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Prosa => Horror


Das Biest - von berlinerplakate, 02.01.2008
Dein mexikanisches Gesicht lag unbekannt in meiner Hand. Deine Augen waren braun. Deine Augenbrauen dünne Linien. Deine Nase zauberte mit dem Joch sinnliche Konturen. Deine junge Haut schimmerte braun. Deine Lippen hatte ich verklebt. Eine Träne zitterte ängstlich auf Deiner Wange. „Weine nicht“, hörte ich mich sagen. Aus weiter Ferne. Mit scharfer Klinge nahm ich Deine Träne und hob sie zärtlich zum vollen Mond. Auf der Scheide verfing sich sein Glanz im Rinnsal Deines nassen Salzes. Kraftvoll stieß ich mein langes Messer ins himmlische Licht und hörte meinen lauten Schrei: Das Tier war erwacht.
„Du träumst“, weckte mich. Ich war verwirrt. Du: Blond. Das war Wirklichkeit. Sybille. Sweet sixteen. Es war gut Dich zu sehen. Du küsstest mich. Ich erwiderte gerne. Wir umarmten uns, stahlen einander Zärtlichkeit, schwangen in Harmonie und als ich von hinten über Deine Berge ins blonde Tal blickte fand mich übermenschliche Kraft: Du stöhntest, zucktest und fielst ohne Macht. Unbesonnen vergnügte ich mich noch weiter an Deiner Leblosigkeit, bis das Tier verschwand: Ich sah Dich an, fiel erschöpft neben Dich, küßte Deinen Rücken. Und weinte: Verzweifelt. Ich fühlte mich fremd. Nie hatte ich solche Gewalt gelebt. Nicht im Traum, nicht im Wachen. Ihr Erscheinen ängstigte mich. Du lagst da. Und Dich rührte nichts.

Einen Monat später träumte ich von Dunkelheit und orientierte mich nasal. Ich witterte einen Duschraum. In feuchter Luft bissen sanitäre Chemikalien scharf in mein Sinnesorgan. Chlordämpfe und Desinfektion reizten meine Schleimhäute und aufdringliche Shampoos mischten Parfüm- und Deoreste zu Brodem in meinem Atem. Allmählich gewöhnten sich meine Augen an das Dunkle. Ich war lange dort. Ich wartete. Lauerte. Starrte geduldig auf Kacheln, und fand in passierenden Winden Partikel menschlichen Aromas: Weiblich schlichen Urinreste und Menstruiertes zu mir. Schweiß würzte und Hautschilfe von Horn und Po entzückten mich, wie die Spuren vom Haar- und Wimpernbukett. Ich harrte aus. Wartete auf Frau.
Der Mond trieb Schatten bis sich die Tür unter betrunkenem Kichern öffnete. Die Lichtflut warf mir neue Düfte zu. Ich erkannte die Jungfrau. Sie war allein. Sie war sorglos. Alkoholversetzer Schweiß berührte nach seiner Reise zur Haut eingezogene Cremes und traf zuletzt Raucharoma bevor er sich dem Dunst des Raums anschloss. In einer Plastikflasche erkannte ich Pfirsichwolken. Ich wartete. Lauschte. Sie war allein. Ihre Kleidung fiel. Blut pumpte. In ihr. In mir. Süß und schwer.
Ich erwachte. Die Bestie heulte. Ich sah mich um. Ich war allein. Ich hatte widerstanden. Das Monster schien besiegt. Ich stand auf, trat ans Fenster und nippte an meiner Stadt. Wolken bemalten den Vollmond. Autos hallten von der Straße. Ich zog mich an. War hellwach. Um den Schlaf gebracht. Ich irrte in dunkle Gassen, lauschte meinem Schritt und mich quälte ein Haufen voller Gedanken. „Warum beherrschte mich diese Gewalt? Was fesselte mich? Warum träumte ich sie? Ich verabscheute sie. Von jeher. Jeder meiner Freunde könnte das bezeugen. Mein Sanftmut war bekannt. Horrorfilme sah ich nie zu Ende. Die Nachrichten verursachten mir Übelkeit. Warum hatte ich diese Träume? Woher kamen diese Fantasien? Vielleicht sollte ich mit jemanden darüber sprechen. Vielleicht... Doch mit wem? Sybille? Würde sie mich verstehen?“ Ich zweifelte an ihrer Reife. Geistig besuchte ich meine Freunde, stellte mir vor, wie ich meine Besorgnis zu teilen suchte. Doch ich kannte meine Freunde. Lange und gut. „Träume sind Schäume“, hieß es bei den einen, bei den anderen käme es zu esoterischen Handlungen, oder Traumdeutereien, die ich gänzlich ablehnte. Jochen würde mir Schlafmittel empfehlen. Egal warum. Die empfahl er immer. Ich selbst neigte zum Ersten. Hatte nicht viel übrig für Träume. Träumte ja auch sonst nie. Nur bei Vollmond. Bedrückt blickte ich auf und beobachtete die Motten. Sie tanzten im Laternenlicht.

Sternenklar brachte der nächste Vollmond das Tier. Ich liess es zu. Ich war Teil seines Ganzen. Tränen mischte ich mit Blut und Speichel. Ich roch Leid und säte Schmerz: Und ich brüllte! Ich fühlte mich stark.
Sybille weckte mich. Wieder hörte ich ihr :“Du träumst nur!“, doch diesmal kam ich ihrem Kuss zuvor. Fest presste ich meinen Mund auf ihren, stahl ihren Hauch, bevor ich meine Blonde gierig umschlang und in meine Arme fesselte, damit Leidenschaft sie verbrannte.
Die nächsten Tage bereute ich meinen Traum. Mir war seltsam zumute: Zwittrig. Zum einen genoß ich die entmenschte Gewalt der Bestie in mir. Ich war, dass spürte besonders Sybille, zum feurigen Liebhaber geworden. Zum Anderen litt ich mit meinem Opfer. Meine Gemeinheiten wurden meine Erinnerung. Ihre Folter, die sie unter salzigen Tränen ertragen hatte, brannte in meiner Seele. Ihr Schmerz war meiner. Ich fühlte mit ihr. Wie glücklich war ich, das sie Fantasie war. Doch selbst dieser war ich zu sensibel. Tagträume begleiteten das Martyrium misshandelter Frauen. Es gab sie überall! Wie schlimm es um sie stand war kein Geheimnis: Anal verletzt in afrikanischen Krisengebieten, in Arabien im Harem penetriert, als Politische mit glühenden Eisen verunstaltet und Salziges tätowierter Japaner in Tokios Bordellen schluckend... Und hier? In meinem Deutschland wurden sie in verschlossener Dorfgemeinschaft ehelich gebeugt und schlechter als Tiere gehalten. Welches Leid es gab. Ich weinte oft. Zerbrach meinen Kopf über die Rettung dieser Frauen. Schwor feierlich ihnen zu helfen. Nie zuvor hatte ich ihnen gedacht. Nein, nie. Zur Gleichberechtigung hatte ich mich stets bekannt. Bemühte mich mir gebotene Vorzüge des Patriarchats, weiterzureichen. Und fielen mir diese doch zu schämte ich mich dafür. Und doch hatte ich meine Vorteile. Wie von der Bestie, die mich in meinen Träumen überkam. Beklemmt wandelte ich mich.

Wieder Vollmond. Meine Augen waren geschärft. Ich sah meine Umgebung deutlich. Ich verharrte nicht mehr wartend. Mit Neugier erkundete ich mein Revier. Es war ein großer L-Förmiger Duschraum. Im vorderen Teil gab es siebzehn Duschen. Morgens saßen in Mittelgängen nackte Mädchen aus der ganzen Welt dicht an dicht und schnatterten miteinander. Lüstern folgte ich dem Bild: Handtücher um Köpfe geschlagen, Tropfen perlten auf junge Häute, Wasserdampf schwächte ihre Sinne. Ich war dabei. Ungesehen atmete ich ihre Luft. Ich spürte Gefährliches in meinen Adern. Die Vision verschwamm. Keine junge Frau seifte sich mehr hinter den Klapptüren ein. Ich drehte mich. Auf den Wänden leuchteten Kacheln glatt ins Dunkel. Stein für Stein erkannte ich das gebrannte Wandbild. Ich berührte es. Kühl und Lebendig fühlte ich das Werk an meiner Haut und wurde Zeuge meisterhafter Handwerkskunst. Ich sah Frauen aller Altersgruppen ihr großes Bild malen: Verspielte Szenen mit Delfinen und Einhörnern, die am Regenbogen tollten, bis er hinter Bergen im Elfental verschwand. Liebevoll zeichneten Frauen auf Papier Fantasien, die nach mehreren Schritten und Ofenfeuer zu einem Steinernen Puzzle wuchsen. Dusche um Dusche erzählte es eine Geschichte und während ein Traum den anderen erlöste bewegte ich mich in den schmalen, langen Teil der L-Form. Das Miteinander schwand. Leer zog sich der Gang an vierzehn Kabinen vorbei. Meterweise verdunkelte sich das Szenario: Elfen wurden Zwerge. Goldkessel reihten sich. Schneewittchen schlief traumlos. Und Rotkäppchen fehlte nicht und öffnete Großmutters Tür. „Passend!“, lachte mein Biest. „Stimmt...“, erwiderte ich zynisch. Und erst als ich das letzte Dunkel dieser hinteren Ecke beschnuppert hatte, begann mein Warten. In guter Position verharrte ich. Wieder flutete Licht Weibchenduft durch die Tür. Wieder ihre Stimme, schon ganz vertraut, wieder kam sie herein, trällerte trunken ihr Lied, ging an mir vorbei. Ganz allein ging sie um die Ecke, in den schmalen Trakt und ich fühlte, während sich meine rauhen Hände rieben, mein kaltes Lächeln. Und ich brüllte mit blutenden Lefzen. Brüllte laut in die Nacht.
Wieder weckte mich Sybille: „Du träumst, mein Liebster“. Kurz knurrte ich und verschlang sie innig. Mein Kuss drang tief in ihr Herz, meine Hände spürten ihren Körper, mein Wahn presste sie und meine Zähne bissen. Sie schrie wie ich und riss ihre Nägel in meinem Rücken. Das Blut brannte im Schweiß und das Biest hob ihre Hüfte und stemmte sich gegen ihr Becken und sie fühlte des Tieres Manneskraft in sich wüten. Das Biest brüllte, sie sah mich an. Sie sah mich nicht. Ich sah Angst. Sie: Fremdes Gesicht. Und ihr Körper federte in die Luft von Stößen, die ihre Lust feuerten. Wie sie schrie. Und wie sie litt. Und wie er ritt. Im Mondenlicht.
Atempause. Sybille lag neben mir. Das Biest war weg. Unsere Augen wachten über den anderen. Sanft streichelten Hände. Fragen lagen in ihrem Blick und eine fiel von ihrer Zunge. „Wovon träumst Du?“, fragte sie. Tief verliebt sah ich in ihr Gesicht und log: „Weiß nicht...“ und die folgenden Gedanken kämpften mit dieser Lüge. „Träume sind Schäume“, dachte ich. Sybille streichelte mich. Ich hatte es verdient. Denn bald schlief sie tief. Und während ich wachte, schien der Mond auf das Bett.

Viele Monde später war Sybille Vergangenheit und die Trennung hatte Hass entfacht. Das Mitleid mit den Opfern meiner Träume sank. Ich schlief allein. Das Biest begleitete mich. Meine Hand vollzog rauhen Sex. Aus den Träumen wanderte das Biest ins Wache. Ich lebte damit. Merkte wenig von meiner Veränderung. Vielleicht merkten andere mehr. Niemand redete darüber.
Mein achtunddreißigster Geburtstag verlief leise, nur unterbrochen vom Telefon. „Herzlichen Glückwunsch“, riefen Freunde. Sie wunderten, dass ich nicht geladen hatte. Ich wunderte mich selbst. Ich hatte vorher nicht daran gedacht. Vielleicht lag es an der Trennung von Sybille. Ihr Verlust hatte mir mehr zugesetzt, als ich befürchtet hatte. Sweet Sixteen. Beendete Liebe. Gefühlsachterbahn. Haß und Liebe trafen sich oft.

Und wieder schien der Mond durch mein Fenster. Ich saß auf meinem Bett. Mein Körper war stark. Dunkle Haut glänzte unter schwarzem Haar. Ich besah die Schatten, die weißes Laken zerschnitten. Ich fühlte das Tier. Es war in mir und pulste kräftig. Ich sah zum Fenster. Der Mond war längst nicht mehr weiß. Er blutete. Ich hob meinen Kopf nach hinten, streckte meine Kehle weit vor und bewegte mich. Vor dem Spiegel blieb ich stehen und sah mich an: War kein Mann mehr, war das Tier. Mein Penis wucherte aus den Lenden, Muskeln umrankten meinen Körper wie Legenden vergangener Zeiten. Mein Gang war aufrecht, meine Wuchs kräftiger als der eines Bullen. Langsam drehte ich meine breiten Schultern empor und imponierte mir selbst. Dann verließ ich die Wohnung. Auf der Straße verbarg mein Instinkt mich vor fremden Blicken. Schnell schoss ich durch die Straßen, roch warmen Frühlingswind. Den liebte ich von ganzem Herzen. Und im Frühlingswind roch ich alle frischen Kräuter, als hätte ich ihre Nuancen schon immer gekannt. Brennessel, Löwenzahn, Gänseblümchen und Minze tanzten mit jungen Eichen- und Kastanientrieben. Hundedüfte und Katzenfährten lagen neben tausenden menschlichen Aromen, die aus geöffneten Fenstern auf die Straße fielen. Schnell fand ich heraus, wen ich mochte und wen nicht, und war mir unter einem Fenster sicher: Dort hatte eine Frau die Decke weg gestrampelt. Ich fand ihren Atemduft und den von unten. Doch mein Ziel war ein anderes. Ich schlich weiter. Als die Straßenlichter dunkler wurden öffneten sich meine Augen. Gefährlich ruhig glühten sie in die Nacht. Ein Haus stand vor mir. Dorthin trieb es mich. Bunt bemalte Wände schützten junges Blut. Ich war nie zuvor da gewesen und doch erkannte ich es sofort. Drinnen hatte ich viele Nächte gewartet. Gewartet auf trunkenes Kichern. Gewartet auf Dich. Meine Jungfrau. Schnell fand ich heraus, wo ich eindringen konnte. Unbemerkt von fremden Blicken fand ich den Einstieg durch ein Kellerfenster und kroch in die Dunkelheit. Ich hob meine Nase. Schnupperte. Fein atmete ich ein, filterte aus altem Bratenfett und Sportgeruch Bekanntes. Zwischen Schränken erschnupperte ich in Koffern gepackte Wäsche. Tiefer Atmen wechselte mit konzentriertem Schnuppern. Langsam sog ich die Luft. Fand Scharfes. Ich kannte es, doch schnell wußte ich den Unterschied zum Gesuchten zu benennen. Das Zweite stimmte nicht. Spuren menschlicher Fäkalien. Leise entfernte ich mich, schlich noch einmal um die Treppe, die nach oben führte. Nein, ich war schon richtig. Der Luftdruck stimmte. Ich folgte dieser Spur. Fand eine Tür, ging hindurch. Zur Rechten hörte ich leise Menschen atmen, links lockte Erwartung: Ätzend rissen Desinfektionsmittel meine Nase und verrieten den Ort. Behutsam öffnete ich die Tür. Das war das Dort. Feuchte Luft und Frauenduft. Ich hatte die Spur, folgte der Witterung und öffnete Türen. Wie gut ich mich zurechtfand. Jede Tür, jede Duschbank, die Bilder auf gebrannten Kacheln. Alles stimmte. Und hinten, am Ende des großen Raums lockte auf dem Boden ein silberner Strahl. Er zog mich an, ich ging hin und folgte seiner Magie. Die silberne Farbe reichte fast zum Raumende, kroch schräg die Wand zum Fenster hinauf und endete draußen im Mond. Ich wollte nicht mehr aufrecht stehen. Kroch auf alle viere, schnüffelte aufgeregt: Fand altes Haar in Kachelritzen und betörte mich an im Boden beginnenden Abflüssen. Wieviel weibliche Körperreste hier schon entschwunden waren. Scheidensäfte und Hautpartikel lockten mich und ich rieb meine Kehle fest daran um ihren Duft aufzunehmen. Ich mochte diesen Ort. Er schien paradiesisch. Schnell erschnüffelte ich fremde Menschen, und erstaunte als ich Sybilles Odeur erkannte. Doch zum Wundern war ich zuviel Tier. Und mitten im Schnüffeln, reiben und markieren durchzuckte mich eine jähe Ahnung. Ich verhielt mich still. Spitzte meine Ohren. Und fand einen kleinen Platz für mich. Die erste Dusche hinter der Ecke war gut gewesen. In allen Träumen. Darauf verließ ich mich. Und die Tür öffnete sich. Bekanntes kichern. Deine vertraute betrunkene Stimme durchbrach die Dunkelheit. Du sangst Dein Lied. Wie jedesmal. Doch diesmal roch ich dich ganz genau. Ich erkannte Deine achtzehn Jahre, ich roch Deinen Zyklus, die Vergangenheit deiner letzten Menstruation, die Ganzheit deines Jungfernhäutchens. Und Du hattest noch nicht einmal die Tür geschlossen. Wie in jedem meiner Träume hattest Du deine Duschtasche bei Dir. Stärker als je zuvor roch ich den Pfirsichduft aus der Flasche und dazu roch ich ganz genau den alten Pfirsichgeruch vom gestrigen Tag auf Deiner Haut. Und wie in allen Träumen verliesst Du Dich auf Deine Augen. Ohne Licht folgtest Du den Kachellinien zum Silberstrahl, der auch mich zuvor betörte. Du kamst zu mir. Schritt für Schritt und Deinen Finger hörte ich beschwingte Kurven an die Wände zeichnen. Bald warst Du bei mir: Als du an meiner Duschkabine vorbeigingst und wie in allen Träumen zu der letzten gingst, die nie vom Mondenschein berührt worden war, war ich wilder als je zuvor. Doch ich hielt still. Fast wahnsinnig machte mich Deine unbekümmerte Nähe, Dein weicher Schritt hallte mir in den Ohren, daß sie vor Schmerz zitterten. Als wären die Trommelfelle für Paukenschläge mißbraucht. Ich saugte Dich auf. Lauschte Deinem Atem. Der Gesang paradisischer Fantasievögel wurde wie vom Wind zu mir getrieben. Vorsichtig lugte ich unter die Schwingtür meiner Dusche hervor. Dort standest Du, allein und nackt und warst bereit zu verschwinden. Als ich die Schwingtüren klappen hörte und das Wasser rauschte, schlich ich mich zur Tür. Mit einem Besen verriegelt ich sie und erhob mich. Zweibeinig und stolz kam ich zu Dir, zu Deinem Wasserrauschen, zu Deinen geschlossenen Augen und schloss mit meiner Pranke Deinen Mund. Deine Augen rissen weit auf, doch Dein Schrei verschwand in meiner linken. Die rechte würgte Dich. Bedrohlich knurrte ich und spürte Deinen Widerstand schwinden. Du wurdest weich, Du wusstest um meiner rechten Stärke. Und meine linke ließ von Deinem Mund in den ich tief eindrang. Ich zerbiss Deine Lippen und genoss den blutigen Atem. Du warst gelähmt. Ich küsste Deinen Hals, Deine Augen, führte Deine Hände an meinen Körper. Ich roch Deinen Duft. Die Angst drang aus Deinen Poren. Und noch viel mehr Deine Hilflosigkeit und Deine Fruchtbarkeit. Und so nahm ich Dich hoch, führte Deine Schenkel um meine Hüften und fand Dich. Du stöhntest auf. Blut floss, Deine Scheide schmerzte Dich und meine Hand umschloss Deinen Mund. Und ich stieß zu. Immer wieder. Berührte Deine Brüste, berührte Dein Wesen, fühlte unsere Vereinigung, Deinen Hass, Deine Abscheu, Deine Verzweiflung und meine Liebe, mein Verlangen und meine Höllenfreude. Tief und oft drang ich in Dich ein. Stieß Dich immer wieder und erst als ich meinen Samen in Dich pflanzte drehte ich dich um. Deine Hände legte ich um die Dusche, Deinen Körper trug ich in die Luft. Du musstest Dich festhalten, hattest keine Wahl. Ich befahl es dir. Nicht mit Worten, nein, mit gefährlichem Knurren. Und Du wusstest ganz genau um seine Bedeutung. Als Du Ohnmächtig wurdest verloren Deine Hände ihren Halt. Wir knallten gegen die Duschamatur, Du sacktest kraftlos zu Boden. Ich war wütend, brüllte laut auf Dich, doch Du bewegtest Dich nicht. Lagst da wie Tot. Ich lauschte: Fand Deinem Atem. Deinen Herzschlag. Dein Leben. Ich drehte Dich auf den Rücken, betrachtete Dich. Deine Ohnmacht zauberte ein neues Licht in deine Dunkelheit. Deine gebräunte Haut wirkte Blass, Deine dünnen Augenbrauen, schienen wie die Strahlen einer ägyptischen Göttin. Ich setzte mich auf Dich, war noch immer voll tierischer Wut und Lust. Deinen jungen, festen Busen zierten braune Knospen, Deine von Bissen blutenden Lippen waren geschwollen und leuchteten wie die Wünsche eines Mannes. Ich betastete Dich, streichelte mit meinen Pranken Deine Jugend, erfuhr Geheimnisse aus Deiner Kindheit und spürte das Reifen meiner Frucht in Dir. Es war ein Geheimnis, das dieses Kind geboren werden würde. Still und allein, unter Scham und Verdammung. Dein Kind. Mein Kind. Unser Kind. Ungewünscht und doch geliebt würden Deine jungen Brüste es säugen, Dein Hände es behüten, Deine Worte es trösten und der Mond es führen.
Ich öffnete die Dusche:.Ich nahm Wasser und Seife und reinigte Dich von meinen Spuren. Dann trocknete ich Dich in Deinem tiefen Schlaf, küsste Dich tausend Mal und salbte Dich mit Deinen Cremes. Du warst die Königin der Bestie. Der Mond hatte dich gefunden. Ich sah auf zum Fenster. Der Mond war verschwunden. Und ich folgte ihm.
In meinem Bett sah ich das Morgengrauen. Ich schlief nicht mehr. Spürte langsam nach, wie das Biest mich verliess. Im Spiegel sah ich meine Muskeln ausdünnen, meine Schultern wurden wieder schmal und die Röte blieb nur noch in Streifen in meinen Augen. Es war ein Traum hoffte ich. Aber tief in mir fürchtete ich seine Wirklichkeit. Ich sah mich an, spürte meine Kräfte schwinden, trauerte den wohligen Frühlingsdüften nach, deren Präsenz immer dürftiger wurde. Die Sonne verdrängte den Mond und in mir wuchs das Gefühl Marionette einer archaischen Magie gewesen zu sein.

Anders als die Träume kam Sybille zurück. Wir trafen uns, aus sweet sixteen wurden Siebzehn und sie wollte ihren Geburtstag mit Freunden feiern. Und mir. Das stimmte mich kaum mutig, denn die Anwesenheit von Sybilles Freunden langweilte mich. Die meisten waren in Sybilles Alter. Doch Sybille war eine Teufelin und überzeugte mich mit ihrem Einsatz weiblicher Vorzüge. Der Geburtstag nahte. Je öfter ich mich mit ihr, Anna und zu meinem Leid mit Jaques zu Geburtstagsvorbereitungen treffen musste, umso mehr litt ich unter ihrer Jugend. „Man kann nicht alles haben“, dachte ich oft und klammerte mich an das was ich hatte. Anna war nett und unterhaltsam, im Gegensatz zu Sybille aber viel mehr Mädchen. Jaques hingegen war eine pubertäre Katastrophe, zeigte sich stets besserwissend und schien sich schon jetzt auf seine diplomatische Zukunft auszuruhen, deren er sich sicher sein konnte. Denn auch im modernen Frankreich überlebte die Bedeutung aristokratischen Blutes. Der Revolution trotzend. Ich hielt Jaques für einen Kotzbrocken erster Klasse. Ich war sicher, dass er in seinem Leben viel Böses anrichten würde. Sybille wollte ihren Geburtstag im „Tor zum Herzen“ feiern. „Auch das noch...“, dachte ich. Ich hatte schon einiges davon gehört. Ein Jugendclub voll von Teenies. Ich hörte schon die anderen flüstern. Und sah mich als Betreuer da stehen. Aber so ist das wohl, wenn ein Mann in der Blüte seines Lebens eine Jungnymphe liebt. „So ist das wohl...“, dachte ich ziemlich oft. Ihr Geburtstag hatte alles: Rosen, Champagner und teurer Schmuck betörten meine Liebste und als wir zum „Tor zum Herzen“ kamen, erschrak ich: Ich kannte das Gebäude, das Haus, die Graffities aus meinen Träumen. Unauffällig schnupperte ich nach vertrauten, doch ich konnte nicht mehr wahrnehmen als andere auch. „Ein Deja-Vu“, dachte ich und faßte mich. „Nur ein Deja-Vu“, versuchte ich mich zu beruhigen. Doch mir war unbehaglich. Wir traten in das Gebäude ein. Glücklicherweise war mir hier alles fremd. Der Portier empfing uns, ich wurde als Sybilles Gast eingetragen und wanderte mit meinem Blick. Dieser fiel auf eine Überwachungskamera. Ich wunderte mich. Sybille hatte mir soviel von Freiheit erzählt. Sybille schaute mich an. „Erinnerst Du Dich nicht?“, und wurde ein bisschen traurig, denn sie wurde an die Zeit unserer Trennung erinnert. „Ach nein, kannst Du ja gar nicht.“, wußte sie. „Die Kameras sind neu. Weil ein Mädchen vergewaltigt wurde.“ Ich war entsetzt. Mein Traum. Mein Deja-Vu. Meine Wahrheit. Ich hielt den Atem an und wagte mich in das Innere. Mein Herz klopfte laut, als ich in das „Tor zum Herzen“ schritt. Später tanzten wir auf der Party. Meine Befürchtungen erwiesen sich als falsch. Ich war nicht der älteste und es gab einige interessante Gesprächspartner. Ich hatte mich getäuscht. Das war hier kein Jugendclub. Ich fühlte mich gut aufgehoben. Bis ich Dich sah. Wiedererkannte. Nicht nur Dein Gesicht. Auch Deine Frucht. Du warst noch schöner als in unserer Nacht. Dein Haar war schwarz und lang. Ich erinnerte mich daran, wie es sich auf Deinem Rücken geteilt hatte. Erinnerte mich an die Haut unter meinen Händen und roch Dein Ungeborenes. Ich starrte dich an. Und Du kamst auf mich zu. Ganz dicht. Du mustertest mich. Ich blieb starr. Folgte nur Deinen Augen. Deinen schmalen Augenbrauen. Deinen dichten Wimpern. Bis Du bei mir warst. Tief blicktest du in meine Augen. Und ich blickte in Deine. Dann kam Sybille. Eifersucht war in ihr entfacht. „Kennt ihr euch?“. Ich war verwirrt. Reagierte nur. „Nein. Noch nicht.“ und ich stellte mich vor. Die Mexikanerin stellte sich ihrerseits vor, und bemerkte: „Komisch mir war so, als hätten wir uns schon einmal gesehen.“.

„Nein, bei ihrer Schönheit. Sicher würde ich mich erinnern.“, log ich charmant. Es galt meine Haut zu retten. Sie musterte mich noch einmal: „Sind sie sicher?“ „Ganz sicher.“, beteuerte ich. Enttäuscht wand sie sich ab. Sybille flüsterte mir zu : „Das ist die, die Vergewaltigt wurde.“ „Ich weiß.“, flüsterte ich zurück und wünschte mir die Worte nie gesagt zu haben. Sybille sah mich an: „Wieso?“ „Ich weiß nicht.“, sagte ich. Ich entschuldigte mich und ging hinaus. Ich vergaß mich umzukleiden und ging mit der Clubkleidung auf die Straße. Ich winkte ein Taxi heran, fuhr nach Hause, buchte ein Flugzeug, packte meine Koffer und floh ohne Abschied nach Muh-Dan-Jiang in mein Gefängnis.

Ich sühnte. Vierzig Jahre lang lebte ich in der Fremde. Keinen meiner Freunde hatte ich wiedergesehen und neue Freunde erlaubte mein Misstrauen nicht. Jeder konnte mein Monster sein. Mein Gefängnis war ein buddhistisches Kloster. Die Mönche dort begegneten mir mit Respekt und Freundschaft. Die Freundschaft erwiderte ich nie. Nur den Respekt. Ich litt unter meiner Wahrheit. Und schämte mich sehr. Bekannte sie nie. Ich fürchtete die Bestie zu sehr. Niemand wußte von ihr.
Wenn der Morgen die Nacht besiegte stieg ich ins Tal und wusch mich im kalten Wasser. Dann setzte ich mich am Fluss und sah ihm zu. Als mein Schmutz geflohenen war, füllte ich die Eimer. Nach alter Sitte lud ich sie auf meine Schultern und trug sie zum Tempel. Sooft bis ich für jeden Mönch zwei Eimer gebracht hatte. Müde pausierte ich, bevor ich den Garten pflegte, vor dem die Mönche meditierten. Ich erfuhr nie was sie meditierten. Ich hatte nur eine Bitte, die sie stets erfüllten und nie hinterfragten. Sie sperrten mich bei Vollmond ein. Nutzlos. Die Bestie kehrte nie zurück. Stattdessen meine Tränen. Meine Erinnerung an die Gewalt. Mein Mitleid mit all den Frauen, denen Bestien begegnet waren wuchs immer mehr. Morgens öffneten mir die Mönche. Sie legten mir Mitfühlend eine Hand auf die Schulter. Ich spürte ihre Wärme, nahm die Hand weg und ging hinaus. Ich schulterte die Eimer und ging zum Fluss.

Als reicher Mann sah ich meinem Ende entgegen. Reich und voller Reue. Gut angelegtes Geld aus erster Lebenshälfte hatte sich vermehrt. Unermeßlich vermehrt. Es stand meinem Erben zu. Ich verabredete mich mit einem Notar, veranlasste das Nötige und zog in die Berge um dort einsam und beschämt zu sterben.

Ein großer Moment. Nicht für den Notar, aber für Xenias Familie. Nüchtern verlas er das Testament. Die Mexikaner in seiner Kanzlei lauschten ihm. Hände schlugen vor Münder, Augen weiteten sich. Die alte Legende der Bestie wurde das erste Mal von außen zur Familie getragen. Und das von einem Notar. Und unsensibel. Als hätte die Bestie nie geschlafen. Xenias Großmutter weinte. Sie erinnerte sich an die Details dieser Nacht. Und sie erinnerte sich daran, dass ihre Mutter sie zu trösten suchte. „Das ist der Preis für unsere Magie.“, hatte sie gesagt und diese seltsamen Worte hatten gewirkt. Xenias Großmutter wußte: Sie war auserwählt. Dieses Testament, in dem die Bestie die Vergewaltigung gestand, bezeugte allen Anwesenden unwiderlegbar die Wahrheit über das Tier, das seit Beginn der Zeit in ihrer Familie von Mund zu Mund weiter getragen wurde. Die Bestie hatte sich bekannt. Schwarz auf Weiss. Großes Ehrgefühl durchströmte die unerwartet reich gewordenden Erben.


von Martin Teuschel



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