort Drafftkristalle auszusprechen. Ich muss unbedingt herausfinden, was es damit auf sich hat!“
Am nächsten Tag herrschte ernstes Schweigen am Mittagstisch. Das fiel selbst den anderen Gästen auf, dass etwas vorgefallen sein musste.
Am späten Nachmittag, Anica Wonderstone war gerade damit beschäftigt, die letzten diensthabenden Stewards zu befragen, kam von der Kabine der Feibergfamilie die dringende Bitte, sich umgehend dort einzufinden.
Anja-Kerstin, die Tochter der Freibergs lag auf ihrem Bett, der Schiffsarzt mit besorgter Mine neben ihr stehend. Anica Wonderstone war recht mutig und sie konnte nichts so leicht aus der Fassung bringen, aber als sie als ersten Eindruck vermutete, man habe der Tochter der Freibergs das gleiche angetan wie ihrer Angestellten am Tag zuvor, wurde sie blass. Gleich mit zwei Verbrechen konfrontiert zu werden, so hatte sie sich ihren „Dienst“ auf der LUXLINE 1 nicht vorgestellt.
„Eine Grippe.... ungewöhnlich, die dürfte es aufgrund der Geenkonditionierung gar nicht mehr geben.... aber, es ist eindeutig eine Grippe“, erklärte der Arzt. Nicht nur der Arzt war von der Reaktion der Mutter des Mädchens irritiert. Christina schien ernsthaft zu glauben, ihre Tochter könne an so einer harmlosen Grippe sterben.
„Das ist in ein paar Tagen wieder vorbei“, wollte er die Mutter beruhigen.
Christina war mehr als aufgeregt: „Sie verstehen nicht – meine Tochter kann keine Grippe bekommen, das ist völlig unmöglich“ Sie erntete von dem Arzt nur Unverständnis. Christina schien verzweifelt und wandte sich an Anica Wonderstone. „Bitte fragen sie bei unserer Hausärztin Anexya Berger nach, sie wird es ihnen bestätigen!“
Anica Wonderstone hatte die Zugangsberechtigung, über Comverbindung den Datenport der LUXLINE 1 benutzen zu dürfen. „Anexya Berger ist doch diese Professorin die die neue Zellkernregneration entwickelt hat?“, wollte sie von Christina wissen, während die Comverbindung aufgebaut wurde.
Tatsächlich schien diese Professorin auch nicht zu glauben, dass die Tochter von Christina an einer Grippe leiden würde. „Das ist völlig ausgeschlossen – aufgrund ihres speziellen Metabolismus könnte kein bekannter Grippevirus in den Kreislauf gelangen“, erklärte die Professorin. „Wenn sie an einer Krankheit leidet, dann muss sie von etwas völlig anderem verursacht worden sein“, fügte sie in ungewöhnlich ernstem Tonfall hinzu.
„Wir könnten doch ihr Blut untersuchen um festzustellen, um welchen Virus es sich handelt“, schlug der Schiffsarzt vor. Er hatte an Bord die modernsten Geräte für solche Untersuchungen in seinem medizinischen Labor.
Fast resigniert kam von Anexya die Antwort, dass so eine Blutabnahme bei Anja-Kerstin leider nicht möglich war. Anica Wonderstone sah den Arzt durchdringend an – wie zur Aufforderung, es einfach einmal zu versuchen. „Ich werde wieder zurückrufen“, versprach die Professorin, mit unterschwelliger Ratlosigkeit in ihrer Stimme.
„Los, bringen wir die Patientin auf die Krankenstation“, ordnete der Schiffsarzt an. Nachdem sie das Mädchen auf eine Liege gebettet hatten, startete er das automatische Diagnosesystem. Ein leises Summen der Servomotoren verriet, dass der Körper momentan mit den Magnetreflexionsstrahlen abgetastet wurde. Plötzlich wurde die gesamte Maschinerie zurückgefahren und auf der Anzeigeeinheit stand in gut lesbarer Schrift, dass eine weitere Messung nicht möglich wäre. Die Abtaststrahlen hatten den Körper nicht weiter durchdringen können. „Das.... das ist doch.... unmöglich“, stotterte der Arzt als er die Auswertung sah. Anica Wonderstone griff sich die Flüssigkristallfolie und staunte ebenfalls wie der Arzt: „Biometall? Da steht es deutlich – eine Kombination aus biologischen Zellen und den härtesten bekannten Metallen. Das gibt es doch nicht?“ Der Arzt war völlig ratlos: „Deshalb können wir auch keine Blutprobe nehmen – da würde jede Nadel abbrechen“.
„Na da wird mir die Freibergfamilie aber einiges zu erzählen haben“, verabschiedete sich Anica Wonderstone von dem Schiffsarzt und eilte in Richtung der Kabine von besagter Familie.
Jetzt erfuhr sie von Christina, welche „besonderen“ körperlichen Fähigkeiten ihre Familie besaß. Durch den Kontakt mit einem Energiewesen hatte sie in ihrer Jugendzeit eine Umwandlung ihres körperlichen Zellaufbauses erfahren, der sie praktisch widerstandsfähig gegen sämtliche bekannte Krankheiten machte und den Alterungsprozess unterdrückte. Zu einem späteren Zeitpunkt war auch Michael, ihr Mann, mit der Energie dieser Wesen in Berührung gekommen und hatte ebenfalls eine Zellwandlung erfahren. Diese Fähigkeiten hatten sie ihrer Tochter vererbt. Dass sie sich natürlich Sorgen machte, als sie ihre Tochter in dem Zustand vorfand, war jetzt durchaus zu verstehen. Anexya Berger meldete sich inzwischen wie versprochen, aber leider wusste sie auch keine andere Möglichkeit, wie das Mädchen so schnell wie möglich zu ihr direkt zur Untersuchung zu bringen. Anscheinend besaß auch diese Proffessorin „besondere Fähigkeiten“. Anica Wonderstone war sich sicher, dass auf sie noch einige Überraschungen warten würden.
„Warum wollte jemand auch ihre Tochter umbringen?“, fragte sie gerade heraus die vor ihr stehende Christina um endlich den Grund zu erfahren, warum es jemand auf diese Familie abgesehen hatte.
„Das weiß ich wirklich nicht - und kann es mir unmöglich vorstellen, dass jemand so etwas versucht hat – außerdem......“, entgegnete Christina und stockte plötzlich nachdenklich – ob sie Anica Wonderstone ein weiteres Geheimnis ihrer Familie verraten durfte, „das hätte Anja-Kerstin mit ihren telepathischen Sinnen und ihren telekinetischen Fähigkeiten mit Leichtigkeit verhindern können“. „Woher, um alles in der Welt, kommt diese seltsame Grippekrankheit?“, rätselte sie laut, und fast verzweifelt, weiter.
Offensichtlich konnte Christina Freiberg wirklich nichts zur Aufklärung beitragen. Die neu entwickelte künstliche Biospeicherkomponente, die sie in ihrem Zimmertresor verstaut hatte, war praktisch so gut wie wertlos ohne entsprechende Positronik. Sie würde sie nur diesen Strahlen im Laurentissystem aussetzen um zu testen, wie lange die Regeneration dauerte. „Wir haben praktisch nichts dabei, was so wertvoll wäre, dass jemand sogar dafür umgebracht wird“, erklärte sie Anica Wonderstone. Wie sehr sie sich mit dieser Meinung täuschte, konnte sie natürlich jetzt noch nicht wissen.
Sichtlich besorgt wachte Christina in der Krankenstation bei ihrer Tochter. Hoffentlich wurde diese „Grippekrankheit“ bei ihrer Tochter nicht schlimmer. Dass sie sich selbst ohne Grund müde fühlte, verstärkte ihren Verdacht, dass etwas seltsames auf diesem Raumschiff vor sich ging, noch mehr. Ihr Mann Michael hatte schon geäußert, dass auch ihn eine ungewohnte Müdigkeit heimgesucht hätte. Das war schon mehr als besorgniserregend.
Selbst mit ihren telepathischen Fähigkeiten konnte Christina nichts über den Vorfall am gestrigen Tag herausfinden. Es war mehr als anstrengend, ja fast unmöglich, sich auf die Gedanken der anderen konzentrieren zu können – alles erschien ihr wie durch einen immer dicker werdenden Nebel. Wurde sie jetzt auch von der gleichen geheimnisvollen Krankheit heimgesucht wie ihre Tochter?
Anica Wonderstone wusste, dass es Menschen mit telepathischen Fähigkeiten gab. Wie man diese Fähigkeiten ausser mit sehr starken speziellen Medikamenten unterdrücken konnte, war ihr nicht bekannt. Dass es einen noch nicht bekannten „Grippevirus“ gab, der genau diese Wirkung erzeugte, war auch für sie neu, und sie wusste keine Antwort darauf, wie man diese Krankheit bekämpfen konnte. Der Schiffsarzt lief mit immer besorgterem Gesichtsausdruck durch seine Station. Bis jetzt hatte er in allen Datenspeichern noch keinen einzigen ähnlichen Fall entdeckt, geschweige denn einen Hauch von Hinweis, dieser Krankheit begegnen zu können.
In der Krankenstation sah sich Anica Wonderstone noch einmal die Scannergebnisse von Anja-Kerstin an. „Was könnten diese hellen Stellen in der Aufnahme bedeuten?“, wollte sie von dem Schiffsarzt wissen. Der Arzt sah sich die Aufnahmen ebenfalls noch einmal genauer an: „Normalerweise bedeutet dieses Farbspektrum eine spezielle Zelleinlagerung von Quarzkristallen bei Bergbauarbeitern. Die sind aber nur in der Lunge auf Dauer gefährlich und bewirken keine Grippesymptome“. Er war am Überlegen. „Diese Quarze gibt es bestimmt nicht an Bord der LUXLINE 1. Die Bergbauarbeiter können sich schon seit Jahren durch spezielle Schutzanzüge gegen diese Kristalle schützen. Vermutlich wird die Biometallstruktur der Patientin diese Fehlmessung verursacht haben.“
Anica Wonderstone hegte einen Verdacht und an Christina gewandt bat sie darum, dass sich Christina ebenfalls einer Zellkernscannung unterziehen ließ. Christina willigte ein – schließlich war sie ebenfalls ratlos, was diese seltsame Krankheit bei ihrer Tochter und jetzt auch bei ihr ausgelöst hatte.
Der Hochernergiemagnetstrahl durchdrang zwar nur die äußeren Gewebeschichten, aber er würde doch vielleicht ein wenig Licht ins Dunkel bringen wenn Anica Wonderstone mit ihrem Verdacht richtig lag. Nach kurzer Zeit stand fest: Auch Christina Freiberg litt nicht an einer einfachen Grippe, sondern an der „gläsernen Bergbaukrankheit“. So hatte man diese Krankheit damals genannt, als man die Symptome das erste mal entdeckt und diagnostiziert hatte.
Ein tragbares Diagnostiggerät – überlegte Anica Wonderstone. „Gibt es ein transportables Gerät um diese Quarzkristalle finden zu können?“, war ihre nächste Frage an den Schiffsarzt.
„Da gibt es sogar mehrere, mit denen man solche Substanzen auffinden kann – aber?.....“, antwortete er zögerlich ohne den Sinn der Frage zu verstehen. Anica Wonderstone setzte plötzlich einen unternehmungslustigen Gesichtsausdruck auf. Ihre Augen schienen in einem noch geheimnisvolleren Grün als zuvor zu funkeln als sie dem Doktor ihre Idee erklärte. „Wenn wir die Spuren von diesem Kristallstaub bei der Patientin finden können, dann suchen wir einfach im Schiff nach Spuren, woher dieser Staub kommt“.
Sie wusste zwar nicht, wie und wann Anja-Kerstin und ihre Mutter von dem Kristallstaub verseucht worden waren, aber sie war sich sicher, es herausfinden zu können. In der Kabine von der Familie Freiberg wurde sie auf Anhieb fündig. In den vom Zimmerservice gelieferten frischen Früchten und Getränken zeigte der Scanner fast einen Vollausschlag. „Bestimmt hatte Nicole Müller die Täter dabei überrascht, wie sie die Lebensmittel mit dem Quarzstaub verseuchen wollten – da hätten wir doch zumindest einmal ein Motiv für den Mord“, überlegte sie laut.
Noch während sie die Angestellten von Christina dazu befragte, kam von der Krankenstation die Nachricht, dass sich Anja-Kerstin wieder besser fühlte. Die Geschichte wurde immer verrückter: Wer bringt jemand um, um die Lebensmittel mit Quarzstaub zu verseuchen, der nach kurzer Zeit dann seine Wirkung verliert? Andererseits – bestimmt hatten die Täter nicht gewusst, dass die Familienmitglieder der Freibergs über diese besonderen regenerativen körperlichen Eigenschaften verfügten. Sie wählte die Nummer des Schiffsarztes. „Würde ein normaler Mensch aufgrund der Einwirkung dieses speziellen Quarzstaubes sofort sterben wenn sich die Umhüllung der Kristalle auflöst?“, wollte sie aufgeregt wissen.
Die Antwort kam prompt: „Heutzutage kann man gewöhnlichen Quarzfeinstaub mit einem Medikament innerhalb weniger Tage neutralisieren. Bei dem Drafftkristallstaub mit seiner speziellen Wirkung würde jeder Mensch, der ihn verabreicht bekommt, sofort an den Folgen der Strahlungsentwicklung sterben. So wie scheint, können unsere beiden Patienten die Wirkung aufgrund ihres speziellen Metabolismuses sogar ohne Hilfe von Medikamenten absorbieren“. Nach einer Pause fügte er noch leise hinzu: “Die beiden haben unverschämtes Glück gehabt, die Medizin kennt kein Gegenmittel um die Wirkung dieser Drafftkristallstrahlung zu bekämpfen.“
„Wir müssen unbedingt herausfinden, woher dieser spezielle Quarzstaub kam“, wandte sich Anica Wonderstone an den Kommandanten, nachdem sie ihm mitgeteilt hatte, was sie bisher herausgefunden hatte. Je mehr Rätsel ihr ein Fall aufgab, umso verbissener war sie, diese Rätsel zu lösen. Allerdings schien ihr anfänglicher „Routinejob“ jetzt richtig in Stress auszuarten.
Mit zwölf tragbaren Scannern bewaffnet, machte sich Anica Wonderstone und elf vom Kommandanten ausgesuchte und besonders zuverlässige Mitarbeiter der Besatzung auf die Suche nach Spuren von diesem Drafftkristallstaub. Es war, als wollte man eine Stecknadel im Heuhaufen suchen.
„Wo würde man so eine Substanz in dem großen Schiff am besten verstecken“, rätselte Anica Wonderstone. Da gab es tausende Verstecke. Die Verbrecher waren mehr als clever – also hatten sie von langer Hand geplant. „Wo müssen wir bestimmt nicht nach diesem Quarzkristallstaub suchen?“, wollte sie von den kurzfristig zu ihren Mitarbeitern ernannten Besatzungsmitgliedern wissen.
„In dem Energiewandlerraum – da geht bestimmt niemand freiwillig rein – das ist selbst für den abgebrühtesten Verbrecher zu gefährlich“, kam fast einhellig die Antwort.
„Genau da fangen wir an zu suchen“, ordnete Anica Wonderstone an und wollte schon loslaufen. Die anderen sahen sie an, als ob sie verrückt geworden wäre. „Was ist? - Los, wir haben etwas zu suchen!“, wollte sie die anderen dazu bewegen, ihr zu folgen. „Das ist unmöglich. Solange der Antrieb aktiviert ist, kann niemand in den Energiewandlerraum“, klärte sie einer der Schiffsbesatzung auf, „ohne speziellen Schutzanzug kann man da drinnen keine fünf Sekunden überleben – Und mit dem Schutzanzug ist es fast lebensmüde, freiwillig da rein zu gehen“
Anica Wonderstone ließ sich nicht beirren. Der Chefingenieur der LUXLINE 1 war schnell hinzugezogen. Natürlich riet er sofort davon ab, sich so einer Gefahr auszusetzen. Anica Wonderstone war sich allerdings sicher, mit ihrem Verdacht richtig zu liegen. Es gab genügend Schutzanzüge in verschiedenen Größen, fein säuberlich aufgereiht. Als sie sich allerdings in den Anzug gezwängt hatte, konnte sie sich kaum noch bewegen. Das würde eine anstrengende Suche geben.
Durch drei Schleusen musste sie sich in den Energiewandlerraum vorarbeiten. „Oh Mann, da habe ich mich aber auf etwas eingelassen“, murmelte sie leise, als sie die dritte Schleuse verließ und von einem Moment zum anderen in einem krachenden Energiegewitter stand. Trotz mehrfacher Abschirmung um den Energiewandlerkern zuckten laufend Entladungsblitze in die umliegenden Metallstrukturen. Ihr Anzug war laut des Chefingenieurs in der Lage, Energieeinschläge von mehreren Tausend Joule ableiten zu können. Trotzdem musste sie sehr vorsichtig sein.
Hoffentlich funktionierte in diesen Energiefeldern der Scanner für den Quarzstaub. Als Anica Wonderstone die kleinen Wartungsschächte an der Wandlereinheit entdeckte, war ihr sofort klar, wo sie zuerst suchen würde. Sie entriegelte und öffnete den ersten Verschlussdeckel. Nichts, die Anzeige des Scanners zeigte nur einen ungewöhnlich hohen Ausschlag eines Störpegels – nicht die geringste Spur von Quarzkristallstaub. „Das wäre ja auch zu schön gewesen um wahr zu sein“, machte sie sich selbst Mut, sich in dem Energiegewitter zum nächsten Wartungsschacht weiterzubewegen.
Sie war schon bei Nummer 10 angelangt, ohne etwas entdeckt zu haben. So langsam machte sich die Mühe mit dem schweren Anzug bemerkbar. Nummer 11 entriegelt und geöffnet. Wie bei den anderen Wartungsschächten hielt sie mit ausgestrecktem Arm den Scanner in die Luke. Täuschte sie sich, oder hatte die Anzeige auf dem Gerät gerade kurz aufgeflackert? Langsam bewegte sie den Scanner noch tiefer in den Schacht. „Ja, Treffer – jetzt hab ich euch am Wickel“, stieß sie laut aus. Die Anzeige des Scanners stieg langsam in die Höhe, je tiefer sie sich in den Wartungsschacht zwängte.
Es war ein relativ kleiner Behälter. Die Spuren verrieten, dass jemand von der Substanz entnommen hatte und dabei ein wenig daneben gefallen war. Jetzt war Anica Wonderstones kriminalistischer Spürsinn hellwach und sie untersuchte jeden Millimeter des Innenraumes dieses Wartungsschachtes auf irgend welche Spuren, nachdem sie vorsichtig eine Materialprobe aus dem Behälter entnommen hatte.
Da, an einer Schweißnaht, kaum erkennbar, hingen ein paar winzig kleine Fasern. Mit einer Pinzette entnahm sie vorsichtig diese Fasern und legte sie in den kleinen mitgebrachten Behälter. Fast eine halbe Stunde suchte sie Stück für Stück nach weiteren Beweisen, dass jemand in dem Schacht gewesen war. Die Fasern waren das einzigste, was sie ausser der kleinen Kiste mit dem präparierten Quarzkristallstaub finden konnte. „Da wollen wir doch einmal sehen, was uns die Fasern verraten“, murmelte sie vor sich hin und zwängte sich wieder aus dem Wartungsschacht. Die kleine Kiste mit dem Quarzkristallstaub ließ sie zurück – vielleicht kam der Mörder zurück um sich noch einmal Nachschub zu holen – dann konnte man „zuschlagen“.
Fast hätte Anica Wonderstone nicht bemerkt, dass sich inzwischen jemand von hinten an sie herangeschlichen hatte. Als sie den Verschlussdeckel des Wartungsschachtes wieder zuklappte und ihn gerade verriegeln wollte, sah sie in der polierten Oberfläche, dass jemand hinter ihr mit einer Eisenstange zum Schlag ausholte.
Blitzschnell rollte sie sich zur Seite und im gleichen Moment gab es ein metallenes Geräusch, als die Eisenstange auf dem Boden aufschlug. Der Angreifer war für einen kurzen Moment überrascht, sein Opfer nicht getroffen zu haben. Anica Wonderstone kannte einige gute Techniken der Sebstverteidigung und im nächsten Moment bekam der Angreifer so einen Tritt gegen sein rechtes Knie, dass er meinte, das Geräusch des brechenden Knochens trotz des Energiegewitters gehört zu haben. Mit einem Aufschrei des Schmerzes lag er im nächsten Moment neben Anica Wonderstone auf dem Boden.
Von Aufgeben aber keine Spur – trotz des gebrochenen Knies. Anica Wonderstone konnte durch die Schutzscheibe des Anzughelmes des Angreifers ein von Schmerz und Wut verzerrtes männliches Gesicht sehen. Der Mann versuchte, Anica Wonderstone noch einmal mit der Eisenstange zu treffen. Es gelang ihr auch dieses mal auszuweichen, allerdings traf die Stange ihren linken Arm. Trotz des dicken Schutzanzuges fühlte sie einen stechenden Schmerz dass ihr die Tränen ihr in die Augen stiegen.
Der Angreifer versuchte, sich mit dem Rücken an der Wand der Energiewandlereinheit anlehnend auf seinen nicht verletzten Fuß zu erheben, um aus dieser Position noch einmal kräftiger zuschlagen zu können.
Anica Wonderstone ahnte instinktiv, dass es jetzt ums nackte Überleben ging. Sie wusste, wie brutal diese Verbrecher bisher vorgegangen waren. So kräftig sie konnte, führte sie einen Tritt in Richtung des Kopfes dieses Verbrechers aus. Sie schrie vor Schmerz auf, als sie sich dabei auf ihren zuvor verletzten Arm abstützen musste. Mit dem Kopf an die Wand gelehnt, traf der Tritt von Anica Wonderstone genau auf die Sichtscheibe des Helmes des Angreifers. Da die Sichtscheibe für die Energieableitung konstruiert war – sie bestand aus durchsichtigem supraleitfähigem Keramik und nicht aus Panzerglas – zerbrach sie unter der Wucht des Trittes.
Jetzt war dem Angreifer das Zuschlagen vergangen. Ungeschützt war sein Gesicht den wild durch den Raum zuckenden Energieüberschlägen ausgesetzt. Der erste direkte Einschlag betäubte den Verbrecher, der nächste brachte seinen Kopf förmlich zum Explodieren. Die Eisenstange fiel mit einem metallenem Geräusch auf den Boden während ihr Gegner mit zuckenden Gliedern langsam an der Außenwand der Energiewandelereinheit nach unten rutschte.
Anica Wonderstone lief ein Schauer über den Rücken als sie sah, wie der Körper dieses Verbrechers in sich zusammensank und mit wilden Zuckungen verriet, dass er immer wieder von den Energieblitzen getroffen wurde.
„Nur schnell hier raus!“, hämmerte es in ihrem Kopf. Völlig ermattet taumelte sie durch die letzte Schleuse und war heilfroh, endlich aus diesem Monsteranzug herauszukommen.
„Ich... ich muss mich erst ein wenig ausruhen“, keuchte sie, als sie in die fragenden Gesichter der ihr für die Suche nach den Tätern zugeteilten Besatzungsmitglieder sah. Dieser Anzug, und der Kampf mit dem Angreifer, hatte ihre Kräfte mehr als beansprucht.
Die Untersuchung der mitgebrachten Materialprobe enthüllte erstaunliches. Es war der gesuchte Drafftkristallstaub, jeder Partikel umhüllt von einem organisch lösbaren Material. Kam diese Substanz in einen menschlichen Organismus, löste sich die Umhüllung auf und die Kristalle konnten damit ihre tödliche Wirkung entfalten. Wer dieses „Gift“ hergestellt hatte, musst über sehr viel Wissen und technisches Equipement verfügen.
In der Datenbank der LUXLINE 1 fand Anica Wonderstone nach kurzer Suche auch die Person, die zu dem Gesicht des Mannes passte, der sie in dem Energiewandlerraum angegriffen hatte. Er hieß Walter Volezky, war Maschinist, und so wie es aussah, zusammen mit noch zwei weiteren Personen erst kurz vor dem Start der LUXLINE 1 ersatzweise für drei andere Mitglieder der Crew, die bei einem Unfall ums Leben gekommen waren, angeheuert worden.
„So langsam ergibt sich ein Bild“, sinnierte Anica Wonderstone laut und machte sich an die Untersuchung der gefundenen Fasern. Sie stammten eindeutig von der Kleidung eines Besatzungsmitgliedes. Der Logik folgend, vermutete sie, dass jemand bei der Entnahme dieser tödlichen Substanz aus dem Versteck, den Schutzanzug beschädigt hatte und somit diese Fasern an der Schweißnaht hängen geblieben waren. Sofort ordnete sie an, alle Schutzanzüge auf diese Beschädigung zu untersuchen. Da jeder Träger automatisch registriert wurde, könnte man so schnell herausfinden, welche Person in getragen hatte.
„Wir haben den Anzug gefunden“, meldete einer der Helfer von Anica Wonderstone. „Letzte registrierte Trägerin: Katya Walloy, Maschinistin“
„Da haben wir doch auch gleich unser zweites Ersatzmitglied der technischen Mannschaft“, verkündete Anica Wonderstone erleichtert, jetzt endlich zu wissen, wer die Mörder von Nicole Müller waren. Der dritte im Bunde hieß Racar Naulem, Obermaschinist von Beruf, und hatte sogar ein Studium der Antriebstechnik mit Auszeichnung abgeschlossen. Anica Wonderstone vermutete, dass dies der Kopf der Bande war. „Was aber um alles in der Welt war deren Motiv, zu versuchen die gesamte Familie Freiberg zu vergiften?“, fragte sie sich immer wieder. Das ergab immer noch keinen Sinn. War es der pure Neid auf den Reichtum dieser Familie? Ein Verhör würde vielleicht Aufklärung bringen.
Anica Wonderstone war bekannt dafür, nicht locker zu lassen, bis sie die Wahrheit herausgefunden hatte. Das Verhör von Racar Naulem allerdings brachte sie nicht weiter. Der Bursche war eiskalt und aalglatt. Der würde bestimmt nichts verraten.
Katya Walloy, seine Komplizin war da schon gesprächiger. „Auf den Mord an der jungen Frau, und auf den mehrfachen Mordversuch an den Mitgliedern der Familie Freiberg steht auf jeden Fall lebenslängliche Gefangenschaft auf dem Strafplaneten Tohrma 982“, drohte Anica Wonderstone ihr an. Jetzt wurde die junge Frau gesprächig. Sie wäre von den anderen Beiden gezwungen worden, bei dem ganzen mitzumachen, behauptete sie.
Sie verriet praktisch alles, nur um sich vor dieser Strafe retten zu können: „In dem Tresor der Familie Freiberg liegt ein Biospeicherbaustein. Auf dem sind praktisch ohne Wissen der Familie Freiberg Daten geschmuggelt worden. Wer würde auch schon ein Mitglied dieser Familie verdächtigen. Mit der Verabreichung des Drafftkristallstaubes wollten wir die telepathischen Fähigkeiten von Christina und ihrer Tochter unterdrücken damit Racar und Walter den Speicher aus dem Tresor holen konnten. Als Techniker wäre es für sie kein Problem gewesen, die Codierung des Tresors bei der Erstprogrammierung mit einem Scanner aufzuzeichnen. Die nur 1mm große Aufzeichnungseinheit hatten sie zuvor in dem Raum direkt über dem Tresor versteckt. Dass sie von der Angestellten der Familie, dieser Nicole Müller, beim präparieren der Früchte und Getränke überrascht worden waren, hätte ihren gesamten Plan gefährdet. Deshalb haben sie das Mädchen getötet“
Zuvor hatten die drei Verbrecher ausgekundschaftet, wann sie freien Zutritt zu dem Räumlichkeiten der Freibergfamilie bekommen konnten. In ihrer Gewissenhaftigkeit hatte Nicole Müller ausgerechnet in dem Moment „außerplanmäßig“ das Zimmer von Christina und Walter Freiberg betreten, als die drei „Maschinisten“ gerade dabei waren, die Früchte mit dem Drafftkristallstaub zu „impfen“ und die kleine Scannereinheit aus dem Zimmer zu holen. Sie konnten keine Mitwisser gebrauchen – sie wussten, dass diese Nicole Müller auf jeden Fall ihre illegale Anwesenheit in den Privaträumen der Familie gemeldet hätte.
Als Christina Freiberg erfuhr, warum Nicole Müller hatte sterben müssen, nahm sie den Biospeicher aus dem Tresor und sah sich zusammen mit Anica Wonderstone an, welche Daten da heimlich ohne ihr Wissen geschmuggelt worden waren.
Anica Wonderstone sah, wie Christina immer ungläubiger die vielen gesichteten Daten betrachtete und dabei sichtlich erschrak. „Das sind die Konstruktionsdaten einer Zeitmaschine welche normalerweise der höchsten Geheimhaltung unterliegen. Wenn die in die falschen Hände geraten wären – das hätte eine Katastrophe unermesslichen Ausmaßes gegeben“, klärte sie Anica Wonderstone auf.
Es war beruhigend zu wissen, dass die beiden noch lebenden Verbrecher in sicherer Verwahrung in einer Energiefeldgefängniszelle die weitere Reise verbringen mussten. Diese Zellen waren eigentlich für den Transport von wilden Tieren konzipiert worden, erfüllten jetzt aber bestens den Zweck, die beiden Verbrecher durch die Laservorhänge am Ausbruch zu hindern. Natürlich hatte man die beiden jeweils getrennt in eine dieser Zellen gesperrt. Racar Naulem hatte wortstark und wütend verkündet, dass er seiner Komplizin wegen ihrer Gesprächigkeit bei der nächsten Gelegenheit die Zunge ausreißen, und sie ihr in den Hals stopfen würde bis sie daran erstickt wäre.
Nicole Müller - dass ein unschuldiges Mädchen auf so grausame Weise wegen diesem Datenschmuggel sterben musste, machte alle sehr traurig.
Anica Wonderstone war zurück in der Stille ihres Zimmers und froh, diesen Fall gelöst zu haben. Aber es wartete schon die nächste Aufgabe auf sie – zu ermitteln, wie diese drei Ganoven an die geheimen Daten und an den Draffkristallstaub gekommen waren. Ihr Arm schmerzte noch immer von der Kampf, den sie in dem Energiewandlerraum ausgetragen hatte. Vorerst brauchte sie deshalb erst einmal eine kleine Erholungszeit und ließ sich entspannt auf ihrer Liege zurückgleiten.
Hätte sie in diesem Augenblick gewusst, dass dieser Racar Naulem der Kopf einer der gefährlichsten Schmugglerbanden war und sich an der Tötung ihres Freundes beteiligt hatte.......
Von scrittore
Am 30.07.2009 um 07:56 Uhr