Rauschen
Er spürt nichts. Er fühlt nichts. Leere, kein Bewusstsein. Da ist nichts. Überhaupt nichts.
Er ist schwerelos, Zeit existiert nicht. Er ist da, doch er weiß es nicht. Gedanken existieren nicht. Er ist leer und hohl.
Doch dann...
... nur ein Hauch von etwas. Ein Funken. Ein leises Summen. Er hört es nicht, er registriert es vielmehr.
Es scheint als wäre es schon immer da gewesen. Unendlich.
Es entstehen Veränderungen. Kaum zu bemerken. Doch Zeit existiert nicht und er hat nichts anderes was ihn beschäftigt. Sein Geist ist nur ein kleiner Funken, ein schwaches Flämmchen das sich an das Summen klammert. Wenn es aufhört wird dieses Flämmchen verlöschen.
Das Summen schwillt an. Fast scheint es einen Rhythmus zu bilden. Höhen und Tiefen, wie Rauschen über zerklüftetes Land.
Es fegt durch tiefe Täler und hohen Gebirgsketten. Canyons und Schluchten.
Etwas völlig Unbekanntes breitet sich in ihm aus. Es ist etwas Gutes.
Eine Empfindung von...
...Wärme.Noch immer ist er sich seiner nicht bewusst. Doch er fühlt. Er badet in der Wärme. Er labt sich an ihr, atmet sie, kostet sie voll aus. Er ist ein Fisch in einem Ozean der Wärme.
Er spürt...
...Glück.Doch plötzlich verschwindet das Rauschen und es ist als wäre es nie da gewesen.
Keine Wärme mehr und auch kein Glück. Nur Leere. Und etwas anderes. Etwas schlimmes.
Ein Gefühl von...
...Verlust.Trauer. Er gibt sich ihr vollkommen hin. Er kann nicht anders.
Es gibt nichts Anderes.
Äonen vergehen oder Augenblicke. Er weis nichts davon. Zeit existiert nicht.
Wirbel entstehen.
Er bemerkt sie. Er kann sie sehen. Sie bewegen sich träge. Vielleicht gab es sie schon immer und er bemerkt sie erst jetzt.
Die Wirbel bewegen sich, werden schneller, verändern ihre Form, die Farben und Richtungen. Sie verbinden sich zu aberwitzigen wogenden Strukturen.
Ein pochendes Gefühl breitet sich in ihm aus. Die hektischen Bewegungen erschrecken ihn.
Sie machen ihm...
...AngstImmer wilder wirbeln die Formen, zerren an ihm, reißen ihn schließlich mit. Er rast mit den Farben, um ihn ein Universum abstrakter Gebilde und kaleidoskopischen Terrors. Chaos.
Seine Angst steigert sich zu Panik.
Da etwas Neues.
Erst nur eine zarte Regung. Doch bald angefacht zu einem Sturm.
Ein Wille.
Der Wille nach Ruhe.
Der Wille nach Dunkelheit, Erlösung.Er konzentriert diese Waffe, fokussiert sie und setzt sie ein. Dunkelheit breitet sich aus. Der Wille erlahmt, stirbt, verlischt.
Die Dunkelheit ist undurchdringlich.
Beunruhigend.
Vorher bemerkte er die Finsternis nicht, war sich ihrer nicht bewusst. Doch nun weiß er von ihrer Existenz.
Er weiß jetzt.Er bedauert dieses Wissen. Es ist schmerzhaft. Es verstört ihn.
Denn er weiß nicht was er ist. Er weiß nur dass er ist.
Er entdeckt ein neues Gefühl...
...den Hass.Hass auf seine Unwissenheit. Hass auf seine Ohnmacht, sein Unvermögen.
Hass auf...
...sich.
Das Rauschen setzt wieder ein. Die Dunkelheit verliert ihre Bedrohlichkeit.
Der Hass vergeht. Er weicht Geborgenheit. Wärme...
Die Formen und Farben sind wieder da. Er weiß nicht wann sie gekommen sind. Noch immer hat er keinen Begriff von Zeit.
Diesmal sind sie geordneter, weniger chaotisch.
Er versucht ihnen zu folgen, zu erkennen was aus ihnen wird.
Flüchtig sieht er einen Ring. Er ist groß und Schwarz. Er weiß plötzlich das er ihn hielt.
Er hielt ihn in seinen...
...Händen.Hände. Zu ihm gehörig. Fast versteht er die Bedeutung doch nicht ganz. Er ist verwirrt. Das Bild verschwindet...
...die Erinnerung ......und ein anderes bildet sich aus der Struktur der Farben und Formen.
Er sieht ein...
...weißes Gesicht.Ein Gesicht...Das Begreifen kommt wie ein Schock. Es ist ein Anderer. Eine andere Person. Er ist nicht allein.
Auch der Andere hat Hände. Sie Stülpen ihm etwas über. Über sein Gesicht. Denn auch er hat eines. Er ist sich sicher das er eins hat.
Der Mann schaut besorgt, er ist ganz in weiß. Das Bild verschwindet. Die Erinnerung ist zuende.
Nicht wichtig.
Er fasst einen Beschluss. Er möchte die Farben und Formen lenken, sie bändigen, und so sein eigenes Gesicht finden.
Lange versucht er es, doch es ist zwecklos. Erschöpft versinkt er wieder in Dunkelheit.
...und träumt...
Oder erinnert er sich? Nein er träumt. Er fühlt es.
In seinem Traum ist er in einem weißem Zimmer. Ihm gegenüber sitzt ein Mann im Schatten. Durch ein Fenster fällt fahles Licht in den Raum.
Der Mann sitzt auf einem Stuhl direkt in der Ecke im Schatten neben dem Fenster. Seine obere Körperhälfte ist nicht zu erkennen. Er trägt einen breitkrempigen Hut, wie aus einem alten Gangsterfilm.
Eine brennende Glutspitze glimmt darunter im Dunkeln, doch zu schwach um es zu erhellen.
Der Mann raucht. Er lässt sich Zeit, scheint zu warten. Schließlich führt er die Zigarette über eine weiße Kaffeetasse die er in seinem Schoß hält. Er lässt die Asche hineinfallen. Seine Hände sind lang und knorrig, die Finger haben eine ungesunde gelbe Farbe.
Der Mann im Schatten raucht weiter. Gesichtslos. Er gibt keinen Ton von sich. Nicht mal ein Flüstern.
Er sitzt einfach nur da und raucht. Wartend
Der Träumer hat das Gefühl beobachtet, ja angestarrt, zu werden. Es ist ein sehr seltsames Gefühl. Er versteht es nicht, sowie er diese ganze eigenartige, neue Dimension nicht versteht.
Es macht ihm Angst.
Der Raucher drückt seine verbrauchte Zigarette in der Kaffeetasse aus. Langsam, sich Zeit lassend, kramt er eine neue hervor. Das Feuerzeug ist alt, beinahe antik.
Der Mann lässt es aufflammen. Für kurze Zeit erhellt es sein Gesicht.
Es ist uralt und so gelb wie seine Hände.
Und es hat dunkle Gruben anstelle von Augen.Das Zimmer verschwindet in gleißendem weißem Licht
Der Träumer will schreien ohne zu wissen was ein Schrei ist. Doch das spielt keine Rolle denn er hat keine Stimme. Er will weinen doch auch das bleibt ihm verwehrt. Er hat keine Tränen.
Er erkennt dass er verloren ist. Gefangen im Nichts. Nur allein mit dem wissen seiner Existenz. Das Bewusstsein seiner Ohnmacht legt sich wie eine schwere Decke auf ihn. Eine Decke aus Blei.
Das Rauschen beginnt wieder, reißt ihn aus seiner trüben Lethargie. Es beruhigt ihn, gibt ihm Kraft.
Er erkennt eine Melodie.
Dann...
... WorteFast kann er verstehen. Fast.
Aber er weis nun das es eine Stimme ist. Jemand redet, spricht mit.... ihm?
Doch er scheint die Sprache verlernt zu haben. Einmal mag er sie gekannt haben aber nun ergeben die Silben keinen Sinn mehr.
Er will sich erinnern, das Muster suchen. Den Rhythmus kann er erkennen, die Farben und Formen bewegen sich mit ihm im Einklang.
Er bemerkt dass er auch die Stimme kennt. Schon oft hat er sie gehört. Ihr gelauscht. Sie lieben gelernt. Den Klang ihres Gesangs.
... Miriam ...Sie singt für ihn. Und plötzlich kann er ihr Gesicht sehen. Klar und deutlich. Ihre grauen Augen, umrahm von ihrem haselnussbraunem Haar. Die vollen Lippen die so weich waren wenn man sie küsste. Ihre helle Haut mit den kleinen roten Punkten. Sommersprossen. Die hatte sie immer gehasst doch er mochte sie. Wie alles an ihr.
Er will ihr sagen wie wunderschön sie ist, will ihr sagen das er sie liebt... doch unmöglich.
Egal wie sehr er sich konzentriert, seinen Willen bündelt. Es ist ihm nicht möglich.
Was ist nur mit ihm los?
Miriam hört auf zu singen. Stille.
Verzweiflung macht sich in ihm breit. Hat sie ihn wieder verlassen?
Da spricht sie mit ihm. Und er versteht ... nicht alles, nicht jedes Wort doch manches. Und es werden immer mehr je länger sie redet.
Sie erzählt ihm von Zuhause und von der Arbeit. Er erinnert sich, Miriam arbeitet an einem Flughafen... Sie hat offenbar viel zu tun. Er weiß nicht was ein Flughafen ist doch das ist unwichtig. Nichts ist wichtig solange er ihr nur zuhören kann.
Später erzählt sie ihm von seiner Familie, seinen Freunden, wie es ihnen geht und was sie tun. Manche Namen kennt er. Gesichter fallen ihm ein und er ist erstaunt wie er sie hatte vergessen können.
Sie redet noch lange weiter, doch schließlich kommt der Abschied. Tiefe Traurigkeit befällt ihn, da macht sie ihm noch ein letztes Geschenk.
,,Machs gut Viktor. Ich liebe dich.”
...Viktor...Sein Name. Er ist völlig verblüfft. Ihm ist als hätte sie ihm seine Identität zurückgegeben.
Miriam ist fort, er kann es fühle. Das stimmt ihn traurig, doch er weiß dass sie wiederkommen wird. Viktor weiß es einfach.
Erschöpft, aber auch erleichtert, erschlaft sein Geist. Viktor fällt in die Gedankenlosigkeit...
...und träumt.Er hält wieder den schwarzen Ring mit beiden Händen umklammert. Doch nun erkennt er worum es sich tatsächlich handelt.
Es ist das Lenkrad seines Wagens. Viktor sieht auf und durch die Frontscheibe. Vor ihm ist nicht mehr als nasser Asphalt zu erkennen. Die Scheinwerfer sind kaum in der Lage die Dunkelheit zu durchdringen. Um ihn herum tobt ein gigantisches Unwetter. Über die Frontscheibe fließt das Wasser in Strömen. Die Scheibenwischer kämpfen vergeblich dagegen an.
Im Halbschatten, mehr ahnt er sie als dass er sie sieht, eine enge Serpentinenkurve. Hektisch drosselt Viktor sein Tempo. Vorsichtig nimmt er die Kurve den Berg hinauf.
Auf einmal wird sein Wagen in grelles Licht getaucht und ein tiefes Tröten verschlingt die Welt. Die Posaunen des jüngsten Gerichts.
Viktor dreht den Kopf zur Seite. Ein stählernes Monstrum rast auf ihm zu. Am Steuer sitzt ein dunkler Mann mit einem breitem Hut. Eine Zigarette glimmt im Schatten und vermag ihn doch nicht zu erhellen. Wenigstens dafür ist Viktor dankbar.
Der LKW rammt ihn wie ein Dampfhammer und drischt ihn von der Fahrbahn. Die Welt vergeht in gleißendem Schmerz.
Dann nichts mehr, nur Dunkelheit und Leere.
...Miriam ist wieder da. Viktor kann sie spüren und er hört ihre Stimme.
Doch etwas stimmt nicht. Da ist noch ein Anderer. Miriam redet mit ihm.
,,.... hätte es sicher so gewollt.” sagt sie.
,,Ja.’’
,,Aber es so schwer.”
,,Das ist es. Aber sie müssen versuchen loszulassen.” In der Stimme des anderen klingt falsches Mitgefühl.
Miriam weint jetzt. ,, Erzählen sie mir nicht was ich tun muss!”
,,Er wird vielen Anderen ein weiterleben ermöglichen. Er wird...’’
,,Ich weiß, ich weiß...” sagt sie schroff. ,,Lassen sie mich bitte allein.”
Der Andere geht.
,,Schatz,” auf einmal ist ihre Stimme ganz nah, ,,wahrscheinlich kannst du mich nicht hören aber wenn doch...”
Sie machte eine kurze Pause, offenbar kämpft sie mit den Tränen. Da erkennt er was gerade passiert. Sie verabschiedet sich.
,,Ich habe versucht stark zu sein,” fährt sie fort, ,,aber...” Sie unterbricht sich, sammelt sich. ,,Wo immer du jetzt auch bist, du sollst wissen dass ich dich liebe.”
,Ich bin hier!,’ will Viktor rufen, ihr klarmachen dass er immer noch da ist und dass auch er sie liebt. Doch er kann sich ihr nicht bemerkbar machen, so sehr Viktor sich auch bemüht, sich konzentriert. Er fühlt sich wie gefesselt und geknebelt, wie lebendig begraben.
,,Machs gut Viktor,...” sagt sie, nun schon von viel weiter weg.
,Warte! Miriam!’
,,... es war eine tolle Zeit.”
,MIRIAM!’
Aber Miriam kann ihn nicht hören, sie ist weg. Und Viktor weiß, niemals wird er sie mehr singen hören. Miriam ist weg und das für immer.
Erschöpft fällt er in tiefe Dunkelheit. Schatten legen sich über seinen Geist. Viktor heißt sie willkommen, ersticken sie doch jeden Gedanken und jedes Gefühl.
Äonen vergehen, vielleicht auch Sekunden, es ist ohne Bedeutung.Viktor öffnet die Augen. Ganz einfach. Er liegt in seinem Bett und ist vollkommen klar. Um ihn herum sieht er ein weißes Zimmer. Technische Geräte sind mit ihm verbunden. Viktor empfindet nichts, weder Erstaunen noch Freude.
In der Ecke, direkt neben dem Fenster sieht er einen Mann. Er hat diesen Mann schon einmal gesehen. In der Hand hält er eine weiße Kaffeetasse in der er gerade eine Zigarette ausdrückt.
Seine Finger sind langgliedrig und gelb gefärbt. Er trägt einen breitkrempigen Hut. Der Mann sieht aus wie ein Gangster aus einem alten Film.
Viktor lächelt, er weiß nun wer der Fremde ist.
Langsam, als hätte er alle Zeit der Welt, erhebt sich der Mann. Er ist sehr groß, mindestens zwei Meter.
Viktor bleibt völlig ruhig. Er hat keine Angst mehr. Nie wieder.
Der Mann tritt an sein Bett, seine dunkle Silhouette zeichnet sich scharf vor dem Fenster ab. Er streckt Viktor seine große gelbliche Hand entgegen. Doch auf halben Weg lässt er sie verharren. Das augenlose Gesicht ist vollkommen ausdruckslos.
Wartend.
Viktor lächelt dankbar und ergreift die Hand des Fremden.Die Welt wird weiß.
Stefan Weirauch
25.September 2008
Von MangaEngel
Am 28.06.2009 um 20:37 Uhr
Das vermittelt zwar am Anfang große Verwirrung, welche manche verleiten könnte, das Lesen abzubrechen, später aber entwickelt es die Spannung eines preisgekrönten, genialen Krimi-Thrillers.
Nur die Schreibfehler sorgen ab und zu für Leseprobleme. Mein hakt, man stolpert, aber an sich ist es dennoch akzeptabel (nur lass vielleicht mal die Word-Grammatiküberprüfung drüber laufen oder so ^^")
Jedenfalls eine interessante Geschichte :3
Von Zeira_God
Am 14.05.2009 um 00:44 Uhr
Ja das mit der Rechtschreibung ist so ne Sache, ich kann den Text zig mal durchgehen, irgentwas findet sich immer noch.
Aber Danke für die nette Kritik! :-)
Von sunshishi
Am 12.05.2009 um 22:04 Uhr
...
Ich bin sprachlos...
Was für ein Werk. Außerordentlich gut geschrieben. Am Anfang verwirrend, aber spannend. Ich suche nach Hinweisen und glaube, welche zu entdecken. Die nächsten Tipps strafen meine Vermutungen Lügen und ich überlege weiter, worum es tatsächlich geht. Du beschreibst wundervoll, was Victor hört und sieht, was er fühlt. Die Thematik ist außerdem sehr tiefgreifend und du hast sie meisterlich umgesetzt.
Seufz - muss wieder Rechtschreibung und Grammatik kritisieren. Übrigens "weiß" kommt von "wissen" und wird auch in der neuen Rechtschreibung mit ß geschrieben^^
Aber vom Aufbau des Textes bin ich begeistert, ebenso wie von deinem Schreibstil. Weiter so^^ *6 Sterne*
Sandra Schmidt
I laugh in the face of danger - then I hide till it goes away.
Von Zeira_God
Am 06.05.2009 um 00:38 Uhr