„Willst du das Spiel deines Lebens spielen?“
Die Stimme kam aus dem Licht. Einem Licht so hell und strahlend, dass Sie sein ganzes Wesen durchdrang. Nichts konnte vor diesem Licht verborgen werden, nichts zurückgehalten.
Vor wenigen Augenblicken erst war er in einem Blitz einer thermischen Explosion verdampft, als ein irrer Terrorist sich direkt neben ihm in die Luft gesprengt hatte. Und nun stand er hier und wurde so gefragt, als wäre es ganz normal.
War das hier ist das Nachleben, der Himmel oder das Nirwana?
„Du bist tot, das solltest du nicht vergessen, doch du trägst einen Funken göttlicher Macht in dir, wie so manche deines Volkes, doch längst nicht alle. Dieser Funken verleiht dir die Macht, ein Avatar zu werden. Ein Wesen, das sich selbst wiederzubeleben in der Lage ist. Als solcher kannst du am Spiel teilnehmen. Es ist deine Möglichkeit, mehr zu werden, als du vorher warst, sogar vielleicht ein Schöpfer zu werden. Schöpfer deines eigenen kleinen oder auch größeren Universums.“
Die Stimme war seltsamerweise weder männlich noch weiblich, irgendwo dazwischen, nicht unangenehm und trotzdem mächtig.
„Dieses Spiel ist wie die Spiele, die du auf der Erde gespielt hast. Ich denke, du würdest es wohl ein MMORPG nennen. Du gewinnst an Macht, indem du Aufgaben löst, die Seelenmacht deiner Gegner in dich aufnimmst oder einfach nur lang genug existierst. Stirbst du, verlierst du einen Teil deiner Macht. Verlierst du zuviel, erlischst du schlicht und ergreifend. Das bedeutet, dass dein Götterfunke erlischt und damit deine unsterbliche Seele mit dir, solange du dich keiner größeren Macht angeschlossen hast. Dies verwehrt dir jedoch auch die Chance, selbst zu einem Gott zu werden.“
Also wurde man entweder selbst mächtig oder ein Sponsor sorgte dafür, dass man immer neue Chancen hatte.
Nun die Wahl war ja wohl klar, ob er spielen würde, schließlich hatte er keine Lust, dauerhaft ins Gras zu beißen.
„Ich werde spielen! Wird sicherlich ein großer Spaß werden. Und wo genau werde ich anfangen?“
„Mal langsam mit den jungen Pferden, Heißsporn! Zuerst eine kleine Regel, die du dir hinter die Ohren schreiben solltest! Dein altes Leben ist vorbei, also darfst du auf gar keinen Fall dorthin zurückkehren. Kein Kontakt zu deinen Eltern, Freunden oder sonstigen Bekannten. Sollten Sie selbst zu Avataren werden, steht es dir frei, wieder mit Ihnen zu sprechen, aber du darfst Sie keinesfalls darauf aufmerksam machen, dass du weiterexistierst. Das heißt nicht, dass du nicht mit ihnen sprechen darfst, aber Sie dürfen nicht ahnen, dass es nach deinem Tod eine neue Form der Existenz für dich gab. Und ja, dies bedeutet, dass du auf der Erde weiterleben wirst. Du wirst, denke ich, schon sehr schnell feststellen, dass es Möglichkeiten gibt, ins Weltall zu reisen. Avatare sind mächtige Wesen, selbst am Anfang ihrer Karriere. Was du mit deinem Leben anstellst, bleibt dir überlassen, sei jedoch gewarnt, dass andere Avatare und höhere Wesen ihre eigenen Pläne haben und wenn du diese störst, könntest du natürlich in ihr Fadenkreuz geraten.
Die Kriege deiner Welt sind in nicht unbeträchtlichen Ausmaßen von Avataren angezettelt. Solltest du also das Bedürfnis verspüren, in diese Kämpfe einzugreifen, so sei vorsichtig, dass du nicht den falschen Leuten über den Weg läufst. Wenn dich ein Avatar tötet, verlierst du nämlich einen deutlich größeren Anteil deiner Macht, als wenn dich ein gewöhnlicher Mob killt.
Entschuldige, ich meinte natürlich ein sterbliches Wesen!“
Hörte er da gerade etwa einen Funken Humor?
„Ach ja, es sei noch zu erwähnen, dass die sterbliche Welt ein ziemlich schlechtes Gedächtnis in Bezug auf Avatare hat! Ansonsten würde in einem digitalen Zeitalter jeder Unsterbliche schließlich sofort auffallen. Deine Macht kann dafür aber auch gezielt eingesetzt werden, doch das hat seinen Preis. Gerade zu Anfang solltest du davon also nur selten und in Notfällen Gebrauch machen! Das wäre dann wohl fürs erste Mal alles. Viel Spaß im Spiel!“
Er wollte noch etwas sagen, doch im nächsten Moment war das Licht weg und er sah eine humanoide Gestalt ohne Gesicht und Geschlecht vor sich.
Bei der Rasse konnte er sehen, dass nur Mensch zur Auswahl stand. Vielleicht ließ sich dies ja irgendwann mal ändern, bei Gelegenheit.
Er begann mit der Gestaltung seines Avatars. Zuallererst sollte er natürlich männlich sein, und kräftig, jedoch auch nicht ein Bodybuilder. Gut ausgebildete Muskeln aber nicht übertrieben. Mit einer Größe von 1,85 m auch nicht übertrieben groß, aber auch nicht zu klein. Das Gesicht war etwas schwierig. Er wollte gut aussehen, aber kein Schönling sein, wie Brad Pitt oder David Beckham. Ein kantiges Gesicht, das Eindruck machte, und gleichzeitig vertrauenserweckend sein konnte. Bei den Beispielen aus der aktuellen Popkultur kam ihm schließlich Russel Crowe in den Sinn. Er veränderte die Augenfarbe zu einem so dunklen Blau, dass es fast schon Schwarz war und den Bartwuchs entfernte er vollständig, dazu das Kinn etwas schmaler. Als Haarfarbe wählte er nachtschwarz, er hatte schon immer eine Schwäche für diese Farbe gehabt.
Nachdem er mit den Äußerlichkeiten fertig war, sah er sich die zur Auswahl stehenden inneren Werte an und stellte fest, dass es unzählige Talente und Fertigkeiten gab, aber anscheinend keine Klassen wie Kämpfer, Dieb oder Magier. Stattdessen bestimmten die Attribute, welche Fähigkeiten man erlernen konnte.
An Attributen konnte man tatsächlich die Klassiker erkennen: Stärke, Ausdauer, Intelligenz, Geschicklichkeit, Weisheit und Glück. Es gab auch sekundäre Eigenschaften wie Geschwindigkeit, Energie, Stamina, Lebenspunkte und Aufmerksamkeit.
Diese schienen mit den Attributen zusammenzuhängen.
Als er so überlegte, welche er steigern sollte, fiel ihm auf, dass bei den 20 Steigerungspunkten ein kleines Würfelsymbol war.
Er hörte plötzlich wieder die Stimme in seinem Kopf.
„Ach ja, du hast die Möglichkeit, dreimal diesen Wert neu auswürfeln zu lassen! Als du gestorben bist, warst du ja nicht allein, daher hast du die Seelenenergie deiner Mitverstorbenen gleich aufgesaugt. Betrachte es als kleines Karmageschenk des Universums an dich!“
Und schon war die Präsenz wieder weg.
Tja, jetzt wäre es nur noch praktisch, zu wissen, wie der Wert ermittelt wurde, und ob 20 viel war oder nicht.
Er überlegte nicht lange und drückte auf den Würfel. Und plötzlich waren da vier Kugeln in seiner Hand! Kaum da, flogen diese auch schon durch den Äther.
Sie wirbelten ein bisschen umher und blieben schließlich liegen.
Fuck, eine jämmerliche 9? Soll das ein Witz sein?
Also war 20 offenbar doch ganz gut gewesen! Naja sehr viel schlechter war ja kaum möglich.
Wer will noch mal, wer hat noch nicht, lautete glaub das Sprichwort!
Das kann ja wohl nicht wahr sein! Ich hab ja wohl beschissenes Glück!
Die 4 leuchtete da vor ihm. Ok, offenbar ging’s doch schlechter.
Etwas Angstschweiß bildete sich auf seiner Stirn. Ein letzter Versuch blieb ihm noch und wenn der danebenging, war er bestenfalls ein jämmerliches Durchschnittweißbrot mit ein paar Extras.
Die Würfel flogen erneut durch die Luft und drehten sich schnell um die eigene Achse, bis sie schließlich liegen blieben.
Naja, Fortuna mag mich offenbar doch noch!
Vor ihm erschien die Zahl 37! Na das war doch ein beträchtlicher Unterschied zu den vorhergehenden Zahlen. Damit ließ sich richtig was anfangen!
Nun war die Frage, wie die Punkte verteilt werden sollten. Anfangs wollte er sein Überleben als absolute Priorität sichern, dafür war eine hohe Anzahl an HP erforderlich. Dafür musste er seine Ausdauer erhöhen.
Momentan hatte er in allen Werten einen Wert von 10 und 100 HP, was wohl damit einem Faktor von 10 entsprach. Also pumpte der junge Avatar 10 Punkte in Ausdauer. Seine HP stiegen um satte 100 an. Gleichzeitig stieg seine Stamina auch um 100 Punkte an.
Wo er so darüber nachdachte, wie er seine Zukunft plante, dachte er daran, dass er immer schon ein Magier sein wollte, es musste wohl so was wie Magie oder etwas in der Art geben, denn wozu sollte sonst Energie da sein. Außerdem war eine hohe Intelligenz auch nützlich, wenn es um Erlernen von Fähigkeiten, also auch Zaubersprüchen ging. Das war in allen Spielen, die er gespielt hatte, so.
Also flossen weitere 10 Punkte in Intelligenz, was in einem Energiepool von 200 endete.
Wenn er so darüber nachdachte, war eine hohe Weisheit immer nützlich bei der Regeneration von Energie beziehungsweise Mana. Aber er wollte auch noch Punkte für seine restlichen Attribute haben, also lies er nur 5 Punkte in seine Weisheit fließen, womit seine Energieregeneration von 1 Punkt/Sek. auf 1,5 anstieg. Nicht gerade überwältigend, aber ihm fiel auf, dass seine Aufmerksamkeit um 2 Punkte anstieg.
Jetzt waren noch Stärke, Geschicklichkeit und Glück übrig. Er legte mehr Wert auf Geschick als auf rohe Kraft, und Glück war immer praktisch, da es den Loot in allen Spielen beeinflusst.
Also stieg seine Geschicklichkeit um 8 Punkte und sein Glück um 4 Punkte an.
Dabei bemerkte er, dass seine Geschwindigkeit um 4m/s anstieg auf 14m/s. Jetzt konnte Usain Bolt einpacken. Wenn er daran dachte, dass er noch dazu zäh wie Leder war, konnte er wohl auch einen ganz passablen Langstreckenläufer abgeben.
Bei dem Blick auf seine Tragelast stellte er fest, dass momentan bei 25 Kilo die Belastungsgrenze für leichte Last erreicht war, und bei 50 Kilo die schwere. Also war es ein Faktor von 2,5 und 5. Da musste er über kurz oder lang wohl doch ein bisschen investieren.
Schließlich sah er aus wie ein griechischer Athlet, aber tragen konnte er nur wie ein etwas kräftigeres Mädchen. Schande über sein Haupt, wenn so das so blieb.
Kaum war er mit der Aufteilung seiner Attribute fertig, tauchte auch schon seine Fertigkeitenfenster auf. Er hatte aus seinem vorherigen Leben ein paar Fertigkeiten herübergerettet, aber beeindruckend war das nicht gerade.
Er hatte durchschnittliche Kenntnisse in Mathematik, Physik und Chemie, beherrschte zwei Sprachen, Deutsch und Englisch, fließend und Latein miserabel. Er hatte auch durchschnittliches Wissen in Kochen, Computerhardware und Computernutzung, Schriftstellerei, Datensuche und Computerspielen. Außerdem war etwas klempnern und handwerken auch zu verzeichnen.
Er hatte nicht gedacht, dass seine Kenntnisse in Bogenschiessen und Schwertkampf für durchschnittlich reichen würden, aber offenbar war er gar nicht so schlecht darin gewesen.
Seine Kenntnisse in Mythenkunde, fremdländischen Kulturen und Ritualen waren leider nur miserabel, aber zumindest vorhanden.
Seine besten Fähigkeiten waren ihm wohl aus seiner Schulzeit zurückgeblieben, nämlich Biologie und Geschichte. Diese waren immerhin als überdurchschnittlich verzeichnet, aber welchem Zweck das dienen mochte, konnte er leider nicht sagen. Zumindest war er in der Lage, jemand notdürftig zu verarzten und ihm zu sagen, dass Adolf Hitler ein Riesenarschloch war!
Ihm fiel auf, dass er 50 Punkte für Fähigkeiten hatte, und das Erwerben einer solchen auf Grundniveau 1 Punkt kostete und sich dies für jede Stufe darüber verdoppelte.
Die Aufteilung war wie folgt: Grund, unterdurchschnittlich, durchschnittlich, überdurchschnittlich, gut, ausgezeichnet, meisterhaft, legendär und göttlich.
Im Klartext konnte er sich eine einzige Fähigkeit auf gutem Niveau leisten oder eine große Anzahl auf Grund, oder natürlich eine beliebige Kombination.
Wenn er daran dachte, dass er ein Magier werden wollte, musste er also nach Fähigkeiten suchen, die in diese Richtung ausgerichtet waren.
Bei seiner Suche entdeckte er Meditation, die seine Energie- und Staminaregeneration passiv ebenso wie aktiv erhöhte. Außerdem waren da Ritualkunde, Zauberkunde, Elementarkunde für die gängigen Elemente Erde, Wasser, Luft, Feuer, Geist und Äther. Zusätzlich konnte er auch Beschwörung von Geistern, Dämonen und Archons entdecken. Da er aber lieber mit diesen nicht soviel zu tun haben wollte, schloss er diese Talente fürs erste aus.
Bei der Suche fiel ihm ein weiteres Talent auf, das sich Geistergegenwart nannte. Bei der Beschreibung stand dran, dass dieses Talent dafür diente, die Umgebung auf aktive Geister zu durchsuchen, also alles, was in irgendeiner Weise denken konnte.
Hm, damit konnte er wohl klären, ob Politiker tatsächlich einen Verstand besaßen, der mehr als 100 Meter Feldweg entsprach. Nützlich alle Mal wäre es zum Aufspüren von potentiellen Gegnern.
Er wählte also Meditation auf unterdurchnittlich, ebenso so wie Elemantarkunde von allen Elementen. Zauberkunde hatte mit dem direkten Wirken der Zauber zu tun, da wollte er schon etwas mehr reinpumpen, um keinen Mist du bauen, also nahm er hier überdurchschnittlich. Das würde ihn zwar insgesamt nicht zu einem sehr mächtigen Magier machen, aber zu einem, der verlässlich sein Handwerk ausübte.
Nun waren Magier zwar sicherlich ausgezeichnete Fernkämpfer, aber im Nahkampf waren sie nur Zielscheiben. Somit war es erforderlich dort ein paar Punkte einzusetzen. Er konnte schon recht gut mit nem Schwert umgehen, aber die waren nicht gerade unauffällig, wohingegen ein Messer wohl wesentlich leichter zu verbergen war. Außerdem konnte es echt eine hässliche Überraschung sein, wenn das Gegenüber nicht darauf vorbereitet war.
Also wurde Messerkampf auch in die Liste aufgenommen mit einem durchnittlichem Wert.
Schleichen, Strassenkunde, Feilschen, Arabisch, Chinesisch, Russisch und Spanisch nahm er zusätzlich noch als Grundkenntnisse auf, womit alle seine Punkte verbraucht waren.
Wenn er bedachte, dass er sich als Unsterblicher wohl für ne Weile auf der Erde herumtreiben würde, waren Sprachkenntnisse in den meistgesprochenen Sprachen der Welt wohl ganz praktisch.
Kaum hatte er diesen Teil abgeschlossen tauchte ein weiteres Fenster auf, das ihm mitteilte, dass er aufgrund seiner Todesart und der damit zusammenhängenden Aufnahme der Seelenenergie ein Zusatztalent namens Seelenfänger erhielt, allerdings stand keine Beschreibung dabei, was es damit auf sich hat. Er hoffte, dass es nicht bedeutete, er würde zu einer Art Teufel werden, der arme sterbliche Seelen in Massen aufsaugte. So stellte er sich nämlich nicht vor, seine Zukunft zuzubringen.
Nun war nur noch ein Fenster offen, und das war der Name seines Avatars.
Eigentlich war dies für ihn keine wirkliche Frage, da er schon immer den Namen gewusst hatte, den sein Magier haben würde, sowohl in den gespielten Computergames als auch seiner eigenen Fantasie.
Und so gab er sich den Namen: Iranueel!
Er tauchte in einer ihm unbekannten Stadt auf. Von dem kleinen Park auf einem Hügel aus konnte Iranueel problemlos mehrere Kilometer weit in die Landschaft sehen, und dabei feststellen, dass die Ortschaft sich durchaus eine Großstadt nennen konnte. An mehreren Stellen konnte er pagodenartige Gebäude entdecken, was dann wohl auf eine asiatische Stadt schließen lies.
Als er überprüfte, was er an Ausrüstung hatte, wurde ihm klar, dass die einzigen Dinge, die ihm zur Verfügung standen, nur ein paar alte Klamotten, ein Taschenmesser und 100 Dollar waren.
Als er sich etwas weiter im Park umsah, stellte er fest, dass an einem kleinen Teich ein durchscheinendes Wesen schwebte. Bei genauerem Betrachten konnte Iranueel erkennen, dass es sich wohl um eine Art Geist handelte. Ein Gefühl machte sich in ihm breit, dass diese Kreatur kein größeres Problem darstellen würde.
Geister waren aber per se nicht sonderlich gut physisch zu treffen, also würde er wohl zum ersten Mal auf Magie zurückgreifen müssen.
Iranueel konzentrierte sich auf seinen Gegner und stellte sich vor, wie er einen Blitz durch dessen Gestalt fegen ließ. Er spürte, wie sich in ihm eine magische Ladung aufbaute, die sich in kleinen statischen Entladungen auf seinem Arm entfaltete. Diese wanderte dann schnell zu seiner Hand, von der sie dann mit einem kleinen Knall zu seinem Opfer übersprang.
Der Geist zuckte zusammen und wurde merklich schwächer. Außerdem schien es, als wäre er benommen, zumindest schwankte das Wesen ein paar Augenblicke ungezielt von links nach rechts. Dann hatte es sich offenbar gefangen und steuerte schnell auf Iranueel zu. Dieser hatte jedoch die Zeit genutzt, um eine weitere Entladung aufzubauen, diesmal jedoch sollte die Entladung nicht auf einen Schlag vorbei sein, sondern erhalten bleiben.
Über beide Hände liefen kleine Blitze, die im nächsten Moment in den Geist einschlugen und diesen lähmten und kleine Fetzen von Nebel aus seiner Gestalt rissen. Das Knistern des Blitzes war das einzige Geräusch in dem kleinen Park und erleuchtete das Zwielicht zwischen den Bäumen mit seinem elmsfeuerhaften blauen Schimmern. Nach knapp 5 Sekunden ging dem Geist offenbar der letzte Lebensfunke aus und er schwand mit einem Seufzen dahin.
Iranueel stellte fest, dass er einen Level erhalten hatte. Somit hatte er wohl ein kleines Sicherheitspolster für den Fall, dass jemand oder etwas ihn umnietete. Und erstaunlicherweise hatte er auch nicht sonderlich viel magische Kraft aufgebraucht. Der einzelne Blitz hatte ihn 5 Mana gekostet und der aufrechterhaltene Blitzstrahl kostete 3 Mana pro Sekunde. Somit war er innerhalb von wenigen Sekunden wieder im Vollbesitz seiner Kräfte.
Nun begann er neugierig seine Umgebung zu erkunden auf der Suche nach weiteren Gegnern. Da fiel Iranueel plötzlich ein, dass er ja über Geistesgegenwart verfügte und setzte diese auch prompt ein. Nach einem kurzen Moment stellte sich das Gefühl ein, dass etwas weiter nördlich eine weitere Präsenz war. So leise er konnte, näherte er sich nun seinem Ziel. Er überlegte kurz, ob er wohl die Erdmagie nutzen konnte, um seine Schritte leiser zu machen und lenkte etwas Mana in den Boden, um die Laute seiner Fortbewegung zu schlucken. Mit Erschrecken musste Iranueel jedoch feststellen, dass der Manaverbrauch enorm war.
Also lies er den Zauber wieder fallen und versuchte es auf die althergebrachte Variante.
Dank der nicht ganz schlechten Geschicklichkeit für einen Anfänger gelang es ihm ganz gut, leise aufzutreten. Als Iranueel nun hinter einem kleinen Busch in Stellung ging, konnte er das Wesen genauer betrachten.
Es war nur 1 Meter groß und schien nur aus Borke zu bestehen. Kleine listige Augen starrten auf eine Puppe, die es in seinen Händen hielt und offenbar mit Genuss zerriss. Dabei summte es ziemlich dissonant vor sich hin.
Auch diesmal hatte Iranueel das Gefühl, dass das Ding nicht wirklich eine tödliche Gefahr darstellte.
Er sammelte diesmal Feuer in seiner Hand in Form von einer kleinen Plasmakugel. Das hatte jedoch zur Folge, dass das Borkenwesen das Licht der Kugel bemerkte und in seine Richtung blickte. Ihre Blicke trafen sich und Iranueel wusste augenblicklich, dass das Ding nicht ruhen würde, bis es ihn tot sah.
Mit einem Zischen lies es die Puppe fallen und lief mit ausgestreckten Krallen auf ihn zu.
Iranueel streckte die Hand aus und die Plasmakugel schoss aus seiner Hand hervor und auf die Kreatur zu.
Mit einem Satz sprang es zur Seite und verhedderte sich dabei in einer Wurzel am Boden.
Da der Zauber danebengegangen war, schien es nun an der der Zeit für eine Runde Flambieren zu sein.
Iranueel hob wieder beide Hände und lies einen Flammenwerfer aus diesen hervorschiessen, der die am Boden liegende Gestalt einhüllte. Mit einem Kreischen rollte sich diese von ihm weg, doch Iranueel folgte ihr einfach und lies sie nicht entkommen. Die Borke brannte offenbar exzellent. Der Geruch von einem Lagerfeuer machte sich breit, als er den Boden und die wandelnde Borke in ein Häufchen Asche verwandelte.
Kaum war der Kampf vorbei, verschwand der Aschehaufen und stattdessen erschien ein Haufen von Eicheln an dessen Stelle. Neugierig betrachtete er seinen Fund.
Iranueel konnte eine kleine Spur magischer Kraft in den Eicheln spüren. Er war sich ziemlich sicher, dass er die Energie anzapfen konnte, jedoch auch, dass die Eicheln nicht mal ansatzweise vollständig mit magischer Energie gefüllt waren.
Unglücklicherweise wusste er aber nicht, wie man sie laden konnte. Und er wollte nicht riskieren, es falsch zu machen, da er eine potenzielle magische Batterie nicht zerstören wollte.
„Nun, das ist interessant! Ich hätte nicht gedacht, dass du so schnell nach Ärger suchen würdest!“
Die Stimme kam von hinter ihm und sie war sehr vertraut.
Als Iranueel sich umdrehte, sah er eine junge Frau mit nachtschwarzem Haar, das ihr bis zu den Waden reichte und in der Brise um sie wehte. Gekleidet in ein weißes Kleid aus schimmernder Seide betrachtete sie ihn neugierig.
„Bist du das Wesen, mit dem ich gesprochen habe, als ich vorhin ins Gras gebissen hab?“
Sie nickte freundlich und trat näher an ihn heran.
„Ich weiß, ich klang vorhin nicht ganz wie jetzt, aber an diesem Ort ist es schwierig, wie eine Frau zu klingen oder respektive wie ein Mann. Mein Name ist Arya, und ich bin eine Göttin!
Aber du hast keine Verpflichtungen mir gegenüber, ich hatte nur grad die Aufgabe, neue Avatare einzuweisen. Naja, so viele gibt es nicht, um die ich mich hätte kümmern müssen, und ich bin hier, um dir noch einen kleinen Tipp bezüglich deiner letzten Fähigkeit zu geben.
Deine Seelenfänger-Fähigkeit könnte dich sehr schnell in Konflikt mit diversen Göttern und anderen Wesenheiten bringen, deren Anhänger du aufschnappst, also wollte ich dir beibringen, wie du erkennen kannst, ob eine Seele eine Bindung hat, oder nicht. Viele, die behaupten, einer Religion anzugehören, tun es nicht wirklich, und andere, die denken, sie wären Atheisten, sind es nicht, weil sie im Herzen doch einem Gott folgen. Wenn du einem Gott oder anderen, die Seelen von Verstorbenen aufnehmen, ihre Leute klaust, wirst du dich sehr schnell zu einem Feind dieser Leute machen, also musst du vorsichtig sein, es sei denn, du willst Stress mit diesen Leuten haben!“
Dabei lächelte sie ihn spitzbübisch an und wartete offenbar auf eine Antwort.
„Ich würde für den Anfang lieber nicht jemandem Ärger machen wollen!“
Iranueel war absolut sicher, dass er keine Stunde überleben würde, wenn er einen Gott anpisste.
„Schlauer Junge! Nun da das geklärt wäre, können wir zur Lektion voranschreiten. Oh, noch etwas! Sei vorsichtig, wem du deine Fähigkeit zeigst. Sie ist extrem selten und normalerweise im Besitz von Göttern!
Gut, wenn du nun jemand genauer betrachtest, kannst du nach wenigen Sekunden erkennen, ob eine Person jemandem Treue geschworen oder seine Seele verkauft hat. Du erkennst es daran, dass um die Person eine bläuliche Aura erscheint. Später, wenn du deine Fähigkeit besser zu beherrschen gelernt hast, wirst du genauere Informationen erlangen, wie die Macht, an die die Seele geht bei Ableben des Körpers.“
Sie wandte sich wieder von ihm ab und ging mit ihm zum Teich zurück.
Dort zeigte sie auf die Stelle, an der er den Geist zerstört hatte.
„Ich möchte, dass du dich auf den Ort konzentrierst, an dem du den Geist erledigt hast!“
Iranueel tat wie ihm geheißen und fokussierte sich auf die Stelle. Zuerst war da nichts, doch nach wenigen Augenblicken konnte er eine leuchtende Kugel erkennen, die in einem goldenen Ton leuchtete.
„Dies ist eine ungebundene Seele! Der Geist war und ist immer noch an diese Welt gebunden. Über kurz oder lang wird er zurückkehren und wieder Gestalt annehmen. Du kannst die Energie absorbieren, was dazu führen wird, dass der Geist sich auflöst und nicht zurückkehrt. Das ist in keiner Weise etwas schlimmes, denn der Geist wird ansonsten auf alle Zeiten an diesen Ort gebunden sein und niemals Ruhe finden. Im Übrigen gilt das für fast alle Untoten.
Ihre Seelen sind selten in irgendeiner Weise gebunden und können problemlos von dir absorbiert werden. Ich empfehle, dies nun zu tun.“
Damit blickte sie wieder zu ihm und nickte ihm aufmunternd zu.
Iranueel war sich nicht ganz sicher, wie es funktionieren sollte, also ging er einfach auf die Kugel zu und stellte sich vor, wie ein Vakuum sie in seine Hand zog.
Doch nichts geschah zu deinem Leidwesen.
„Du musst deine Hand direkt in die Energie tauchen und sie in dich aufnehmen. Du hast nicht den Vorteil eines Gottes, die Energie durch einen Pakt direkt zu dir zu leiten!“
„Kann ich einen solchen Pakt mit jemandem schließen?“
Bei seiner Frage blickte sie ihn einen Moment scharf an.
„Ja, es ist möglich, jedoch solltest du dir im Klaren sein, dass du damit in mein Geschäft einsteigst und dafür hast du definitiv noch viel zu wenig Mojo! Vielleicht in ein oder zwei Jahrtausenden, aber nicht zuvor!“
Iranueel wandte sich wieder der Kugel zu und streckte seine Hand hinein. Er spürte einen kleinen Widerstand und dann strömte plötzlich Kraft seinen Arm hinauf in sein Herz.
Als er einen Blick auf seine Erfahrung warf, stellte er fest, dass er ein kleines bisschen hinzugewonnen hatte.
„Gut! Nun zur nächsten Lektion. Du kannst auch andere Avatare absorbieren. Ihre Energie ist stärker als die Sterblicher, aber das ist nur möglich, wenn sie deutlich schwächer sind als du selbst und sich nicht bereits wiederbelebt haben. Außerdem kannst du auch mittels deiner Macht einen Avatar aufnehmen, aber nicht absorbieren, um ihn später wiederzubeleben. Das ist der Fall, wenn dieser Avatar selbst nicht mehr über die Energie verfügt, sich einen neuen Körper zu erschaffen. Sei jedoch gewarnt. Dies kostet dich mindestens zehn Level!“
Sie ließ das erst mal sacken. Iranueel stand für einen Moment still da und dachte über alles nach, während er die Informationen verarbeitete.
„Und was ist dann mit der Seele eines Sterblichen? Kann ich sie aufnehmen und wiederbeleben?“
Dabei musterte er die Göttin genau. Diese machte ein neutrales Gesicht und zeigte ihm weder, ob sie darüber verärgert oder belustigt war.
„Es ist möglich, das zu tun, doch auch das kostet dich Kraft. Nicht ganz soviel wie bei einem Avatar, aber immer noch fünf Level. Theoretisch kannst du eine solche Seele sogar zu einem Avatar machen, doch das wird dich ernsthaft schwächen! Du wirst abhängig davon, wie viel Macht du der Seele mitgeben willst mindestens 50 Level verlieren! Es kann sich jedoch für dich lohnen, da ein solch geschaffener Avatar dir stehst etwas schulden wird. Im Übrigen ist etwas derartiges uns Göttern verboten. Möglicherweise könntest du das als Geschäft einem Gott anbieten, der einen bestimmten Sterblichen gern als Avatar hätte, aber vergiss nicht, dass du deine Gabe besser als Geheimnis behältst!“
Iranueel blickte sie nun interessiert an. Arya schien plötzlich einzufallen, dass sie ja damit die einzige Gottheit war, die von seiner Fähigkeit wusste.
„Nun, Arya, was würdest du mir denn anbieten, wenn ich einen Sterblichen deiner Wahl zu einem Avatar machen würde?“
Ihre Augen blitzten auf.
„Es gäbe in der Tat jemanden, den ich gern als Avatar sehen würde, allerdings ist diese Person erstens auf einem anderen Planeten, dann noch recht jung, für ihr Volk zumindest und du hast keine 50 Level übrig, die du mindestens benötigen würdest. Ganz davon abgesehen, dass es eventuell Aufmerksamkeit auf dich lenken könnte. Das hängt natürlich von dir ab, ob du das Risiko auf dich nehmen wollen würdest. Ich könnte dir im Gegenzug Ausrüstung, ein Bündnis oder schlicht und ergreifend ein eigenes Territorium anbieten, das ich für dich schützen würde, bis du mächtig genug wärest, um es selbst zu verteidigen. Allerdings nur, wenn du dir nicht absichtlich oder fahrlässig Feinde machst!“
Iranueel setzte sich auf eine kleine Parkbank und dachte über dieses Angebot nach.
Arya schien eine freundliche und faire Handelspartnerin zu sein. Aber was er mit einem eigenen Territorium anfangen sollte, wusste er wirklich nicht.
„Also, ein Bündnis fände ich zwar ganz nett, aber wäre es nicht merkwürdig, wenn eine Göttin wie du sich mit einem Anfänger wie mir verbündet? Ich meine, ich bin nun wirklich ein blutiger Noob. Da würden doch sicherlich deine Gegner nachfragen, weshalb du mir hilfst.“
Die Göttin wirkte belustigt. Sie kam näher zu ihm her und blickte ihm ins Gesicht.
„Ich gestehe, dass du damit definitiv recht hast, aber ich hab schön öfters vielversprechende Anfänger unter meine Fittiche genommen, also würde es zwar Neugier wecken, aber nichts, womit ich nicht klarkommen könnte. Allerdings würde natürlich der eine oder andere Gott sicher gern erfahren, was ich an dir so besonders finde.“
Sie ging ein paar Schritte von ihm weg und drehte sich dann wieder zu ihm um.
„Es gäbe allerdings auch die Möglichkeit, dir ein eigenes Territorium zu geben, auf das niemand anders Zugang hätte, weil es direkt mit dir verbunden ist! Ich könnte dir einen Seed für deine eigene Existenzebene geben. Das wäre allerdings schon ein sehr teurer Deal für mich, denn diese Dinger sind extrem wertvoll!“
Iranueel blickte sie verwirrt an. Darunter konnte er sich beim besten Willen nichts vorstellen.
„Was genau soll das denn sein? Und was sollte mir das auch bringen?“
Nun warf ihm die Göttin einen Blick zu, den man wohl einem beschränkten Kleinkind zuwarf.
„Hallo? Eine eigene Ebene für dich allein, wo du tun und lassen kannst, was du willst. Im Prinzip bist du da so was wie dein eigener Gott! Du kannst die von dir gefangenen Seelen dort freilassen und dort leben lassen, dein Heim errichten und dich dorthin zurückziehen, wenn dir Gefahr droht! Natürlich kehrst du stets an den Ort zurück, von dem aus du geflohen bist, und jeder mit Aurensicht kann den Zugang zu deiner Ebene sehen, aber hat deswegen noch längst keinen Zugang deswegen dazu. Hat alles vor und Nachteile. Jeder Gott hat seine eigene Ebene oder auch mehrere. Ich glaube einer eurer Götter hier auf diesem Planeten hat den sogenannten Himmel und die Hölle für seine Anhänger. Auf diese Art und Weise zieht er selbst nach dem Tod seiner Diener immer noch Kraft aus ihnen und kann belohnen oder bestrafen, je nachdem wie sich die betreffende Seele so verhalten hat.“
Er sah die Göttin nun fasziniert an.
„Ich hab so was mal in einem Roman gelesen! Man musste alle möglichen magischen Affinitäten aufbauen, um daraus ein eigenes Universum zu machen. Aber ich hab so was auch in meiner Liste gesehen, als ich meinen Avatar erstellte. War allerdings höllisch teuer!“
Nun war es an der Göttin, ihn interessiert anzusehen.
„Du hast tatsächlich die Möglichkeit eines Seeds in deiner Talentliste? Das ist ja der Hammer. Die Liste ist zwar für jede Person einzigartig und man kann sie auch resetten, aber in deinem Fall würde ich das definitiv nicht machen. So was ist selten und wird wohl kein zweites Mal auftauchen.“
Nachdenklich runzelte sie nun die Stirn.
„Ich denke, ich werde noch warten mit einem direkten Bündnis mit dir. Allerdings werde ich dich im Auge behalten und solltest du nichts tun, das mir zu sehr gegen den Strich geht, werde ich dich wiederbeleben, solltest du zu oft getötet werden. Du bist ein zu wertvoller Verbündeter, als dass ich zulassen könnte, dass du von irgendeinem Möchtegern dauerhaft aus dem Spiel entfernt wirst.“
Iranueel stellte fest, dass diese Worte in ihm eine tiefe Unruhe befriedeten. Eine Freikarte für den Fall des eigenen Ablebens zu haben, ist immer von Vorteil.
Die Göttin musterte ihn nochmals eingehend von oben bis unten und stellte dann fest:
„Hm, wie ich feststellte, hast du deine beiden ersten Levels errungen. Du hast stets die Wahl, ob du deinen Level und damit deinen Zugriff auf deine Talentliste vergrößern oder lieber die Energie in die Verstärkung deiner Attribute investierst. Bedenke, dass nur bei der Erschaffung deines Avatars die Möglichkeit besteht, eine Fähigkeit über die Grundstufe zu erhöhen, alles danach musst du langsam erhöhen und wenn du getötet wirst, verlierst du einen kleinen Teil deines Wissens. Es ist zwar wesentlich leichter, es wieder zurückzuerlangen, dennoch bedeutet es einen Zeitverlust und Mühe, die du aufwenden musst. Sei also stets vorsichtig, was du machst!
Und nun werde ich mich wieder auf den Weg machen. Wenn du doch noch etwas Wichtiges brauchen solltest, kannst du mich mit einem ernstgemeinten Gebet zu dir rufen, doch sei gewarnt! Sollte es nicht wirklich wichtig sein, werde ich dich bestrafen!
Was du aus deinem neuen Leben machst, bleibt dir selbst überlassen, also viel Spaß und Glück in der Zukunft!!“
Damit erstrahlte die Göttin in einem hellen Licht und verschwand aus seinem Blickfeld.
Da er nun allein war und nichts Besseres mit sich anzufangen wusste, machte sich Iranueel auf den Weg in die Stadt, die nun dunkel und verheißungsvoll vor ihm stand.
Von dem Park gingen mehrere kleine Gassen weg in zunehmend größer werdende Wohnblöcke. Es roch nach asiatischem Essen, Autoabgasen und menschlichen Abfällen.
Nicht unbedingt etwas, das eine tolle Zukunft versprach, aber wenn man ganz unten anfängt, weiß man zumindest, dass es nur aufwärts gehen kann.
Iranueel wählte aufs Geratewohl eine Richtung aus und marschierte los. Er hatte vielleicht nicht viel Geld, aber das, was er hatte, wollte er möglichst schnell vergrößern.
Magie stellte zwar eine Macht an sich dar, aber wer schon mal eine Menge Geld hatte, weiß wohl, dass es seine eigene Macht hat.
Iranueel grübelte darüber nach, ob er für den Anfang lieber in der Großstadt bleiben wollte, oder doch lieber raus aufs Land reisen sollte, um sich dort nach und nach an dieses neue Leben zu gewöhnen.
Die Stadt hatte den Vorteil, dass seine Fähigkeit, Seelenenergie zu erlangen deutlich höher war, da es mehr Menschen gab, die als Energiequelle zur Verfügung standen.
Andererseits konnte er auf dem Land erstmal lernen, mit seinen Fähigkeiten umzugehen, ohne großartig den existierenden Mächten ins Auge zu fallen.
Während er nun die Vor- und Nachteile abwägend durch die Gasse marschierte, konnte er
leise Geräusche von seiner linken Seite aus einer Nebengasse hören.
Wie ein Winseln oder sehr leise Schmerzgeräusche kam es etwa 50 Meter aus dem Dunkeln.
Es roch nach Pisse und Erbrochenem und einem leicht metallischen Geruch, den er nicht genau einordnen konnte.
Vorsichtig und mit gezogenem Messer in der einen Hand und einem Metallsplitter, der knapp über seiner Hand schwebte, in der anderen näherte er sich dem Geräusch.
Eine Lampe, die mehr schlecht als recht die Gasse beleuchtete, flackerte über einer in sich zusammengesunkenen Gestalt, unter der sich eine Blutlache ausbreitete.
Alarmiert blickte Iranueel sich genauer um, denn wo eine Blutlache war, war in der Regel der Verursacher nicht allzu weit entfernt.
Aus dem Augenwinkel konnte er plötzlich eine dunkle menschliche Gestalt aus einer offenen Tür auf ihn zuspringen sehen.
Der Mann war knapp 2 Meter groß und gebaut wie ein Schrank. In der erhobenen Hand hielt er eine Brechstange und als er ins Licht der Lampe kam, konnte Iranueel eine hässliche Narbe sehen, die seine asiatisch geprägtes Gesicht von der linken Wange über die Nase bis zur rechten Schläfe entstellte.
Mit einem Brüllen kam er schneller als erwartet auf den jungen Avatar zu und versuchte diesen mit seiner Waffe Bekanntschaft machen zu lassen.
Nun war ein Messer nicht wirklich eine geeignete Waffe, um eine Brechstange abzuwehren, also lies sich Iranueel einfach nach hinten fallen und feuerte den Erdzauber in seiner Hand aus nächster Nähe in den menschlichen Berg vor sich.
Dieser bekam kaum mit, was auf ihn zu kam, aber offenbar spürte er es, als sich das Projektil knapp über seiner rechten Lunge in seine Schulter bohrte.
Iranueel konnte direkt sehen, dass die Kraft aus dem Angriffsarm entwich und rollte sich schnell rückwärts wieder hoch, um mit dem Messer eine weitere Attacke auszuführen.
Der Angreifer hatte die Brechstange fallen gelassen und hielt sich mit der linken Hand die Wunde, als sein Gegner flink auf die Beine kam und mit einem ausgestreckten Arm auf seine Brust zielte.
Das Messer glitzerte mit tödlicher Schönheit im Lampenlicht, als es mit einem Schmatzen in die linke Brust des Ziels eindrang.
Augenblicklich versuchte Iranueel die Klinge wieder herauszuziehen, doch die Klinge hatte eine Sägeklinge auf der Rückseite und diese hatte sich in den Rippen seines Ziels verhackt.
Mit einem Aufbrüllen hämmerte der Asiate seinen linken Arm in sein deutlich schwächeres Ziel. Er mochte geschwächt und eventuell tödlich verletzt sein, doch er war immer noch sehr stark und Iranueel war es nicht wirklich.
Dieser konnte nicht wirklich ausweichen und bekam den Hieb ungebremst an den Schädel.
Der Hieb eines geschwächten Schwergewichtlers war immer noch ziemlich heftig wenn es einen Normalo betraf und Iranueel ging getroffen vor seinem Ziel in die Knie.
Der Asiate trat ihm nun ohne Anlauf in die Rippen, doch die Wunden forderten bereits ihren Tribut. Zuvor wären wohl diverse Rippen gebrochen worden, nun schaffte er es nur noch, seinen Angreifer zwei Meter von sich wegzubefördern.
Iranueel landete in einer stinkenden Wasserlache und wurde von dem kalten Nass wieder voll in die Gegenwart zurückgeholt.
Er rollte sich nochmals schnell weiter und richtete sich wieder auf.
Nun war er zwar auf den Beinen, doch der asiatische Ochse kam bereits auf ihn zugewalzt, um ihn unter sich zu begraben.
Wohl wissend, dass er nicht die Kraft hatte, um einen direkten Schlagabtausch zu überstehen, warf er sich links nach vorn zur Seite.
Iranueel wurde noch am rechten Unterschenkel gestreift, ansonsten kam er aber ungeschoren an der menschlichen Abrissbirne vorbei, die nun schon begann, blutig zu husten.
Schnell richtete er sich auf und richtete seine Hände ausgestreckt auf den Mann, der versuchte, sich mühsam umzudrehen und ihn erneut zu attackieren.
Blitzschnell züngelten elektrische Entladungen an Iranueels Armen entlang und sprangen in einem gleißenden Lichtbogen zu seinem Feind über, der sich nun in Zuckungen am Boden zu winden begann.
Kleine Rauchfahnen stiegen aus den Kleidern des Asiaten hervor, der zum Tode verurteilt seine letzten Sekunden in Krämpfen am Boden zuckte.
Iranueel lies erst von seinem Ziel ab, als er feststellte, dass sein Mana zur Neige ging.
Er stellte fest, dass der Kampf ihn auf Stufe 5 gebracht hatte. Außerdem konnte er eine goldene Aura um seinen toten Gegner sehen.
Ohne weiter darüber nachzudenken, streckte er seine linke Hand in die Aura und absorbierte sie. Sofort spürte er, wie sein Level auf Stufe 6 anstieg.
Von der am Boden liegenden Gestalt ging ein kurzes Aufleuchten aus und im nächsten Moment zerfiel der Asiate zu Staub, der in der leichten Brise verweht wurde.
Sich an die Person erinnernd, derentwegen er wohl angegriffen worden war, drehte sich Iranueel schnell um, und eilte zu dem an der Wand lehnenden Häufchen menschlichen Elends.
Aus der Menge des Blutes am Boden schließend, wurde dem Avatar klar, dass der Patient wohl nicht mehr lange zu leben haben würde.
Er hatte keine Heilmagie zur Verfügung und bei näherem Hinblicken konnte er eine tiefe Platzwunde am der linken Schädelseite erkennen, aus der weiterhin Blut austrat.
Ohne weiter darüber nachzudenken legte er seine Hand an die Wunde und lies Hitze wie in einem Ofen daraus austreten.
Der Geruch verbrannten menschlichen Fleisches erfüllte die Gasse und die verwundete Person heulte schwach auf und versuchte, von der Hitze wegzukommen.
Doch der Blutverlust und die mit Sicherheit schwere Gehirnerschütterung machte daraus nur eine kleine Bewegung, die sie zur Seite fallen lies.
Doch das Verschmoren hatte seinen Zweck erfüllt. Kein weiteres Blut trat mehr aus der Wunde aus, was Iranueel die Zeit gab, sein weiteres Vorgehen zu überdenken.
Er konnte nun erkennen, dass es sich bei seiner Zielperson um eine junge Frau handelte von zweifelsohne asiatischer Abstammung.
Schwarzes verfilztes Haar reichte ihr bis halb hinunter zum wohlgeformten Hintern. Sie war schlank und hatte trotzdem wohlgeformte Rundungen an den richtigen Stellen.
Offensichtlich war sie nicht am Verhungern gewesen als sie angegriffen worden war.
Ihre mandelförmigen schmerzerfüllten Augen blickten zu ihm hoch und beobachteten jede seiner Bewegungen.
„Kannst du mich verstehen?“ fragte Iranueel in gebrochenem Chinesisch.
Sie musterte ihn wachsam wie ein verwundertes Reh.
„Ich kenne dich nicht, und doch hast du mich gerettet!“ antwortete sie in akzentfreiem Englisch.
Offenbar nahm sie an, dass er damit weniger Probleme haben würde.
„Ich hörte Geräusche aus dieser Gasse und wollte nachsehen, ob jemand meine Hilfe braucht.
Allerdings hatte ich nicht gedacht, dass ich es dabei mit einem solchen Gegner zu tun bekommen würde. Keine Ahnung, was du getan hast, um dir den Zorn dieses Typen zuzuziehen, aber ich denke nicht, dass er ein Musterknabe war, nachdem er mich ohne Warnung angegriffen hat!“
Sie mühte sich ab, sich wieder aufzurichten, wobei ihr Iranueel half.
Schwer atmend lehnte sie wieder sitzend mit dem Rücken an der Wand.
„Wenn du mich nicht sterben lassen willst und nicht vorhast, dies selbst bald zu tun, sollten wir hier schnellstmöglich verschwinden, bevor seine Spiesgesellen auftauchen und seine Arbeit beenden!“
Dabei streckte sie ihm beide Arme entgegen, dass er ihr aufhelfen sollte.
Iranueel tat dies und musste sie auch gleich stützen, nur um festzustellen, dass er dringend in seine Stärke investieren musste, da die zierliche Gestalt mit ihren vielleicht 1,65m ihn bereits ins Straucheln zu bringen drohte.
Mit einem kurzen Gedanken lies er einen Teil seiner angesammelten Energie in seine Muskeln strömen als hätte er dies schon öfters gemacht und konnte spüren wie seine Kraft zunahm.
Er verlor drei Level, doch seine Stärke nahm um 6 Punkte zu. Damit war seine leichte Last bei 40 Kilo und seine schwere bei 80, doch das war ausreichend, um die Frau zu stützen.
Als er die Energie in seinen Körper strömen lies, wurde sie augenblicklich stocksteif und blickte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
„Du bist ein Avatar!“
Iranueel blickte die Frau von der Seite an und stellte fest, dass die Überraschung auf ihrem Gesicht geringer war als die Angst, die sich in ihren Augen widerspiegelte.
„Woher weißt du, was ein Avatar ist?“
Die hochgezogenen Augenbrauen und der zurückhaltende Blick in seinen Augen versprachen nichts Gutes für die junge Frau, sollte ihre Antwort die falsche Saite in ihm anschlagen.
Niedergeschlagen blickte sie zu Boden.
„Wenn du mich töten willst, so kann ich kaum etwas in meinem derzeitigen Zustand dagegen unternehmen. Weswegen ich weiß, was du bist. Nun, das liegt daran, dass ich selbst ein Avatar bin, wenn ich auch meine besten Tage definitiv hinter mir habe!
In den vergangenen Tagen und Wochen hab ich einen Großteil meiner Macht verloren und mir wohl zu viele Feinde gemacht.
Wenn dir etwas an deinem Leben liegt, solltest du wohl von mir weg bleiben oder mich selbst töten, um wenigsten ein kleines bisschen Macht aus meinem Kadaver herauszupressen!
Ihre Stimmung als depressiv zu bezeichnen, wäre wohl untertrieben gewesen.
Iranueel konnte einige Tränen in ihren Augenwinkeln sehen, die sie mit großem Aufwand zu unterdrücken versuchte.
„Wenn ich dich hätte töten wollen, wärst du auch schon ein Häufchen Asche, das der Wind wegfegt. Ich hab’s nicht getan, weil ich neugierig bin und wissen will, was hier los ist!“
Die junge Frau blickte ihn und aus ihren Augen sprach Hoffnung.
„Mein Name ist Misako Yanata. Ich bin nun schon seit über 120 Jahren ein Avatar, und um ehrlich zu sein, dachte ich, ich hätte es geschafft! Doch meine kleine Organisation, die ich in den letzten Jahrzehnten aufgebaut habe, wurde zerschlagen, als ich mich in einen Geschäftsbereich der Triaden einmischte. Alles, was ich wollte, war ein paar Waffen über die Grenze nach Korea zu schaffen, doch dabei hab ich offenbar das organisierte Verbrechen alarmiert und sie wurden auf mich aufmerksam. Lange Geschichte kurzes Ende, ich bin gejagt worden wie ein Tier. Meine Leute wurden getötet und ich auch mehrfach. Was wohl bedeutet, dass die Triaden entweder von Avataren geführt werden oder zumindest Wissen über sie besitzen.“
Iranueel wurde jetzt sehr nervös.
Alles, was er über die chinesische Mafia wusste, war nichts Gutes. Und dass die Person, die er gerettet hatte mit Waffen dealte, machte ihm doch auch etwas zu schaffen. Sein moralischer Kompass war zwar angeschlagen, aber definitiv nicht zerstört.
„Ich gestehe, ich hätte dich zum Sterben liegen gelassen, wenn ich gewusst hätte, dass du eine Waffenhändlerin bist!“
Entrüstet sah ihn Misako an.
„Ich bin eine Schmugglerin! Ich wurde von Agenten angeheuert, unlizensierte Waffen nach Korea zu schmuggeln. Ich weiß nicht wofür, aber ich habe diese Dinger nicht verkauft. Was damit geschehen sollte, war niemals wichtig für mich, was wohl auch der Grund war, weshalb diese Agenten auch mich zu kamen.“
„Moment, wenn ich das richtig verstehe, hat dich die Regierung selbst engagiert?“
Er konnte den Unglauben nur schwer aus seiner Stimme heraushalten.
„Ja, ich weiß, das klingt unglaubwürdig, aber ich habe die Typen überprüft! Sie arbeiten tatsächlich für die Regierung. Ich kann nur vermuten, dass China Korea destabilisieren möchte, und das, ohne dass dabei ein Funken Verdacht auf sie fällt.“
Sie blickte wieder zu Boden.
„Ich hatte nur nicht bedacht, dass die Triaden ihr Stück vom Kuchen abhaben wollten. Ich habe so lange daran gearbeitet, genug Ressourcen aufzubauen, um mir ein Ticket weg von der Erde leisten zu können und ich habe nicht selten gegen die Regeln verstoßen, aber jetzt ist die ganze Arbeit futsch.“
Ihre Augen suchten die seinen.
„Du scheinst noch recht jung zu sein und offenbar auch nicht sehr erfahren im Kampf, ansonsten hättest du einen gewöhnlichen Menschen wohl leichter besiegen können!“
„Das kann ich nicht abstreiten! Lass uns sagen, ich bin ein frisch ins Geschäft eingestiegen und würde gern auch noch ne Weile dabei bleiben.“
Ein Grinsen tauchte auf ihrem Gesicht auf.
„Nun, wer will das nicht! Zugegeben, für nen Anfänger war das keine schlechte Leistung, die du da abgeliefert hast.“
Ihre Miene wurde abschätzend und etwas berechnend.
„Da du neu bist, kannst du noch niemandem Wichtigem aufgefallen sein. Das würde dir die Möglichkeit geben, mir von hier weg zu helfen und im Gegenzug könnte ich dir ein paar Dinge beibringen. Wen du meiden solltest, wer hilfreich sein könnte und die üblichen Umgehensformen unter uns Unsterblichen. Was meinst du, bist du dabei?“
Iranueel schwieg für ein paar Augenblicke, während sie sich weiter von der Gasse entfernten und in eine größere Strasse einbogen.
„Ich denke, ich helfe dir nur bis du wieder allein dein Hintern bewegen kannst. Danach bist du auf dich gestellt. Nichts für ungut, Misako, aber du riechst nach mehr Ärger, als ich im Moment gebrauchen kann. Du und ich werden bei nächster Gelegenheit wieder getrennte Wege gehen, und daher...“
Im nächsten Moment spürte Iranueel nur noch, wie Misakos Körper ihm fast aus dem Arm gerissen wurde. Ein schweres Projektil hatte sie direkt zwischen die Schulterblätter getroffen und ein unschönes und definitiv tödliches Loch in ihre Brust gerissen, als es dort wieder austrat.
Er warf sich so schnell er konnte hinter einen Müllcontainer aus massivem Stahl, der nicht weit entfernt stand. Als er zu Misakos Leiche blickte, konnte er einen Schatten darüber stehen sehen, der sich langsam aufzulösen begann.
Ohne weiter darüber nachzudenken, streckte er die Hand aus und plötzlich wurde der Schatten zu ihm gesogen wie von einem Staubsauger.
Er spürte, wie sich ein Druck in seinem Hinterkopf aufbaute. Es fühlte sich wie ein leichter Migräneanfall an ohne dass es zu ernsthaften Schmerzen kam.
Kurz darauf konnte er Schritte hören, die sich ihm schnell näherten.
Verzweifelt blickte er sich nach einer Fluchtmöglichkeit um, doch nirgends konnte er hin, ohne aus dem Schutz der Mülltonne herauszukommen.
Er blickte hinter sich die Wand an und richtete seine Hände dagegen.
An seinen Fingern tauchte eine Plasmafackel auf, die er schnell in einer kreisförmigen Bewegung über die Wand gleiten lies.
Die Schritte waren jetzt vielleicht noch 50 Meter weg, und Iranueel trat mit voller Wucht gegen die markierte Wand.
Mit einem Knirschen flog das Stück nach innen und Iranueel folgte ihm, so schnell er konnte.
Hinter ihm hörte er, wie jemand um die Ecke kam und einen Fluch ausstoß.
Er befand sich in einem schlecht ausgeleuchteten Lagerhaus. Überall waren Regale, gefüllt mit Kisten unterschiedlicher Größe und stark verstaubt.
Das Lager wurde offenbar nicht so häufig frequentiert.
Ohne noch länger zu verweilen, sprintete Iranueel von dem Loch weg zwischen hohen Regalwänden durch, während er hören konnte, wie sein Verfolger sich durch den neuen Eingang zwängte.
Iranueel bog um eine Ecke und richtete die linke Hand auf den Boden. Ein dünner Strahl eisiger Luft strömte aus seiner Handfläche auf den Boden und verwandelte eine dünne Schicht Wasser auf dem Boden in eine Eisfläche.
Er lief weiter und hielt nach knapp 10 Metern wieder an und zog erneut sein Messer, um sich dann wieder auf den Rückweg zu machen.
Sein Gegner bog just in diesem Moment um die Ecke und bemerkte offenbar die Eisschicht im schlechten Licht. nicht, denn er verlor seinen festen Stand und rutschte mit Wucht in die gegenüberliegende Regalwand.
Sein Aufschlag lies zwei Kisten aus dem Regal auf ihn herabfallen.
Was immer drin war, musste recht schwer sein, denn es gab einen sehr lauten Knall, als eine der Kisten ihm auf den Schädel aufschlug und die andere Augenblicke später seine rechte Schulter zu Boden riss.
Iranueel kam schnell auf ihn zu, solange sein Gegner noch betäubt war und rammte ihm die Klinge mit voller Kraft und seinem ganzen Gewicht dahinter in die Brust, direkt über der Stelle, wo das Herz war.
Der Mann stöhnte nur kurz auf bevor er schlaff wurde und in sich zusammensackte.
Der junge Avatar sah eine Handfeuerwaffe in der rechten Hand seines gefallenen Feindes und nahm sie schnell an sich.
Er hatte die eine oder andere Dokumentation schon gesehen, also legte er die Sicherung der Waffe um und steckte diese dann in seinen Hosenbund.
Dann wandte er sich um, und lief auf die hellste Stelle des Lagerhauses zu, in der Hoffnung, dort den Ausgang zu finden.
Sein Mana war schon wieder gefährlich niedrig, ansonsten hätte er sich bereits ein weiteres Fluchtloch gemacht und die Lagerhausfenster waren leider zu hoch oben, als dass er sie hätte erreichen können.
Keine 25 Meter weiter bog er um eine Ecke und konnte eine Tür sehen, die direkt neben einem großen Blechtor in der Wand war.
Schnell näherte er sich der Tür und hielt dann dort an, um kurz Atem zu schöpfen und um an ihr zu horchen.
Sein Atem ging schwer und es fiel ihm nicht leicht, durch die Tür etwas wahrzunehmen.
Er griff nach dem Türgriff und stellte fest, dass sie natürlich verschlossen war.
Ein Fluch entkam ihm.
Iranueel beugte sich herunter und betrachtete das Schloss.
Ohne weiter darüber nachzudenken und wissend, dass sein Mana danach wohl erschöpft sein würde, wandte er seine Plasmafackel erneut an und brannte das Schloss kurzerhand einfach durch.
Danach riss er schnell die Tür auf und sah sich in einem kleinen Hof, der von einem etwa 2 Meter hohen Stacheldrahtzaun eingegrenzt war.
Ein schneller Blick zeigte ihm momentan keine Aktivität in nächster Nähe an und er befand sich auch nicht im Blickwinkel des Scharfschützen, soweit er es beurteilen konnte.
Der Zaun hatte ein Tor, das mit einem schweren Vorhängeschloss gesichert war.
Iranueel war klar, dass er sich beim Erklettern des Zauns ziemlich verletzen würde, also fiel diese Fluchtmöglichkeit schon mal flach.
Kurzerhand lief er nochmals zurück ins Lagerhaus und sah sich nach einer Leiter oder etwas um, das er als Ersatz dafür benutzen konnte.
Sein Blick fiel auf ein langes Brett, das wohl als Ersatz für ein anderes morsches Brett in einem Regal dienen sollte. Doch es war perfekt für seine Zwecke.
Er klemmte es sich unter den Arm und lief damit zurück zum Zaun und lehnte es darauf.
Dann ging er zurück und nahm Anlauf.
Er beschleunigte und lenkte seine Schritte schnell auf das Brett, das sich unter seinem Gewicht etwas durchbog und den Zaun dabei mitnahm.
Iranueel verlor fast das Gleichgewicht, als er hochlief.
Der Zaun war etwas heruntergedrückt worden, doch ansonsten blieb er stabil.
Oben angekommen sprang Iranueel ab und versuchte, so sanft als möglich aufzukommen.
Doch es blieb beim Versuch. Hart schlug er mit den Füßen auf und dann schmerzhaft mit dem Oberkörper.
Der Asphalt half nicht unbedingt und rang ihm einige Quadratzentimeter Haut an Armen und Gesicht ab.
Benommen blieb Iranueel einige Momente am Boden liegen.
„Steh auf und lauf verdammt noch mal!“
Diese Stimme schien direkt aus seinem Hinterkopf zu kommen und klang verdächtig nach Misako.
Irritiert richtete er sich wieder auf. Sein Gesicht fühlte sich an, als hätte er ein stumpfes Babiermesser zum Rasieren benutzt.
Ein schneller Blick nach rechts und links zeigte ihm niemanden.
Doch plötzlich tauchte in seinem Sichtfeld rechts oben eine Art Hologramm von Misako auf.
„Ich hab keine Ahnung, wie du das angestellt hast, dass ich nun ein deinem Kopf herumspuke.
Aber ich muss gestehen, dass es die Alternative um Welten schlägt! Trotzdem solltest du dich möglichst schnell von hier wegbegeben. Ich schlage vor, du suchst eine Hauptstrasse mit ner Menge Menschen und tauchst darin unter.
Außerdem solltest du deine Kleidung wechseln. Es gibt nicht allzu viele Europäer hier und deshalb dürftest du leicht wiederzuerkennen sein, wenn du nicht dein Äußeres veränderst!“
Völlig ungläubig glotzte Iranueel das Hologramm an und versuchte, mit seinen Händen an die Stelle zu greifen, wo sich Misako zu befinden schien.
„Lass den Blödsinn! Ich bin nur in deinem Kopf, nirgends sonst. Das dürfte meine Verfolgung mittels Magie auch völlig unmöglich machen. Danke noch dafür!“
Ihr Grinsen wirkte ansteckend und Iranueel musste unwillkürlich auch lächeln.
Dann jedoch legte er die Stirn in Falten.
„Ich hab keinen blassen Schimmer, wo zum Teufel ich hier eigentlich bin. Wenn du von hier stammst, wirst du wohl mein Navi sein müssen!“
„Kein Problem, auch wenn ich mit dieser Stadt nicht so vertraut bin wie ich es gern wäre.
Schon vergessen? Auf der Flucht und so?“
Iranueel zuckte nur kurz mit der Schulter und lief die Strasse entlang. Ihm fiel auf, dass die Schmerzen im Gesicht recht fix nachließen. Ein kurzer Griff zu einer der zuvor verletzten Stellen zeigte, dass sich bereits ein Teil der Wunde geschlossen hatte.
„Deine Verletzungen als Avatar schließen sich recht schnell wieder solange es sich nicht um eine schwere Verwundung handelt. Das muss behandelt werden. Vorzugsweise von einem Magier. Die Art und Weise wie du mich vorhin behandelt hast, war nicht gerade nett aber effizient. Ich habe zumindest kein Blut mehr verloren.
Wenn ich etwas mehr Zeit zur Verfügung gehabt hätte, wäre die Wunde im Laufe des Tages verschwunden!“
Sie schien einen Augenblick nachzudenken und sich etwas in Erinnerung zu rufen.
„Hier musst du jetzt nach links, dann der Strasse nach bis zum Ende und dann rechts.
Du müsstest dann auf eine dichter befahrene Strasse kommen. Wenn du Geld hast, solltest du dir ein Taxi rufen und dich zum Flughafen begeben!“
„Ich hab 100 Dollar! Keine Ahnung, ob mir das hier etwas nutzt. Und selbst wenn werden die wohl kaum für einen Flug reichen!“
Besorgt legte Misako ihre Stirn in Falten.
„Nun, das ist in der Tat ein Problem. Dann sollte es wohl eher zum Hafen gehen. Du magst nur ein ungelernter Arbeiter sein, aber es gibt genügend Frachter, die für einen kleinen Obolus und Arbeit die Kost und Logis für eine Überfahrt übernehmen.
Du scheust dich doch nicht vor ein bisschen Arbeit, oder?“
Iranueel verzog das Gesicht etwas. Ihm stand eigentlich nicht so ganz der Sinn nach harter körperlicher Arbeit, aber die Vorstellung, eine Überfahrt übers Meer zu machen klang an und für sich gar nicht so schlecht.
„Ich hab immer schon arbeiten müssen in meinem Leben! Hatte zwar gehofft, als Avatar könnte man es etwas ruhiger angehen, aber offenbar ist mir dies nicht vergönnt.“
Misako rümpfte die Nase und lachte etwas.
„Hahaha, dafür dass du es ruhig angehen lassen wolltest, hast du dir aber einen sehr interessanten Einstieg in das Leben eines Avatars ausgesucht!
Oh, da fällt mir ein, du solltest nicht zuviel Energie in die Verstärkung deines Körpers investieren!“
Verwirrt sah Iranueel sie an.
„Ich verstehe nicht. Sollte ich nicht meinen Avatar stärker machen?“
„Oh doch, deinen Avatar solltest du stärken, aber es gibt einen Unterschied zwischen Avatar und Körper.
Du musst kapieren, dass dein Körper nur die Manifestation deines Avatars ist. Es ist wesentlich günstiger, den Körper zu stärken als deine Seele, aber stirbt dein Körper sind all die Verbesserungen futsch!“
Entsetzt und verärgert dachte Iranueel an die Göttin, die ihm seine Einführung gegeben hatte.
„Warum wurde mir das nicht am Anfang gesagt? Ich meine, so was klingt doch nach wichtigen Infos, die man einfach haben muss!“
Misako nickte nur.
„Ich stimme dir da voll und ganz zu! Hat mich 3 Jahre Arbeit gekostet, als ich zum ersten Mal gestorben bin. Scheint eine echte Lücke, gewünscht oder nicht, im Einführungsgespräch zu sein. Aber soweit ich weiß, hat bisher jeder diese Lektion auf die harte Tour lernen müssen.
Was mich zum nächsten Punkt auf der Liste kommen lässt.
WIE ZUR HÖLLE HAST DU MICH IN DICH AUFGENOMMEN?“
Den letzten Satz brüllte sie ihm fast entgegen.
„Ähm, das ist eine besondere Fähigkeit von mir. Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du darüber die Klappe halten würdest, wenn ich dich wiederbelebe!“
Überrascht zuckte Misako zurück.
„Moment mal, du kannst mich auch wiederbeleben? Mein Lieber, ich werde dir die Füße küssen und einen Blutschwur ablegen, wenn du das machst!“
„Ich denke, das mit den Füssen lassen wir lieber. Das würde seltsam aussehen. Aber freu dich nicht zu früh. Ich werde einiges an Macht erwerben müssen, um dich wiederzubeleben.
Mindestens 10 Level werden dafür erforderlich sein und ich brauch selbst ein noch ein kleines Sicherheitspolster, für den Fall meines unzeitlichen Ablebens.“
Verständnisvoll nickte Misako, trotz allem jedoch überaus glücklich wirkend.
Iranueel bog jetzt gerade in die Hauptstrasse ein. Die Gebäude hier machten nicht allzu viel her. Sie wirkten allesamt heruntergekommen und die Fassaden bröckelten an allen Ecken.
Stromkabel und Satellitenschüsseln waren überall zu sehen.
Auf der Strasse waren hauptsächlich Fahrzeuge chinesischer Firmen zu sehen. Nur ab und zu tauchte ein alter Mercedes oder ein anderes europäisches Fabrikat auf.
Iranueel ging an den Rand des Gehwegs und hielt die Hand hoch, in der Hoffnung ein Taxi auch sich aufmerksam zu machen. Es dauerte auch nicht lange, da kam auch schon ein alter Mercedes im klassischen Gelb der Taxis angefahren und hielt direkt bei ihm an.
„Wohin sie wollen?“fragte der junge Chinese in gebrochenem Englisch.
„Zum Hafen!“
Iranueel stieg nach dem Nicken des Fahrers auf die Hinterbank, die auch schon bessere tage gesehen hatte.
Kaum saß er und hatte die Tür geschlossen, trat der Fahrer ohne wirklich nach hinten geblickt zu haben, aufs Pedal. Wütendes Gehupe und Geblinke folgte ihm auf dem Fuß.
Endlich ruhte sich Iranueel aus. Die letzten Minuten waren der reine Adrenalinrausch gewesen und er spürte eine geistige Erschöpfung wie schon seit langem nicht mehr.
Müde legte er den Kopf an die Fensterscheibe und blickte auf die Stadt hinaus.
Sie kamen auf einen Highway, von wo aus er die Skyline einer aufstrebenden Hafenstadt sehen konnte. Über allem konnte er jedoch einen dichten Dunst sehen. Der wohl allseits bekannte Smog der chinesischen Großstädte.
Er kam aus Deutschland und war es nicht gewohnt, dermaßen schlechte Luft zu atmen.
In seinem alten Leben hätte er sich wohl schon längst die Lunge aus der Brust gehustet,
aber seinem neuen Körper schien das nicht viele Probleme zu bereiten.
Zwar konnte Iranueel die schlechte Luft riechen, aber sie war einfach nur unangenehm.
Der Fahrer blickte immer wieder in den Rückspiegel und schien zu überlegen, ob er ein Gespräch mit dem Europäer beginnen sollte, oder nicht, doch Iranueel machte ein verschlossenes und auch etwas dunkles Gesicht.
Etwa 20 Minuten später kamen sie am Hafen an. Von weitem schon konnte Iranueel die salzige Luft und den Gestank von Diesel und Öl wahrnehmen.
Große Frachtschiffe lagen an den Piers an und wurden be- und entladen.
Das Taxi hielt am Eingang zur Hafenbehörde an, und der Fahrer wandte sich zu ihm um.
„Das machen 20 Dollar!“
Misako war entsetzt!
„Soll das ein Witz sein! Davon kann er seine Familie 1 Monat durchfüttern. Wenn ich noch einen Körper hätte würde ich ihm die Rübe runterreißen und in den Stumpf scheissen!“
Iranueel legte ein verärgertes Gesicht auf.
„Ich gebe dir 5 Dollar! Nimm es oder lass es!“
Eiskalt blickte er den jungen Mann an und versuchte, ihm etwas Furcht einzuflössen.
Was immer es war, der Chinese schien begriffen zu haben, dass es unter Umständen ungesund für ihn werden könnte, wenn es auf sein Geld bestand. Deshalb nickte er nur und streckte die Hand aus.
Iranueel gab ihm das Geld und stieg ohne weiteres Wort aus.
Er befand sich vor einem 3-stöckigen Gebäude, dessen Verputz offenbar noch ganz neu war.
Sein Chinesisch war zwar nicht wirklich gut, aber er konnte doch entziffern, dass es die Hafenmeisterei war.
„Wir sollten besser in die Kneipe zwei Strassen weiter gehen. Dort befinden sich Kapitäne, die gern mal ein Auge zudrücken und es mit den Papieren nicht so eng sehen.
Bei Gelegenheit solltest du dir auch noch welche besorgen, auch wenn die Menschen dazu neigen, uns schnell zu vergessen und wir dazu neigen, aus dem Raster der Gesellschaft zu fallen!“
Iranueel nickte nur und ging den Weg entlang, den Misako ihm wies.
Etwa 50 Meter weiter hielt er vor einer schmuddeligen Spelunke mit sackweise stinkendem Müll davor.
Der Geruch war nahezu überwältigend und der Lärm aus ihr klang, als wäre der Großteil der Leute darin nicht mehr nüchtern.
Nun, nichts anderes hatte er erwartet. Beim Blick auf das Schild über dem Eingang starrte ihm ein goldener Drache entgegen, dem etwas Sabber aus dem Maul lief.
Zum betrunkenen Drachen stand darunter.
„Schätze, es wird Zeit, sich den Gegebenheiten anzupassen!“
In seinen gewöhnlichen Klamotten machte er nicht allzu viel her, aber das war ja auch nicht Sinn und Zweck des Ganzen.
Bei seinem Eintreten schauten nur ein paar der sichtlich angetrunkenen Seeleute auf. Es waren Menschen aller Nationen und Rassen vertreten. Iranueel konnte Europäer, Asiaten, Latinos, Afrikaner und sogar einen alten Seebär sehen, der wohl ein Inuit sein musste.
„Der da! Der Eskimo, er ist ein alter Bekannter von mir. Sag ihm, dass Belle dich für eine Besorgung schickt. D