Die Katze
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Mittagessen – für mich, für den Hund, für die Katze. Die Katze kommt zuerst an die Reihe – schleicht durchs Wohnzimmer mit hungrigem Magen. Als ich ihr den Futternapf draußen auf dem Terrassentisch gefüllt habe, ist sie noch immer im Wohnzimmer am mauzen weil sie Hunger hat. Ein klein wenig mit dem Löffel an die Futterbüchse geklopft – schon kommt sie angerannt wie ein geölter Blitz und springt mit einem Satz auf den Terrassentisch auf dem ihr Fressnapf sicher vor dem Zugriff des Hundes steht. Ein wohlwollendes leises knurren signalisiert, dass sie jetzt ihre Ruhe haben will bis der Napf leer ist.
Diese Szene erinnert mich an den Tag, an dem wir die kleine Samtpfote auf dem Bauernhof geholt haben. Dort genügte auch nur das Geräusch einer Futterbüchse um sie aus ihrem Versteck zu locken. Der Hunger hatte anscheinend darüber gesiegt, dass es ein paar fremde Menschen gab die das kleine scheue Tierchen begutachten wollten.
Etwas ratlos nahm damals meine Tochter den kleinen verstrubelten Fellknäul in Augenschein. Also so richtig entsprach dieser zersausste Winzling mit den entzündetten Augen doch nicht ihren Vorstellungen wie ein vorzeigefähiger Stubentiger auszusehen hatte. Die Frau vom Bauernhof meinte, sie könne den kleinen Nachzügler ruhig mal streicheln, das mit den Augen sei nicht so schlimm, die Katze habe momentan eine Allergie gegen Heustaub – das würde in ein paar Tagen in einer Hausumgebung besser werden. Meine Tochter verstand unter streicheln allerdings etwas anderes als die Frau gemeint hatte, sie wollte doch ein richtiges Kuscheltier mit nach hause nehmen, etwas zum spielen und knuddeln. Also packte sie die kleine Katze und setzte sie sich auf den Arm.
Ich sehe noch heute die Überraschung im Gesicht der Bauersfrau, als sie sah, dass die kleine Katze sich diese ungewohnte Prozedur ohne murren gefallen lies. Sonst suchte sie immer sofort die Flucht und nahm Reisaus, wenn jemand fremdes sich ihr näherte. Die Katze verhielt sich mucksmäuschen still – da schnurrte nichts, als sie gestreichelt wurde – gefiel es ihr nicht?
Die Entscheidung nahte – mitnehmen oder weiter nach einer anderen Katze suchen?
Die kleine Katze hatte ihre Entscheidung schon getroffen – vermutlich in dem Augenblick, als sie sich so einfach auf den Arm nehmen lies. Meiner Tochter fiel die Entscheidung schon ein wenig schwerer. Das zersausste Fellknäul mit den entzündeten Augen war wenig vorzeigefähig, allein die Wärme und das Schutzbedürfnis weckten Beschützerinstinkte. Was würden die Freundinnen zu so einem „Kauf“ wohl sagen? Eher nicht, sagte der Verstand. Das Herz hatte allerdings wohl auch schon ein wenig anders entschieden.
Zurückgeben – man konnte ja immer noch einmal zu dem Bauernhof fahren – ging der Verstand mit dem Herz einen Kompromiss ein.
Wenn man sie auf dem Boden absetzte würde sie vielleicht die Flucht ergreifen – dann war der Gewissenskonflikt gelöst.
Der kleine Stubentiger hatte inzwischen seine Krallen ausgefahren, sich unbarmherzig in die Maschen der Jacke meiner Tochter eingehakt. Da ging nichts, da half kein ziehen oder zureden. Die Krallen waren wie kleine Anker mit der Jacke verbunden. Fast schon ärgerlich registrierte meine Tochter, dass wenn sie ihre Anstrengung noch verstärkte, den Stubentiger wieder loszuwerden, würde dies ihre teure Jacke ruinieren.
Die Bauersfrau hatte eine Lösung anzubieten: Jetzt mitnehmen, wenn es nicht ging, die Katze später wieder zurückbringen.
Na ja, immer noch eine bessere Lösung als sich die teure Jacke ruinieren. Mit der Katze auf dem Arm – oder besser gesagt, am Arm festgeklammert - ging es Richtung Auto.
Als wir ins Auto einstiegen hatte meine Tochter wohl gemischte Gefühle. So richtig zufrieden schien sie nicht zu sein. Gut, einerseits hatte diese Katze nichts gekostet, sie war zu klein und unscheinbar um sie für Geld verkaufen zu können – hatte die Bauersfrau zum Schluss verraten – andererseits entsprach sie nicht so ganz den Vorstellungen, wie man bei Freunden mit dem neuen Haustier „angeben“ konnte.
Dann passierte es unterwegs. Die Katze hatte wohl ein Gespühr dafür, dass sie nun in Geborgenheit leben konnte. Ein zufriedenes Schnurren lies meine Tochter alle „negativen“ Gedanken vergessen.
Als meine Frau das neue Haustier sah, stellte sie sofort die Frage, ob wir nichts „besseres“ hätten finden können, das bedauernswerte Tierchen sähe ja aus, als ob es die Nacht nicht überleben würde.
Die Katze wusste indessen, zu wem sie sich halten musste: Sie wich meiner Tochter nicht mehr von der Seite, ging mit in ihr Zimmer, als sie am Abend zu Bett ging. Keinen einzigen Ton der Klage, von der Katzenmutter getrennt in einem fremden Haus sein zu müssen – wie aus Angst, unnötig auf sich aufmerksam zu machen.
Dann in den nächsten Tagen viele Aktionen meiner Tochter: Bücher über die Pflege von Katzenbabys, Kauf von vielen Utensilien und vor allem Medikamente und richtiges Futter, Katzenstreu, Tierarztbesuch und, und, und.
Schnell machte sich die Pflege und die richtige Ernährung bei dem Fellknäul bemerkbar: Das Fell glänzte plötzlich, die Augentropfen und die Impfung beim Tierarzt zeigten deutlich Wirkung. Da blickten plötzlich wunderschöne bernsteinfabene Augen mehr als munter durch die Gegend. Der Stubentieger entpuppte sich als munterer Spielgefährte, entwickelte sich vom hässlichen Entlein zum prächtigen Schwan. Das lustigste war wohl die Tatsache, dass das Kätzchen zwar einen mächtigen Hunger an den Tag legte, aber trotzdem irgend wie mit der Körpergröße im Babyalter stecken blieb. Vermutlich eine Folge davon, dass die großen Brüder und Schwestern ihm nicht viel Nahrung von der Mutter übrig gelassen hatten als alle das Licht der Welt erblickten.
Klein und zierlich, aber den Mut und das Temperament einer großen Wildkatze. Da kam zuweilen auch schon einmal die Frage, wo wir dieses muntere lustige Kätzchen denn gekauft hätten. Jetzt war nicht nur die Katze zufrieden, auch meine Tochter wollte um keinen Preis der Welt diesen neuen Spielkameraden wieder hergeben.
Heute, mehr als zehn Jahre später, sind die beiden immer noch unzertrennlich. Unvorstellbar der Gedanke, dass damals auf dem Bauernhof der Verstand über das Herz gesiegt hätte und all die vielen Momente mit dem treuen Kameraden wären nicht erlebt worden.