„»Liebes Tagebuch,
mir ist klar, dass du alles, was ich dir nun anvertrauen werde, den Wächtern und vielleicht sogar dem Fernsehen verraten wirst, doch vielleicht ist es sogar besser so. Ich hatte noch nicht die Möglichkeit gehabt, dir zu schreiben, was passiert war. Ich habe dir viel zu lange nicht mehr geschrieben, aber es gab einen Grund dafür: Naila.
Sie war ein Drachenpet und obwohl sie ein Mischling aus Krokodil und Fledermaus ist, gehörte sie zu den seltenen Pets. Und ich hatte die Ehre, sie aufzuziehen. Sie und ihre Geschwister. Wer hätte gedacht, dass dies mein Verhängnis werde... Ich arbeite, was ich dir ja schonmal geschrieben habe, in der Petaufzuchtstation. Also der Ort, wo die Pets geboren und auf ihr späteres Leben vorbereitet werden. Ich arbeite schon lange in der Abteilung für seltene Pets, gerade da muss man sich nämlich sehr intensiv mit den Pets auseinandersetzen. Ich hatte den Job geliebt, auch, wenn es schmerzte, zu erfahren, was vielen der Kleinen zustieß. Doch ich machte weiter, hoffte, auf gerechtere und strengere Haltungsregeln. Sollte es diese irgendwann geben, so werde ich sie wohl nicht mehr erfahren. Denn als die erste Drachengeneration geboren wurde, schien sich mein Leben vollkommen verändert zu haben. Ich weiß bis heute nicht, warum, doch eines der 26 Drachenkinder hatte mich von Anfang an verzaubert. Und das, obwohl sich Petkinder bei der Geburt kaum unterscheiden ausser vielleicht in Haar- und Augenfarbe. Und doch spürte ich bei einem der handgroßen Winzlinge eine unendlich große Zuneigung. Ich sorgte dafür, dass ich sie persönlich betreuen durfte, zusammen mit drei anderen Geschwistern. Ich versuchte, bei all meiner Faszination und Zuneigung, niemals unfair den Anderen gegenüber zu sein, doch manchmal ertappte ich mich, wie ich Naila etwas länger auf den Arm nahm, etwas länger mit ihr spielte. Es war seltsam, doch ich fühlte mich wirklich als ihr Vater. Ich liebte das kleine Wesen, dass ich in beide Hände nehmen konnte, so abgöttisch, dass es wohl besorgniserregend war. Doch ich schwieg mich aus. Zwei Jahre lang zog ich die Kleinen auf und es erfüllte mich mit Stolz, was für schöne Kinder sie wurden. Doch vor allem Naila wuchs zu einer kleinen Schönheit heran. Sie hatte leuchtende grüne Augen und ihr Haar war feuerrot gewesen. Sie war wahrlich ein Drachenkind. Als man den Kindern die Flügel stutzte, damit sie später ihren Herren nicht wegfliegen, musste ich mich zusammenreißen, um nicht zu weinen. Zumal die Kleinen Angst hatten und es mich vor allem bei Naila schmerzte. Doch ein Tag des wirklichen Leides sollte erst noch kommen.
Der Tag rückte näher, an dem die Petkinder alt genug für den Verkauf waren. Einige waren schon verbucht, die Anderen würden wohl auch schnell einen Besitzer finden. Und allein der Gedanke, dass ich Naila weggeben musste, erfüllte mich mit Trauer und auch Hass. Zum ersten Mal verabscheute ich die Pet GmbH, dass sie die Pets verkaufte. Jetzt weiß ich, dass zumindest dies ein wirklich egoistischer Gedanke war. Doch etwas anderes bereue ich nicht. Ich habe mich mit ein paar Freunden unterhalten, die ich nicht nennen werde. Ich will sie in keine Schwierigkeiten bringen, wobei sie wohl schon sowieso unter Gewissensbissen leiden. Jedenfalls habe ich jene Freunde angefleht und schließlich halfen sie mir. Sie veränderten den Eintrag und senkten die Anzahl der Drachenkinder im Hauptcomputer um ein Kind. Sie fälschten mir eine Besitzurkunde und trugen das Geld, dass ich ihnen da gab, so ein, dass es wirklich erst ab dem Verkaufstag angezeigt werden würde. Und dabei habe ich weit weniger bezahlt, als Naila wert war, doch soviel Geld besaß ich nicht. Aber sie war mein. Ich zog sie bis zum letzten Tag noch mit ihren Geschwistern auf, ehe ich verschwand. Ich zog mich mit ihr zurück und schickte meine Kündigung ein ohne meine Adresse anzugeben. Ich zog ans Meer in ein kleines Ferienhaus und verbrachte dort bestimmt ein ganzes Jahr nur mit Naila. Sie war ein lebhaftes Kind, sie spielte gerne und lernte schnell. Sie war frech, aber brav und unglaublich verschmust. Und ich liebte sie, als wäre sie meine leibhaftige Tochter. Mir ist klar, dass man mir vorwirft, ich habe mich an ihr vergangen, dass die Strafe deshalb auch so hoch ist, weil sie noch ein Kind war, doch ich habe sie niemals mit jenem Gedanken berührt. Sie wurde sehr schnell selbstständig, so das sie keine Hilfe beim Waschen oder Entledigen brauchte. Anziehen konnte sie sich sogar schon alleine, als sie noch mit ihren Geschwistern in der Station war. Ich hätte es mir niemals verziehen, hätte ich auch nur daran gedacht, sie irgendwann zu beschmutzen. Sie war mein kleiner Engel, rein und herzensgut. Ich liebte sie wirklich von ganzem Herzen. Umso geschockter war ich, als sie eines Morgens aufgeregt zu mir kam. Sie sah Polizeiautos kommen.
Ich ahnte, dass ich aufgeflogen war. Es war verboten, sich nicht von einem Kontrolleur beaufsichtigen zu lassen. Noch dazu hatte ich Naila illegal erstanden. Ich überlegte, was ich tun sollte. Sie würden sie wegbringen, dass wollte ich nicht, zumal sie als seltenes Pet mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Sklaven eines berühmten oder reichen Menschen werden würde, der ihr viel Schlimmes antun würde. Ich überlegte, sie wegrennen zu lassen, damit sie sich in den Klippen verstecken könnte, doch man würde sie irgendwann finden und wenn nicht.... Sie würde hier vielleicht verhungern über kurz oder lang. Ich hatte spätestens da gemerkt, wie mir Tränen über das Gesicht liefen. Und ich erinnere mich noch, wie Naila sich in dem Moment an mich drückte und mir sagte, ich solle nicht weinen. Sie war so unschuldig, begriff vermutlich nichtmal, warum ich weinte. Sie drückte sich feste gegen mich und streichelte meinen Rücken, so, wie ich es immer bei ihr getan hatte. Das Geräusch der lauter werdenden Sirenen machte mir Angst, es war, als würde ein Sturm immer näher kommen, der unweigerlich alles zerstören würde, was man liebte. Und dann trat die Polizei auch schon die Türe ein. Naila weinte vor Angst, als diese bewaffnet eintraten und mich anschrieen, dass Kind loszulassen. Ich tat es auch und stützte mich auf meinen Scheibtisch. Naila weinte und schrie, als die Polizisten sie nahmen und ihr irgendwas von Sicherheit erzählten. Ich musste mich zusammenreißen, nicht wahnsinnig zu werden von Nailas Hilferufen. Ich wusste, dass ich für diesen Fall einen Revolver im Schreibtisch hatte, doch mein Wille, Menschen, die nur ihren Dienst taten, zu töten, war nicht mehr da gewesen. Ich starrte nur in die offene Schublade und versuchte, Nailas Rufe zu überhören. Bis sie etwas in mir auslöste. Sie schrie „Papa, hilf mir!“. Es mag irrsinnig klingen, doch in dem Moment klickte es in mir. Ich sah zu Naila, welche immer wieder dieses Wort mit P rief und ich konnte nicht anders, als ihr zu helfen. Ich nahm den Revolver und ehe die Polizisten reagieren konnten, schoss ich. Naila war auf der Stelle tot. Ich hatte sie direkt in den Kopf getroffen. Kurz darauf schossen sämtliche Polizisten auf mich, es wundert mich immer noch, dass ich nicht starb in dem Haus am Meer. Doch anscheinend haben sie nur versucht, mich unter allen Umständen unschädlich zu machen, indem sie mir in Arme, Beine und Schulter schossen.
Vor Gericht wurde ich wegen Kindermord verurteilt und wegen Dingen, bei denen ich nicht wusste, ob ich lachen oder weinen sollte. Es mag für Leser verrückt klingen, aber zu hören, dass man sein - ob nun körperlich oder seelisch - eigenes Kind misshandelt und vergewaltigt haben soll, ist einfach nur unerträglich. Und natürlich glaubte man mir, einem Kindermörder, nicht. Man will angeblich Druckstellen an Nailas Körper gefunden haben, doch wenn es sie gab, dann waren diese wohl eher von den Polizisten, die versucht hatten, sie festzuhalten. Es können auch andere Wunden gewesen sein, sie war so ein verspieltes Kind gewesen und daher natürlich auch ab und zu mal hingefallen. Wie man auf die Vergewaltigung kam, weiß ich nicht, vielleicht wollte man einfach dafür sorgen, mir die härtest mögliche Strafe zu geben. Dabei hatte ich schon längst die härteste Strafe erhalten: Ich hatte mein eigenes Kind ermordet. Man versuchte mir vor Gericht noch ein schlechtes Gewissen zu machen, dass ich all diese Verbrechen – egal, ob ich alle nun getan hatte oder nicht – mit dem Hintergrund getan hatte, einst ein Petzüchter gewesen zu sein, dessen Arbeit es gewesen war, Pets eine schöne Zukunft zu ermöglichen. Vor Gericht habe ich durchgehend geschwiegen. Ich hatte nur die Tötung gestanden und sonst nichts. Mir war klar, dass mir ja doch keiner glauben würde, ich hätte es wohl früher auch nicht getan. Vielleicht werden viele in diesem Eintrag ein Geständnis sehen, vielleicht werden viele behaupten, ich wolle mich schön reden. Doch was sollte mir das nützen, wo ich auf 258 Jahre Gefängnis verurteilt wurde? Eine Bewährung? So dass ich nur noch 150 Jahre Haft haben muss? Naja, wer weiß, wenn ich 201 Jahre alt werde, vielleicht könnte ich mit dem Gedanken tatsächlich hier eine Geschichte erfinden, die mich schönredet. Aber an meiner Vergangenheit gibt es nichts schön zu reden. Ein Kind zu töten und dann noch das, was man selbst aufgezogen hat, sowas ist eine der größten Sünden.
Ich bete nun schon seit gestern, seit der Verkündung des Urteils, dass Gott, welcher Gott aus welcher Religion auch immer, Naila gnädig aufnehme. Denn sie hat nichts verbrochen. Ein ermordetes Kind hat keine Sünde und verdient es, in die schönsten Hallen aufgenommen zu werden. Ich bete nun schon in sämtlichen Sprachen sämtliche Gebete, die ich irgendwann gehört habe und erhoffe mir für mich selbst keine Gnade. Mir ist klar, dass kein Gott dieser Welt meine Tat akzeptieren wird. Und kein Gott nimmt Selbstmörder auf. Doch so schnulzig es klingen mag, eine Welt ohne Naila ist leer. Es war mir davor nie aufgefallen, doch die ganze Welt ist nur leer und grau, voller Hass, Intrige und falscher Hoffnung. Ich weiß nicht, ob dieser Ort das Fegefeuer oder sogar die Hölle ist, doch ich will an diesem Ort nicht sein. Denn nur Nailas rotes Haar war mir ein wärmendes Feuer, nur Nailas grüne Augen zeigten mir Leben. Ohne dieses Leben bin ich sowieso schon tot. Vielleicht komme ich an einen Ort, der noch grausamer ist als dieser hier. Vielleicht werde ich auch in einem Nichts enden. Vielleicht komme ich an einen Ort, der schwarz ist, während Naila durch weiße Wolken schwebt. Doch ich hoffe und bete. Selbst, wenn es dumm und egoistisch ist, sich das zu wünschen und die Chance winzig klein wäre, dass man mir vergibt, so bete ich. Auf das mich einer der Götter wieder irgendwann hierhin lässt. Und mir so die Möglichkeit gibt, mich hier oder vielleicht sogar irgendwann an jenem herrlichen Ort mit Naila zu treffen. Selbst, wenn es nur für einen kurzen Moment ist, so will ich ihr doch zumindest zwei Dinge sagen: „Ich liebe dich“ und „Verzeihe mir“. Und vielleicht erlaubt mir einer jener Götter, noch einmal jenes liebevolle Wort aus ihrem Munde zu hören. Doch dies ist wohl schon wieder zuviel. Denn es würde Vergebung bedeuten und ich weiß nicht, ob ich die von der Person verlangen kann, der ich das Schlimmste angetan habe, obwohl ich sie nur liebte. Doch Liebe selbst ist wohl die Sünde, die man hier nicht verzeiht. Und vielleicht, nur vielleicht, zeigt Gott mir Erbarmen, dass ich es wagte, diese Sünde zu begehen.«
Hiermit endet das Tagebuch von Aiba Kartulla, einem unserer besten Petzüchter. Wie wohl jeder bereits erfahren hat, hatte er sich vor zwei Tagen in seiner Zelle erhängt, nachdem er dies geschrieben hatte. Viele Anwesende heute kannten ihn gut. Sie waren seine Arbeitskollegen in der »South African Paradise of Pet Corporation«, sie waren Verwandte von ihm oder Freunde. Und alle haben es schon vor, beim und nach dem Gerichtsurteil gesagt: „Er war ein guter Mann, wie konnte sowas nur passieren?“. Er war ein guter Mann. Doch auch, wenn das Gericht, laut diesem Buch, unbestätigte Urteile aussprach, so hat er leider die Haupttat begannen. Er hat ein Pet getötet, dazu noch eines, dass gerademal drei Jahre alt war, was einem Menschenalter von sieben Jahren entspräche. Er ist ein Mörder und daran konnte leider keiner etwas ändern. Doch ihr, seine Liebsten, seine Freunde und auch ich und die gesamte Pet GmbH wollen zuminest eines ändern: das Ausmaß seiner Sünde. Er selbst zeigt sich in diesem Tagebuch auch schon bei allen vorherigen Einträgen als einen Menschen, der zwar ohne feste Religion, aber dennoch gottesfürchtig lebte. Er versuchte stets, alle Sünden zu umgehen und war wohl das, was man als einen barmherzigen und wundervollen Menschen bezeichnen kann. Ich kenne ihn nicht persönlich, doch ich habe von seiner Arbeit viel Gutes gehört und auch dieses Tagebuch zeigt ihn mir als einen Menschen, der gütig und liebevoll ist. Er, sowie ein junges Pet, mussten sterben, weil sie nicht ins Regelsystem gepasst haben. Denn die Regeln sehen seltene Pets in der Obhut von Leuten vor, die viel Geld haben. Doch er selbst schreibt schon, dass gerade diese Regelung selten gut ausgeht. Ich habe lange gezögert, dagegen vorzugehen. Es wäre zwar im Sinne der Pets, doch dummerweise sind auch wir, die Pet GmbH, auf Geld angewiesen. Und um all jene qualifizierten Leute zu bezahlen, seien es fähige Kontrolleure oder Züchter mit Herz, wie Kartulla einer war, müssen wir auch genug einnehmen. Und da sind seltene Pets nunmal bisher immer eine sehr einfache Sache gewesen. Doch ich werde dem ein Ende machen.
Die Rasse Drache wird die Letzte der Serie »Seltene Pets« sein. Es wird von nun an vielleicht weiterhin Pets geben, die in dieses Muster passen, doch sie werden zu ähnlichen Preisdimensionen gehören wie alle Anderen. Ebenso werde ich Aiba Kartulla als Vater dieser Veränderung angeben. Auch, wenn er im Strafregister als Mörder, Vergewaltiger und brutaler Mensch eingetragen ist, für die Pet GmbH, alle Mitarbeiter und Pets wird er ein Mann sein, der uns die Augen geöffnet hat und für eine noch fairere und bessere Welt sorgen wollte. Er hatte Ideale und Gefühl, er sprach in seinem Tagebuch so oft auf die Probleme der Pet GmbH an und er sowie ein Wesen, dass ihm viel bedeutet hatte, mussten daran sterben. Ich, Estavan Maggio, Präsident der Pet GmbH, werde seine Worte berücksichtigen und versuchen, mir ein Beispiel an seiner selbstlosen Arbeit zu nehmen. Ebenso werde ich in seinem Gedenken eine Statue von ihm auf den Platz vor der »South African Paradise of Pet Corporation« setzen lassen. Und ich werde für ihn beten, dass sein letzter Wunsch sich erfüllt und irgendein Gott sich gnädig zeigen möge und sein Verbrechen nicht stärker wiegen lässt als all das Gute, was er getan hatte. Ich bin mir im Moment zwar nicht sicher, ob ein christlicher Gott ihm am Meisten zusagt, doch ich denke, er wird dieses Grab auf einem christlichen Friedhof akzeptieren. Zumal wir, die Pet GmbH ihm zu Ehren durchsetzen konnten, ihn mit seinem geliebten Pet und Kind beerdigen zu lassen. Hiermit will ich auch nochmal allen Menschen danken, die für ihn gespendet haben, damit der Preis für seine Naila voll bezahlt werden konnte und sie so zumindest im Tod wirklich sein Pet ist. Doch nun genug der Worte:
Möget ihr in Frieden ruhen.“
Von sunshishi
Am 03.01.2009 um 19:37 Uhr
Schon wieder so traurig, dass ich weinen musste...
Wie schaffst du es nur, dass es nicht schnulzig klingt, einen aber trotzdem zu Tränen rührt?
Großes Talent^^
Greez
SuShi
I laugh in the face of danger - then I hide till it goes away.