Heimweg
Ich hatte die Spätschicht im Puro, dem chilenischen Restaurant in dem ich damals arbeitete.
Spätschicht bedeutete im Puro, Dienst bis mindestens zwei Uhr Nachts. Es war November und einer dieser Nächte wo die Gäste eher Tröpfchenweise eintrudelten. Ein langer Abend, an dem die Zeit einfach nicht vergehen wollte lag hinter mir, als wir schließlich den Laden dicht machten. Ich sparte mir das Feierabendbier, welches ich sonst fast immer trank um den Abend ausklingen zu lassen.
Weder das gemachte Trinkgeld noch das bisschen Arbeit hätten es gerechtfertigt.
Damals wohnte ich nicht weit vom Puro entfernt, vielleicht höchstens eine Viertelstunde Fußmarsch.
Dabei gab es jedoch viele mögliche Wege nach Hause zu gelangen und fast immer wählte ich eine andere Variante. Manchmal nahm ich den schönen Weg über die brühlsche Terrasse, ein anderes mal über den Altmarkt oder durch die verschiedenen schmalen Gassen der Altstadt.
Ich liebte die Stadt bei Nacht. Die leeren Gassen, die Häuser im dunkeln und die schwarze Elbe ,von der ein kühler Wind über die Ufer strich, versetzten mich stets in eine zugleich wohlige wie melancholische Stimmung.
Dresden ist, wie wohl jede Stadt, Nachts ein anderer Ort. Es liegt eine düstere Schönheit in ihr. Ich mochte es über Straßen und Plätze zu gehen, die tagsüber von Lärm und Hektik erfüllt waren, Nachts aber vollkommen leer waren und still.
Nun wie gesagt, ich liebte die Stadt bei Nacht und das ist auch durchaus noch immer so.
Doch ich habe meine nächtlichen Spatziergänge seit jener speziellen Nacht aufgegeben.
Denn die Stadt kann Nachts wirklich ein anderer Ort sein. Ein schrecklicher Ort.
Es begann alles mit einem leisen Tappen im Dunkeln. Ich hielt inne und sah mich danach um, konnte aber nichts erkennen. Doch als ich weiter ging, lief plötzlich ein Fuchs direkt vor mir über die Straße und verschwand in einer dunklen Gasse.
Ich war gleichzeitig verdutzt und fasziniert ein solch wildlebendes Geschöpf aus der Nähe zu sehen. Auch wenn ich immer wieder Tiere in der Stadt, vor allem bei Nacht, zu sehen bekomme, so empfinde ich es doch jedes mal wieder als ein kleines Wunder.
Ich folgte dem Fuchs, doch schon nach wenigen Metern konnte ich ihn nicht mehr erkennen, dazu war die Gasse, in die er gelaufen war einfach zu dunkel. Offenbar gab es hier Nachts keine Beleuchtung.
Ich überlegte. Die Gasse erschien mir ziemlich unbekannt. Ich konnte mich nicht daran erinnern hier jemals entlang gegangen zu sein. Die Häuser waren alt und sahen eher unbewohnt aus. Ich sah viele eingeschlagene Fenster und abprökelnde Fassaden. Häuser wie diese gab es viele in Dresden. Sie waren ein Ergebnis des anhaltenden Bevölkerungsschwundes. Trotzdem war es seltsam sie hier zu sehen, mitten in der Altstadt. Ich überlegte das die Straße nicht lang sein konnte und ich an einer Stelle rauskommen müsste die ich kannte.
Die Häuser machen wirklich einen sehr verfallenen Eindruck, hier wohnte schon seit einer halben Ewigkeit niemand mehr. Der Eindruck einer Geisterstadt wurde durch das helle Mondlicht das auf dem autofreien, holprigen Kopfsteinpflaster glitzerte noch verstärkt.
Es war unheimlich. Doch ich mochte diese unheimliche Stimmung, ich kam mir vor wie in einer anderen Welt. Der Fuchs war nicht mehr zu sehen, aber das störte mich nicht besonders. Die Nacht war klar und friedlich.
Die Gasse erwies sich als länger als gedacht. Ich war verwirrt, ging ich vielleicht in die völlig falsche Richtung? Eigentlich lies mich mein Orientierungssinn fast nie im Stich, doch manchmal waren die Wege einer Stadt seltsam und man kam an Stellen heraus die man nicht erwartete.
Da sah ich auf einmal eine Abzweigung Eine dünne Lücke, sogar noch schmaler als die Gasse die ich gerade entlang ging.
Ich nahm diesen neuen Weg, da ich mir sicher war, dass ich nun bei einer der Hauptverkehrsstraßen herauskommen müsste. Das Kopfsteinpflaster war hier uralt und buckelig. Es war kein Wunder das hier nirgends Autos standen, dachte ich, was sollte man auch in einer solchen Straße wollen. Ich nahm wieder eine Abzweigung, die mich eigentlich wieder in die Richtung zurückbringen sollte, die ich ursprünglich eingeschlagen hatte.
Schließlich kam ich an eine breite Straße, doch auch diese kannte ich nicht. Eine klamme nagende Furcht begann immer stärker an mir zu nagen. Das konnte nicht sein, es gab keinen Stadtteil in Dresden wo dermaßen viele Häuser verfallen waren und schon gar nicht so nah der Altstadt. Ich lebte schon seit Jahren hier und ich hätte sie irgendwann mal sehen müssen.
Und wieso, zum Teufel hatte eine so breite Straße, bei der ich nun herauskam, auf der ich sogar ein paar Straßenbahngleise sehen konnte, keine Straßenbeleuchtung?
Ich zwang mich zur Ruhe. Das alles mochte verwirrend sein aber es gab sicher eine einfache Erklärung dafür. Im übrigen brauchte ich nur den Weg zurück zu nehmen den ich gekommen war um wieder nach Hause zu kommen.
Ich hasste zwar den Gedanken, meine Zeit mit einem dermaßen sinnlosen Weg vergeudet zu haben, wenn ich vielleicht nur um die nächste Ecke zu biegen brauchte um an der richtigen Stelle herauszukommen aber die Sache wurde mir einfach zu unheimlich. Außerdem war ich soweit nun auch nicht gelaufen, es konnten höchsten fünfzehn Minuten vergangen sein.
Als ich mich umdrehte stand in der Gasse der Fuchs und starrte mich an. Er blickte mir direkt in die Augen. Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück. Ich wusste nicht allzu viel über Füchse aber das konnte nicht normal sein.
Die Augen des Tieres glitzerten golden im Mondlicht, es war faszinierend und mehr als nur ein bisschen beängstigend. Er starrte mich weiter an, scheinbar ohne Furcht, ruhig auf seinen Hinterläufen sitzend. Er machte auf mich den Eindruck als wisse er mehr über mich als ich über ihn. Als habe er von der Erkenntnis gefressen.
Verrückte Gedanken, ich schüttelte den Kopf um wieder klar zu werden. Keine Ahnung wie lang ich da rumgestanden hatte und mir mit dem Vieh ein Wettstarren geliefert hatte aber es mussten mehrere Minuten gewesen sein. Seine Augen schienen mich irgendwie hypnotisiert zu haben.
Ich musste endlich ins Bett. Ich riss mich zusammen und ging entschlossen auf das Vieh zu. Wer doch gelacht, wenn ich mich von so einem Flohparadies aufhalten lassen würde.
Der Fuchs knurrte. Tief und kehlig und mit einer Aggressivität die mich absolut überraschte. Was war wenn das Vieh Tollwut hatte, schoss es mir durch den Kopf. Die Entschlossenheit, die mich eben noch erfüllte, war wie weggeblasen. Ich hatte keine Lust hier mitten im Niemandsland angefallen zu werden. Außerdem wusste ich nicht wie lange meine letzte Impfung her war. Ich hatte das mit dem Impfen nie besonders genau genommen und bereute dies nun. Ich hatte es immer gehasst zum Arzt zu gehen, keine Ahnung warum. Liegt vielleicht an irgendeinem kindlichen Traume, oder so?
Ich blieb wieder stehen und schwitze jetzt ordentlich. Nervös zog ich den Reißverschluss meiner Jacke auf. Die kühle Nachtluft strich lindernd über meine Brust.
Der Fuchs hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Er war jetzt näher an mir dran und sah eigentlich nicht aus als ob er Tollwut hätte. Kein Schaum vor dem Mund, aber das musste ja nicht viel heißen, ich war schließlich kein Tierarzt.
Als ich auf meine Armbanduhr sah stellte ich fest das weitere Zehn Minuten vergangen waren seit der Fuchs nun dort saß. Mindestens.
Diese Erkenntnis machte mich wütend. Verdammt es handelte sich ja schließlich nicht um einen geifernden Hund, das Tier war höchstens so groß wie eine Katze! Sollte es doch versuchen mich anzugreifen, werden ja sehn wer hier wen besiegte. Wahrscheinlich würden seine Zähne nicht einmal durch meinen Mantel kommen.
Derart, von mir selbst, angestachelt rannte ich wütend auf das Tier zu.
Der Fuchs duckte sich und bleckte die Zähne, er machte tatsächlich den Eindruck als wollte er mich anspringen. Stattdessen sprang er zur Seite und huschte zu einer schmalen Gasse.
Ich blieb stehen und musste fast lachen. Hier stand ich nun, strahlender Held der ich war und hatte einen glorreichen Sieg über eine gemeine Bestie errungen. Ich schüttelte grinsend den Kopf und sah mich noch mal nach dem Tier um. In der schmalen Gasse sah ich seine goldenen Augen funkeln. Er starrte mich wieder an und knurrte immer noch. Mir lief ein Schauer über den Rücken und ich machte das ich weg kam.
Ich vermiet es mich noch mal umzudrehen, zu groß war die Angst goldenen Augen aus der Dunkelheit starren zu sehen. Auch vermied ich es den Drang nachzugeben und loszurennen. Ich musste einen kühlen Kopf bewahren, es würde mir nicht helfen in Panik auszubrechen.
Nach ein zwei Häuserecken beruhigte ich mich langsam wieder. Nach der nächsten Abbiegung müsste ich wieder auf die kurze Querstraße kommen, die mich wieder zurück zu der Gasse führen würde, überlegte ich. Über diese war ich, vor nicht einmal einer halben Stunde, in diese unheimliche Gegend geraten.
Doch als ich besagte Querstraße erreichte, war ich mir nicht mehr sicher. Die Häuser schienen anders auszusehen. War es nicht möglich das ich durch meine vorige Nervosität eine falsche Abbiegung genommen hatte?
Andererseits, vielleicht bildete ich mir das auch nur ein, immerhin sahen Straßen wenn man sie aus der anderen Richtung sah immer ein bisschen anders aus. Ich beschloss dem Weg eine Chance zu geben und ihm ein Stück weit zu folgen, soweit ich mich erinnerte, konnte er nicht besonders lang sein, wenn es der Richtige war. Sollte es sich hingegen um den Falschen handeln, brauchte ich ja bloß wieder umzukehren, dass versuchte ich mir jedenfalls einzureden.
Also ging ich weiter und der Weg stellte sich tatsächlich als nicht so lang heraus. Allerdings endete er nicht da wo ich erwartet hatte.
Ich kam auf einen kleinen Platz heraus den ich nicht kannte. Auf ihm stand ein alter Brunnen, einer von der Sorte, in dem eine Gruppe von Figuren ein riesiges Becken hielt, aus dem dann Wasser in ein darunter liegende überfloss.
Nur dieser hier war natürlich abgestellt und bar jeden Wassers. Trotz meiner schleichenden Furcht, war ich noch immer neugierig genug um hinzugehen und ihn mir näher anzusehen.
Kein Zweifel, ich hatte noch nie von diesem Brunnen gehört, geschweige denn ihn gesehen. Er sah stark abgenutzt aus Die Figuren waren teilweise abgeschlagen und sehr verwittert. Sie machten einen erdrückend verzweifelten Eindruck, so als wären es gefangene Seelen in Stein. Mir schauderte. Die Verwitterung hatte einige der Gesichter ins Groteske verzerrt und andere ganz entfernt so das nur noch grober Stein an den Stellen war, wo sie einst blickten. Mich erfasste ein kaltes Grausen und ich wandte mich ab.
Auf dem Grund des leeren Beckens sah ich ein paar alte Münzen träge glitzern. Ich konnte nicht anders, ich musste eine aufheben. Es überraschte mich nicht sonderlich hier weder D Mark noch Euro zu sehen oder sonst eine Währung die mir bekannt war. Was ich fand war jedoch durchaus deutsches Geld.
Nur war es eben über achtzig Jahre alt.
Reichsmark.
Obwohl das Ding so stark verwittert war das man es kaum noch erkennen konnte, war ich mir sicher. Genauso wie ich mir sicher war das es sich bei dem anderen Geld ebenfalls um Reichswährung handelte. Auf der Rückseite der Münze war das Bild eines Mannes. Es konnte Hindenburg sein, das war schwer zu erkennen und ich kannte mich mit alten Münzen nicht aus. Zumindest war es nicht Hitler, da war ich mir sicher.
Die Münze war Eiskalt. Unwillkürlich lief mir ein Schauer über den Rücken. Ich steckte sie ein und beschloss einstweilen nicht mehr über das Ding nachzudenken.
Ich wollte lieber, so schnell es ging, den Weg wieder zurück gehen, den ich gekommen war. Das war jetzt das Wichtigste.
Als ich wieder zur Gasse zurückgehen wollte, erblickte ich an der Fassade eines Hauses etwas das mir die Luft stocken ließ.
Jemand hatte mit schwarzer Farbe einen Davidsstern an die Wand gepinselt.
Ich erinnerte mich aus dem Geschichtsunterricht noch genau wann so etwas gemacht wurde. Nämlich in den dreißiger Jahren.
Heutzutage würde es keinem mehr einfallen so etwas zu tun. Anders verhielt es sich natürlich mit Hakenkreuze, die wurden von den Möchtegern- Nazis dieser Welt, immer noch fröhlich in Schulbänke geritzt und an Raststättenklos geschmiert. Den Davidstern hatten die Juden hingegen wieder weitgehend für sich, nachdem Hitler und seine Schergen ihn als Markierung gegen sie eingesetzt und missbraucht hatten.
Zum ersten mal merkte ich was mir eigentlich schon die ganze Zeit hätte auffallen müssen, nämlich das ich bis gerade eben nirgends Schmierereien an den Häuserwenden gesehen hatte. Nicht ein Grafitti. Normalerweise wimmelten diese verfallenden Häuser davon, doch hier... nichts. Außerdem gab es nicht nur keine Autos, was ja vielleicht noch erklärlich gewesen wäre, es gab auch keinen Müll. Keine alten Plastikflaschen oder platt gefahrenen Dosen, ja nicht einmal alte Zigarettenkippen klemmten zwischen dem verwitterten Kopfsteinpflaster.
Dieser Stadtteil war nicht nur Tod, er war steril, wie eine schlechte Kulisse. Ich war mir plötzlich sicher das hier wahrscheinlich nicht mal Bakterien lebten. Mir viel der Fuchs wieder ein und abermals lief mir ein eisiger Schauer über den Rücken.
Und als hätten meine Gedanken es heraufgeschworen, hörte ich auf einmal sein Knurren in meinem Rücken. Es klang viel tiefer als das eines Fuchses doch als ich mich umdrehte war er da. Er stand im oberen Becken des Brunnen und schien gewachsen zu sein. Sein Knurren war das Grollen eines riesigen Tieres geworden.
Vor mir stand kein einfacher Fuchs mehr, das war eine Bestie. Seine goldenen Augen starrten mich zornig an und er fletschte die Zähne, wobei er Geifer versprühte. Sein gesträubtes Fell schien von innen zu leuchten. Mit Erschrecken erkannte ich, dass er zum Sprung ansetzte. Hastig drehte ich mich um und stürzte davon.
Diesmal gab es kein halten mehr, diesmal rannte ich. Die Panik die ich hatte vermeiden wollen packte mich und ich achtete nicht mehr darauf wohin ich lief. Ich wollte nur noch so schnell wie möglich weg.
Jeden Augenblick erwartete ich schwere Tatzen in meinen Rücken zu spüren die mich umwarfen und zu Boden rissen. Keuchend nahm ich so viele Abbiegungen wie möglich, in der vagen Hoffnung das Monster abhängen zu können.
Ich kam in immer finsterere Gegenden doch achtete ich kaum darauf. Die Häuserfronten schienen näher zu rücken, wie alte Greise die sich mit gelangweilten Interesse über meine jämmerliche Gestalt beugten.
Da trat ich in eine Pflasterlücke, stolperte und viel. Schmerz raste mir durch den rechten Ellenbogen doch ich beachtete ihn nicht, stattdessen wand ich mich heftig um, erwartete die Bestie auf mich zuspringen zu sehen. Jedoch, die finstere Gasse hinter mir war leer. Es regte sich nichts darin. Keuchend, meinen schmerzenden Arm massierend stand ich auf und sah mich um.
Die Häuser hier waren dunkler und schienen uralt zu sein. Seltsame alte Runenzeichen zogen sich über die Steine. Es waren grausame Zeichen, die ich nicht lesen konnte und auch nicht lesen wollte. Die Architektur der Gebäude war mir unbekannt, erinnerten mich aber an steinalte Kirchen aus dem Mittelalter. Sie machten den Eindruck als ständen sie schon immer hier, als wären sie nicht gebaut sondern vielmehr aus der Erde geborene steinerne Kolosse, Felsmassive die nur zufällig wie Häuser aussahen.
Niemand konnte hier je gelebt haben, dachte ich, hoffte es auch. Ein kalter Wind fegte mir durch die Gasse ins Gesicht und ich zog meinen Mantel enger. Der blasse Mond strahlte kalt auf die Monströsitäten.
Meine Panik war dumpfem Grauen gewichen.
Ich hatte keine Ahnung wo ich war, oder wie ich hier wegkommen könnte. Frierend stand ich einfach nur da und wusste nicht was ich tun sollte. Konnte ich es tatsächlich riskieren die Straße wieder zurückzukehren und vielleicht dem grässlichen Fuchs direkt in die Fänge? Doch weiterzugehen und dabei noch tiefer in diesen architektonischen Alptraum vorzudringen, allein bei dem bloßen Gedanken überkam mich lähmendes Entsetzen.
So schrecklich die Aussichten gegen den Fuchs auch sein mochten die zweite Möglichkeit erschien mir unendlich grauenvoller. Tiefer in diese Stadt einzudringen, so spürte ich, wäre wie in eine dunkle Grube hinabzusteigen, aus der es kein entrinnen gab. Ich würde auf ewig in ihren steinernen toten Eingeweiden umherirren bis ich schließlich zusammenbrach und danach würde es nicht aufhören, nein, als Geist würde ich weiter wandeln, dazu verdammt solange umherzuirren bis ich endlich den Ausgang fand. Was wahrscheinlich nie geschah.
Gut möglich das es bereits zu spät war, doch ich würde mich nicht in mein Schicksal ergeben und sollte der Fuchs mich angreifen, ich würde gegen ihn kämpfen.
Es war wohl der Mut des Verzweifelten der mich schließlich eine Entscheidung treffen ließ. Entschlossen stapfte ich die Gasse zurück aus der ich gekommen war. Dabei ertönte durch die Gebäude um mich herum ein stöhnendes Knirschen wie ein Laut des Bedauerns hörte es sich für mich an. Doch aus irgendeinem Grund machte mir das eher Mut als Angst und ich beschleunigte meine Schritte. Ich folgte der Straße zurück.
Als ich den Block hinter mir ließ kam ich in einen dunklen Park. Ich konnte mich nicht erinnern hier vorher durchgekommen zu sein doch das spielte keine Rolle mehr, ich musste weiter, so oder so. Der Park war voller totem Gehölz das wie versteinert in den Nachthimmel stak. Ich beschloss mich am Rand zu halten.
Da stand ein Schild in altdeutscher Schrift: Großgarten.
Nicht gerade einfallsreich, dachte ich, doch der spöttische Gedanke belustigte mich nicht im geringsten.
Ich bewegte mich am Rand des Parks weiter und hielt nach der nächsten Gasse Ausschau. Von der Fassade der Häuserwand links neben mir blickten mich runde Fenster an, gleich der Augen toter Fische. In der ferne des Parks hörte ich das krachen von Ästen, so als bewege sich etwas großes durch das schwarze Gehölz.
Ich stolperte über einen grauen Ast und landete auf den Knien. Ich fluchte, stand wieder auf und ging weiter. Dann überlegte ich es mir anders, ging wieder zurück und nahm den Ast mit. Er war etwa ein- einhalb Meter lang und endete in einer abgebrochenen Spitze. Er fühlte sich rau und kalt an und irgendwie falsch. Am liebsten hätte ich ihn fortgeworfen aber es war, wenn auch nicht die Beste, immerhin eine Waffe.
Ich ging weiter, wobei ich den provisorischen Speer mit beiden Händen umklammert hielt bereit jeden Moment zuzustoßen. Als ich die gegenüberliegende Gasse schließlich wieder erreichte waren meine Hände vor Kälte taub. Das Holz schien ihnen jede Wärme zu entziehen wie ein Vampir, oder eher wie ein schwarzes Loch, dachte ich wirr.
Immerhin machten die Häuser hier schon einen normaleren Eindruck, um die Jahrhundertwende gebaut, verfallen zwar aber durchaus als normal zu benennen. Nicht diese überdimensionierte, kalte Massivität und auch keine seltsamen Runen, die alles Mögliche bedeuten konnten.
Ich ging weiter, nun abwechselt eine Hand unter die Achsel geklemmt um sie wenigstens kurz aufzuwärmen, während die andere die provisorische Waffe hielt. Dabei schabte der Speer über das Pflaster was ein ekliges Geräusch erzeugte das mich an Fingernägeln auf einer Kreidetafel erinnerte. Ich gab mir Mühe den Stab auch mit einer Hand höher zu halten, nur um dieses hässliche Geräusch vermeiden zu können.
Auf einmal löste sich eine große Figur aus Stein rechts neben mir aus der Häuserwand und landete mitsamt dem Erker, den sie wohl nicht nur der Zierde wegen gehalten hatte, explosionsartig auf dem Gehweg. Erschrocken sprang ich zur Seite und wich weiter zurück als ich die gesamte Mauer weg brechen und zusammensacken sah. Widerlicher Staub der sich wie der Dreck von Jahrmillionen anfühlte legte sich über mich. Hustend und würgend versuchte ich soviel wie möglich von dem Zeug auszuspucken doch der Feinstaub drang auch in meine Augen und ließ sie schmerzhaft Jucken. Geistesgegenwärtig bezwang ich den Drang mir daran herumzureiben, dass hätte es mit Sicherheit nur noch viel schlimmer gemacht.
Als sich der Staub zumindest halbwegs wieder gelichtet hatte und ich mit Mühe wieder atmen konnte, erblickte ich was sich hinter der Fassade des Gebäudes befand. Nämlich gar nichts. Nur leere Räume wie Bienenwaben. Ohne Möbel oder Tapeten noch sonst etwas was an Menschen erinnerte nicht einmal Türen.
Da hörte ich hinter mir plötzlich etwas durchs Unterholz krachen. Erschrocken wandte ich mich um und erblickte einen flammenden Geist. Ich wusste sofort das es sich um den Fuchs handelte, nur war es jetzt kein Fuchs mehr, war es vielleicht auch vorher nie gewesen. Das Wesen stand aufrecht und war von roten Schwaden umzüngelt, wie Flammen nur war es kein Feuer was ich sah, denn es verhielt sich anders, war langsamer, es umwallte vielmehr den Körper als hektisch zu flackerte. Das Wesen war von einer orangenen Färbung und teilweise Menschenähnlich, zumindest war es das im Brust und Armbereich. Dafür besaß es zwei überdimensionierten Läufe und auch der Kopf war der eines Fuchses, nur um einiges größer. Die Augen glühten in einem infernalisch grellem Goldton.
Und dann sprach die Kreatur mit mir.
Es war Deutsch und doch wieder nicht. Es schien eine andere, irgendwie härtere, tierischere Version von Deutsch zu sein. Vielleicht war es auch nur ein Akzent, schließlich konnte das kaum die normale Sprache dieses Wesens sein.
Ich kann mich an den Wortlaut oder überhaupt an etwas was er sagte kaum erinnern. Ich glaube mein Kopf hakte einfach aus. Ich sah seltsame Bilder, Visionen von lodernden Feuern, Städte die brannten, Menschen die schrieen und starben. Ich sah eine Armee aus steinernen Soldaten in Uniformen die mit verschiedenen Runen gekennzeichnet waren. Sie waren wie die Stadt die ich gesehen hatte hohl und leer.
Und die ganze Zeit halten Worte durch meinen Sinn. Sie kamen von der Erscheinung die vor mir stand.
,Diese Stadt ist nicht die deine,... knurrte es, ...sie gehört den Kalten. Verschwinde von hier Weichfleisch. Du gehörst nicht hier her...
Ich hörte den Lärm marschierender Stiefel unbarmherzig über das Harte Pflaster stampfen. Es kam auf mich zu, eine monströse trampelnde Maschine. Sie würde mich zermalmen, dachte ich und war starr vor Schrecken, konnte mich nicht mehr bewegen.
Der Fuchsmensch sprang auf das Pflaster direkt vor mir. Er fletschte die Zähne und brüllte, allerdings nicht in meine Richtung, sondern in Richtung Straße, aus der der Lärm drang. Es war eine emotionale, nutzlos wütende Geste. In dieser Welt war dafür kein Platz. Die Bestie erkannte das auch und wandte sich wieder mir zu.
,Du wirst laufen.' sagte es. ,Oder du wirst kämpfen und sterben.'
Die Bestie spannte ihre Muskeln und wandte sich der Gasse zu. Ihre Aura wurde noch heller, noch mächtiger. Mir wurde klar das sie sich entschieden haben musste. Und ihre Wahl war der Kampf.
,Lauf oder kämpfe, wiederholte die Kreatur, doch tue eines von beidem.'
Immer noch starr vor Angst blickte ich an ihm vorbei und erblickte die erste Reihe der herannahenden Soldaten. Ihre Gesichter waren wie gemeißelt, doch wusste ich, dass es keine Masken waren. Ich erkannte was passieren würde wenn ich nichts tat, wenn ich einfach nur hier sitzen blieb. Ich würde einer von ihnen.
Diese Erkenntnis löste mich aus meiner Lethargie. Ich stand taumelnd auf und wollte flüchten, da fragte ich mich wozu, wohin sollte ich schon rennen. Ich würde mich verirren und schließlich und endlich doch eingeholt werden. Es war besser zu kämpfen, auch wenn es mein Tod war, dachte ich.
Außerdem war es nicht so feige.
Ich drehte mich um, hob meine Lanze auf und trat neben den Fuchsmensch.
,Du hast dich also entschieden, aber diese Waffe wird dir nicht nützen,' sagte er.
Er hob eine seiner mächtigen Pranken und berührte den Ast den ich aus dem Großgarten mitgenommen hatte.
Auf einmal wurde er tatsächlich ein Speer. Er hatte eine breite Klinge am Ende und pulsierte vor Wärme in einem strahlendem rotem Licht genau wie mein Gefährte.
Die Armee der Kalten war jetzt ganz nahe, doch ich war bereit.
Als sie schließlich über uns kamen, blickte ich in unmenschlichen Gesichter und erkannte die stumpfe Leere in ihren Augen. Ihre Seelen waren schon lange gestorben. Diese Kreaturen hatten keinen Willen mehr, sie funktionierten nur noch.
Sie trugen seltsame Runen in ihren Helmen, die mich an das dritte Reich erinnerten und hatten Gewehre. Als sie auf uns anlegten, bereitete ich mich darauf vor zu sterben.
Da stürzte mein Gefährte vor und schlug sich durch ihre Reihen. Von seiner Wut angestachelt folgte ich ihm. Ich stach mit meinem heißem Speer durch ihre Körper, spießte sie auf, zog den Speer wieder zurück und stach erneut zu. Ich war wie im Rausch. Ich dachte nicht mehr, ich kämpfte nur noch.
Als die Soldaten zu Boden gingen zerbrachen sie wie leere Gefäße. Sie waren genauso hohl wie die Häuser um uns herum. So hohl wie ihre ganze, verdammte Stadt.
Ich wurde wie mein Gefährte. Wild, animalisch, tierisch.
Die Kalten starben stumm und Blutlos, brachen einfach in Stücke, doch nach jedem den ich tötete tauchte sofort ein neuer vor mir auf, um die Lücke zu füllen. Dieser hatte stets das selbe teilnahmslosen Gesicht, es gab keinen Unterschied, einen nach dem anderen, machte ich sie nieder.
Mit jedem Treffer kühlte meine Wut mehr ab. Schließlich wich sie einer kalten Mechanik. So spürte ich wie ich hohl und leer wurde wie mein Gegner. Wie sollte man auch Hass auf etwas entwickeln, das so stupide, sinnlos und leer war? Es war wie Holz hacken, es war stumpfe Mechanik. Sinnlos.
Ich kämpfte nicht gegen Menschen, ja, nicht mal gegen Tiere, auch diese haben einen eigenen Willen. Es war eher eine Art Antimaterie die ich bekämpfte. Etwas das den freien Willen aufsaugte und in leeren Gehorsam verwandelte. Dieses schwarze Loch erfasste nun auch mich und begann mich aufzusagen.
Ein letztes aufbäumen meines freien Willens lies mich den Speer, der schon lange erloschen war, von mir werfen. Ich war ohne ihn besser dran, mochte diese Gegner mich auch töten, sie würde mich nicht besiegen.
Die Kalten steinernen Soldaten bilden einen Kreis um mich doch es war keine Vorsicht die sie zurückhielt. Solches Verhalten existierte in ihren kollektiven Unbewusstsein nicht. Ich sah mich nach meinen leuchtenden Gefährten um, fand ihn aber nirgends. Hatten sie ihn vielleicht schon erledigt?
Da spürte ich eine leichte Berührung an meinem Bein. Als ich hinuntersah erblickte ich den kleinen Fuchs zu meinen Füßen. Er saß auf seinen Hinterläufen und blickte die Soldaten gelassen an.
Ich lächelte.
Dann setze ich mich in Bewegung. Der Fuchs lief direkt neben mir. Die leeren, kalten Soldaten traten uns stumm aus dem Weg. Sie konnten nichts gegen uns tun, konnten uns nichts anhaben.
Wir ließen sie zurück.
Nach einer Weile übernahm der Fuchs die Führung. Zusammen kamen wir in die Stadt, in dass Dresden, das ich kannte.
Ich wusste es sofort als wir es betraten. Die Umgebung war von einer ureigenen Lebendigkeit erfüll, von der ich bisher nicht einmal wusste, dass sie gefehlt hatte. Mir war als könnte ich den Herzschlag der Stadt spüren. Es war ein großartiges Gefühl.
Wir kamen auf eine große Wiese mit ein paar Bäumen am Rande. Ich erkannte sofort den Alauenpark wieder. Der Fuchs, der die ganze Zeit ein paar Meter vor mir gelaufen war, drehte sich noch einmal zu mir um und sah mich mit seinen goldenen Augen an. Ich erwiderte den Blick ernst.
Es war ein kurzer Abschied. Mit einem Satz verschwand das Tier im Gebüsch. Das bedauerte ich, doch überwog in mir, so wie auch heute noch, der Stolz und die Erfurcht vor diesem Wesen und der Tatsache das es an meiner Seite kämpfte.
Heute bin ich mir aber sicher das dieser Fuchs ein ganz normaler Vertreter seiner Art war, der nur durch seine lebendige Kraft, in einer toten leeren Welt eine solche Macht erlangen konnte. Das vermindert meinen Respekt vor ihm jedoch in keinster Weise, sondert steigert ihn eher noch. Ungern denke ich aber darüber nach, was das wohl für mich bedeutet, der ich nicht mal einen Hauch dieser Macht erlangt hatte, in dieser toten Welt der leeren Menschen.
Sollte ich aber jemals denken das alles wäre nur ein Traum gewesen, brauche ich nur an meine Brust zu fassen und weis das dem nicht so ist.
Denn ich besitze die Münze noch immer.
An einer Kette, trage ich sie um den Hals. Allerdings immer mit Kleidung darunter.
Ich könnte diese Kälte niemals an meiner nackten Haut ertragen.
Stefan Weirauch 10.12.08 Dresden
Von Zeira_God
Am 14.05.2009 um 00:47 Uhr
Werts vielleicht noch mal überarbeiten mal sehen. :-)
Von sunshishi
Am 12.05.2009 um 21:49 Uhr
sie hat mich gefesselt und hineingezogen. Du hast einen lebendigen Schreibstil, beschreibst toll und hast gute Ideen.
Wieder nur meine Kritik am orthographischen Stil. Am Anfang braucht es auch weniger Absätze. Das zerreißt sonst den Text so.
Später habe ich einmal kurz den Faden verloren, als die Kalten Krieger auftauchten - liegt aber vielleicht an meiner verminderten Aufmerksamkeit zu fortgeschrittener Stunde^^
Sandra Schmidt
I laugh in the face of danger - then I hide till it goes away.
Von Zeira_God
Am 06.05.2009 um 01:43 Uhr