"Und dies ist das Grab von Alexis Dupont, einem Mitglied einer mächtigen Adelsfamilie aus dem Jahre 1817. Der Inschrift zufolge ist er angeblich durch einen Vampirbiss gestorben, was zu jener Zeit ein weit verbreiteter Grund war für unerklärliche Todesfälle aller Art. Er starb sehr jung, heute nimmt man an, dass er wohl an Diabetes oder Syphillis verstarb. Er war übrigens mit Sophie Masson verlobt, einer jungen Frau, die später als bekannte Kammerspielerin in Briançon tätig war und sich dort mit dem Adeligen Rene de Bougy ehelichen ließ. Des Weiterem soll er laut den Chroniken der Stadt an dem selben Tag verstorben sein, an dem eine Hinrichtung an einem Vampir begannen wurde. Es wäre insofern auch möglich, dass er Opfer eines Mordes wurde und jener Mörder schlicht als Vampir bezeichnet wurde." Ein andächtiges Tuscheln ging durch die Gruppe. "Der Grabstein ist ein Kreuz mit der Inschrift in der Mitte, was darauf hindeutet, dass die Familie Dupont streng christlich gewesen sein muss, auch, wenn wir bislang kein weiteres Grab jener Familie finden konnten. Eine geheimnisumwitterte Legende exestiert ausserdem. Angeblich soll jener Vampir, der den Jungen getötet haben soll, diesen auch geliebt haben. Diese Legende hält sich vor allem dadurch hartneckig, da seit der Entstehung dieses Grabes immer am 14. Januar eine uns unbekannte Person genau zwanzig rote Rosen auf das Grab legt." "Ist denn nicht heute der 14?!" "Oh ja, heute ist der 14. Um genau zu sein hatte ich sogar gehofft, dass wir das Grab bereits mit jenen Rosen antreffen, doch wie es scheint, war jener mysteriöser Anbeter noch nicht hier." Tuscheln ging durch die Gruppe. "Wieso bewachen sie das Grab nicht, um zu sehen, wer die Blumen bringt?" "Oh, da sind wir auch schon drauf gekommen, jedoch haben weder Wachmänner, noch Kameras bisher Aufschluss gegeben. Die Blumen erscheinen einfach. Aber ich verspreche ihnen, wenn sie im Laufe dieses Tages nochmal hierher kommen, dann werden sie die Rosen vorfinden." Wieder leises Tuscheln. "Nun, lassen sie uns ein Grab weiter gehen. Dies gehörte Jean Denard, er war ein berühmter Künstler in dieser Stadt im Jahre 1847..."
Die Gruppe folgte dem Reiseführer, der an seinem leuchtend gelben Schirm mehr als nur gut erkennbar war. Die Gruppe war auch nicht sonderlich groß, zwei junge Pärchen, eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter und eine fünfköpfige Gruppe von Rentnern. Sie stellte sich wieder brav um den Reiseführer herum und besahen sich das neue Grab. Alle bis auf eine. Das kleine Mädchen starrte gebannt auf die Leute, die noch immer bei dem Grab standen. Da waren ein großer und ein kleiner Mann, beide trugen ein T-Shirt und eine Jeans. Dann eine Frau mit Katzenohren und einem Schwanz in einem hellgelben Sommerkleid. Dann war da ein kleiner Junge mit dunkelblonden Haaren, der ein weißes Kragenhemd und eine schwarze Hose trug. Und dann noch ein Mann mit langen schwarzen Haaren, einem weißen Hemd samt roter Weste und einer Jeans. Und er trug einen Rosenstrauß. Die Fünf starrten auf das Grab, ehe sich der Mann nach vorne beugte und den Strauß niederlegte. "Mama! Mama, guck mal!" rief das Mädchen aufgeregt und die Mutter tadelte ihr Kind ehe sie, wie auch der Rest der Gruppe erstaunt den Rosenstrauß vor dem Kreuz liegen sahen. Großes Raunen ging durch die Gruppe, doch niemand sah die Fünf. "Kind, hast du gesehen, wer die Blumen gebracht hat?" fragte der Reiseleiter aufgeregt, doch das Mädchen hielt sich nur den Zeigefinger vor den Mund und zischte leicht. Es starrte dabei lächelnd den Mann mit den langen Haaren an, der ebenfalls den Zeigefinger an den Mund gelegt hatte und leicht zischte. "Komm, Sofia, mir ist das unheimlich!" drängte die Mutter schließlich und das Mädchen mit den blonden, kurzen Korkenzieherlocken winkte noch kurz der Gruppe, ehe es sich umdrehte und zwei schneeweiße kleine Engelsschwingen offenbarte, welche aber schnell verschwanden. "Habt ihr das auch gesehen?" fragte Amelie erstaunt und alle nickten, ehe sie nochmal zum Grab runter sahen und dann den Friedhof verließen.
Sie liefen durch den stark besuchten Marktplatz und sahen zu dem Ort, wo einst das Schloss gestanden hatte und nun ein modernes Rathhaus stand. "Was sich nicht alles verändert in ein paar hundert Jahren..." sagte James gedankenverloren und sah an dem Gebäude hoch. Robin nahm die Hand seines Herren in die Hand und schaute ihn aufmunternd an. "Es geht ihm bestimmt gut. Dort oben bei den Engeln. Immerhin hat er es für euch getan." James nickte, doch er schaute wehmütig zum klaren, blauen Himmel hinauf. "Schon, aber ist dennoch immer wieder...traurig." Er senkte den Kopf und seufzte, ehe er zu der Stelle sah, wo einst der Scheiterhaufen war. Die Stelle war frei geblieben, es war einfach nur Markt. Menschen strömten hin und her, wollten an diesem klaren Tag alle möglichen Touristensehenswürdigkeiten abklappern und hetzten sich umher. Nur ein Mann im Clownskostüm, der Ballons zu Männchen verflocht, ließ sich alle Zeit der Welt. "Wie grausam." kam es plötzlich hinter ihnen. Verwundert drehte sich die Gruppe um und sahen einen Jungen mit einem dunkelblauem Mantel und kurzen blonden Haaren. Sprachlos starrte man sich gegenseitig an, nur der Junge grinste. "Du hast mir verschwiegen, dass Engel wiedergeboren werden, hättest du das sofort gesagt, hätte ich nicht eine Sekunde gezögert." James starrte ungläubig auf den Jungen vor sich, welcher ihn anlächelte. "Das ist nicht möglich..." flüsterte er und der Junge zuckte nur mit den Schultern. "Gott, ich habe euch lange suchen müssen. Ihr reist viel zu schnell umher, ich wusste ja nicht mehr, wo ihr wart, als ich wieder hier unten war. Und dann fiel mir vor drei Wochen ein 'Hey, sie gehen doch immer an meinem Todestag zu meinem Grab!' und tja, hier bin ich." Der Junge lachte und auch Robin bildete ein erstes Lächeln, während die Anderen es immer noch nicht fassen konnten. Langsam ging James auf den Blonden zu und streckte vorsichtig die Hand aus als fürchte er, sie würde durch den Körper hindurchgreifen, doch er berührte warme Menschenhaut. "Hey, James. Vielleicht bin ich ein wunderschöner Engel, aber mit dir ist es mir dennoch lieber. Darf ich wieder bei dir sein?" fragte er und James brach in Tränen aus und umarmte den Jungen weinend, welcher nun auch den Mann umarmte. Die Gruppe begann nach und nach glücklich zu lächeln und nur der Junge schien noch was sagen zu wollen. "Hey, James. Weißt du, was auch eine so schwere Sünde ist, dass man zu einem Vampir wird?" fragte er und der Mann richtete sich auf und schaute den Jungen einfach nur stumm an. Dieser lächelte und plötzlich erschienen zwei riesige weiße Schwingen auf seinem Rücken. "Wenn ein Engel...einen Vampir selbst liebt." Er küsste den Vampir sanft auf die Lippen und dieser zog den Jungen nach kurzem Zögern in eine enge Umarmung und drückte ihn fest an sich. Und niemand bemerkte, wie die Federn der Flügel sich bei einem plötzlichem Aufwind sich nach und nach lösten und im Himmel zu tanzen begannen, während schwarze Schwingen unter dem Federkleid zum Vorschein kam.